Donnerstag, 22. Juli 2010

Bochum: Hohe Häuser und ein komisches Gefühl

Ich sitze in meinem Zimmer in Bochum und habe ein komisches Gefühl; so als wäre ein Jahr ein Traum gewesen, so als wäre es wie an- und ausgeknipst, - denn auf den ersten Blick hat sich hier kaum etwas verändert.

Das stimmt natürlich nicht; denn auch dieses Land, diese Stadt und diese Wohnung haben ein Jahr hinter sich. Aber das, was ich sehe, ist etwas anderes: es sind Häuser mit echten Ziegeln, Häuser ohne Wellblech, mit echten Fenstern, es sind stille Strassen, in denen keine fahrenden Händler umher laufen und ihre Waren in einem lauten Singsang anpreisen; es sind volle Kühlschränke und ganz verputzte, tapezierte Wände. Es sind scheinbar bis auf den Glanz polierte Autos, deren Fahrer die Straßenverkehrsordnung kennen und befolgen; es sind zwei-, dreispurige Autobahnen, auf denen es auch Staus gibt; es ist ein Leben mit Zimmern, die so groß sind wie manch nicaraguanisches Haus; mit ö und ä und einem scharfen ß auf der Tastatur, ein Leben mit französischem Käse und schwarzem Brot. Ein Leben auf Deutsch.

Die Welt, an die ich mich gewöhnt hatte, ist eine arme, eine kleine Welt, in der die wenigsten Häuser eine zweite Etage besitzen; die Menschen dort versorgen sich selbst, sie besitzen wenige Bücher, dafür stehen sie oft am Fenster oder an der Tür und beobachten die Straße. Es ist laut, scheinbar chaotisch und doch läuft alles seinen geregelten Gang. Und es ist weit weg, dabei scheint es mir so vertraut.
Ich bin nun bei meiner Familie, bin glücklich, sie bei mir zu haben, - und doch ist es so unwahrscheinlich, dass man innerhalb eines Tages eine Welt wechseln kann; dabei war es von Anfang an abzusehen, denn heute vor einem Jahr brach ich auf nach Nicaragua.

Mein Blogbuch endet an dieser Stelle. Ein ganzes Jahr ist darin verpackt, und das ist gut so, bin ich mir doch manchmal unsicher, ob das wirklich alles passiert ist.
Ich danke allen, die mich auf meiner Reise begleitet haben, - und auch, wenn es für euch eine visuelle Reise war, hat es mir geholfen, euch bei mir zu haben und das, was ich erlebte, mit euch zu teilen; letztlich weiß ich nicht, wie viele es tatsächlich waren, aber ich hoffe doch, dass es euch gefallen hat.
Besucht Nicaragua, denn es ist wunderschön.

Samstag, 17. Juli 2010

El acto de la profe Barbara

Was ich zuvor noch für eine ganze Woche hielt, wurde mit einem Male zu wenigen Tagen, die so schnell aufeinander folgten, dass ich am Donnerstag noch immer nicht verstand, was vor sich ging.

Donnerstag, mein letzter Tag im Projekt, das letzte Mal, dass ich all die Kinder sehen wuerde; ein komisches Gefuehl, das ich erst abends verstand, als ich in meinem Zimmer sass und all die Briefe las, die mir die Kinder geschrieben hatten.
Denn noch bevor überhaupt der Acto, den die Schule für mich organisierte, beginnt, stürmen schon viele Kinder auf mich zu, übergeben mir Briefchen und halten sich ganz stark an mir fest. No te vayas, profe, sagen sie und versuchen mich, am Gehen zu hindern, dabei will ich doch erst noch bleiben und mir meine Verabschiedungsfeier angucken; das heisst, - ich bin nicht wirklich sicher, ob es eine geben wirf, denn Judith und Norma huellen sich in geheimnisvolles Schweigen, waehrend ich immer nervoeser werde.
Als ich schliesslich zur Pause die Direccion verlasse, sehe ich schon den Profe Pedro, wie er mit der Mikrofonanlage hantiert und schliesslich stehen alle Kinder vor dem kleinen Podest und sehen mich an.
Heute ist ein trauriger Tag fuer die Escuela Publica Wuppertal, sagt Pedro und guckt in die Runde, denn uns verlaesst eine Freundin. Aber ich sage nicht adios, sondern hasta pronto, bis bald.
Einer nach dem anderen kommen die Lehrer nach vorne, bedanken sich bei mir und rufen schliesslich Schueler auf, die mir Geschenke uebergeben. Immer wieder lesen Kinder ein Gedicht vor oder entschuldigen sich fuer die malos momentos, die unangenehmen Stunden, die ich mit ihnen verbringen musste. Aber wie es bei Verabschiedungen nun mal so ist, sieht man nur das Gute und diese Stunden, die tatsaechlich furchtbar anstrengend waren, waren schon laengst vergessen. Und so sehr mich derartige actos vorher zum Schmunzeln brachten, so sehr geniesse ich meinen eigenen.
Als Profe Rosa nach vorne geht und das Mikrofon ergreift, bringt sie nur noch Schluchzen hervor; woraufhin alle anfangen zu lachen. Profe Pedro sagt nur: Wein nicht wegen mir, und die Schueler rufen: Sie soll weinen, sie soll weinen!
So sind sie die Nicaraguaner.
Zum Schluss gehe ich nach vorne und bedanke mich, fuer all die Geschenke, fuer die schoene Zeit, die ich hatte, und versuche, das, was mir gerade durch den Kopf geht, in spanische Saetze zu quetschen, die mir da doch holprig ueber die Lippen gehen. Dass es ein wunderschoenes Land sei, auf dass sie alle stolz sein koennen. Dass ich viele Freunde hier gefunden habe, in den Lehrern wie in den Schuelern. Dass ein Jahr nicht ausreiche, um sie alle richtig kennen zu lernen, aber doch, um sich wohl zu fuehlen und nicht gehen zu wollen. Ich bedanke mich fuer die Gastfreundschaft und die Freundlichkeit und den Respekt, den sie mir immer entgegen gebracht haben.
Als ich das Mikro wieder an den Profe gebe, strahlen sie mich alle an und sind ganz gluecklich.
Und somit endet der acto, aber es kommen noch mehr Kinder mit Briefen, Rosa ruft mich in ihre Klasse, wo sich jeder Schueler mit einem beso und einem abrazo, einem Kuss und einer Umarmung, von mir verabschieden will. Schliesslich fragen mich David und Anibal, ob sie am Wochenende noch mal vorbei kommen koennen; ich druecke sie an mich und Samstagmorgen stehen sie vor der Tuer, sind aufgeregt, als sie eintreten, und traurig, als sie wieder gehen.

Donnerstag, 15. Juli 2010

Matagalpa, Nicaragua, - 15.07.2010

Hallo liebe Profe Barbara, der Grund dieses Briefes ist, dass ich Ihnen sagen will, dass ich Sie vermissen werde und ich hoffe, dass, wenn Sie in Deutschland ankommen, gut ankommen und dass Gott auf Sie aufpasst, und dass Sie sich immer an mich erinnern. Sie werden immer meine beste Freundin sein und ich wuensche Ihnen ein frohes neues Jahr und dass Ihre Familie sich freut, wenn sie ankommen; Ihnen nur das Beste wuenscht Ihr Freund, der sie sehr gerne hat und der Sie nie vergessen wird; es ist eine Schande, dass Sie gehen muessen, und ich hoffe, dass wir uns sehr bald wiedersehen, ich werde Sie immer in meinem Herzen haben und hoffe, dass Sie immer gluecklich sind.
Jose Anibal Rivera Mombreño, 12 Jahre alt

Dienstag, 13. Juli 2010

Ankommen

Zu diesem Zeitpunkt haben wir noch 6 1/2 Tage, bis wir uns in ein Flugzeug setzen und den Weg nach Hause antreten. Vor einem Jahr habe ich das gleiche auf dem Blog meines Vorgaengers gelesen und ich habe mich gefragt, wie man sich dabei fuehlt. Wie es ist, wenn man mit dem einen Bein in einem Land steht, das man bald verlassen wird und vielleicht erst in Jahren wiedersehen kann, wenn es schon wieder ganz anders ist; und wenn man mit dem anderen Bein ausholt, um wackelig Halt in einem vertrauten Land zu suchen, wobei man nicht genau weiss, auf was man sich da einlaesst.
Noch begreife ich es nicht wirklich; versuche, so routiniert wie zuvor zu leben – und doch: ich erlebe diese letzten Tage ein wenig taumelnd; auf der einen Seite bin ich aufgeregt, kann schon lange nicht mehr richtig schlafen, werde morgens um fuenf wach, egal, wann ich ins Bett gehe - auf der anderen Seite laufe ich durch Matagalpa und denke mir: Geniess es, jeden Schritt, jeden Bissen Gallo Pinto, den Kaffee in meinem Lieblingskaffee, jede Stunde, die ich gebe; und dann ist da doch immer noch dieses Kribbeln. Es ist ganz erstaunlich, denn gerade, so kurz vor Abflug, wuensche ich mir mehr Zeit, ueber all das nachzudenken – dabei hatte ich ein Jahr. Und dabei habe ich die Zeit unterschaetzt; denn auch wenn die Wochen – und manchmal sogar die Unterrichtsstunden – im Projekt langsam vergehen, irgendwann war immer Freitag, und das Wochenende vergeht schnell; selbst im Oktober war ich noch davon ausgegangen, dass ich ein ganzes Jahr vor mir habe.

Was habe ich in all der Zeit getan?

Ich denke an mein Projekt, das von vielen eher belaechelt wurde, weil ich mich dort pro Tag maximal vier Stunden aufhielt; aber ich wuerde dennoch nicht sagen, dass es unnuetz ist, dort einen Freiwilligen hinzuschicken. Schueler haben mich an Feiertagen und nach dem Unterricht besucht, ich habe Geschenke und kleine Bildchen bekommen und sie alle adoptieren wollen.
Natuerlich hatte ich auch ein tolles Jahr, gerade weil ich so viel Zeit hatte, aber ich habe auch das Leuchten in den Augen der Kinder gesehen, wenn sie hoerten, dass wir zum Sportplatz gehen. Noch immer, nach einem Jahr (oder vielleicht gerade deshalb), betrete ich die Schule nie, ohne nicht von einem Haufen lachender Kinder umgerannt zu werden. Sie gruessen mich: Hola Profe und auf dem Weg zum Direktorat kommen mir wieder ein paar entgegen, die mich ganz aufgeregt fragen, ob wir heute educación física machen. Wenn ich nicke, dann springen sie ueber den Schulhof und umarmen sich gegenseitig und freuen sich ganz arg.

Wenn ich dann das Direktorat betrete, sitzen dort Norma und Judith bereits seit sieben Uhr morgens. Der Ventilator ist an und trotzdem faechern sie sich noch Luft mit einem kleinen Tuch zu. Hola corazón, sagen sie, begruessen mich und legen augenblicklich alles beiseite, um sich mit mir zu unterhalten. Wie es mir ginge, wie lange ich noch hier sei, was ich am Wochenende gemacht haette (oder bei welcher Polizeistation ich dieses Mal gewesen sei).
Dann klingelt es auch schon, ich nehme mir die zwei Sportbaelle, die ich vor einem Jahr mitgebracht habe und die bereits seit Maerz kaum noch Luft in sich haben. Und so schnappe ich mir eine Klasse, laufe mit dreissig und manchmal auch sechzig Kindern auf den Spielplatz, wir passieren das Primero de Mayo, eines der aermsten Viertel Matagalpes, sehen Maenner auf Motoraedern oder an Laternen lehnen, sie gucken uns hinterher und lachen dreckig, aber so ist es vielleicht in Nicaragua.
Viele meiner Schueler haben Loecher in den Schuhen und in den Hosen, bei einigen kann man sehen, dass Hemden notduerftig, geradezu verzweifelt geflickt wurden, und doch sind sie froehlich, haben ein Laecheln im Gesicht, und verstehen es, sich an kleinen Dingen zu freuen.

Zu Beginn des Sportunterrichts teile ich die Kinder in zwei Reihen auf; eine Reihe fuer die Maedchen, eine Reihe fuer die Jungen; dann bestimme ich zwei Assistenten, die mir beim Calentamiento, beim Aufwaermen, helfen. Es sind immer andere und sie freuen sich ueber diesen Job. Wenn wir ein Wettrennen oder Macho parado (Voelkerball) gespielt haben, gebe ich den Maedchen einen Ball und den Jungen einen Ball und sie geniessen es, ueber den weiten Campo zu rennen un dalles hinter sich zu lassen.
Wenn ich dann wieder meinen Heimweg um fuenf oder um sechs Uhr abends antrete, dann sehe ich die Berge Matagalpas im Licht der untergehenden Sonne; hier ist immer Sommer, und nur wenige der Baeume dort haben einen andere Farbe. Wir haben uns darán gewoehnt, keine Jahreszeiten mehr zu haben, und deshalb wird uns auch kalt, sobald das Thermometer weniger als 25 Grad anzeigt.

Wie ist das, wenn man ein Jahr nicht in Deutschland war? Ich konnte schon nach einem halben Jahr nicht mehr sagen, was ich dort gegessen habe, was mein Lieblingsgericht ist, wie ich die Tage dort gestaltet habe, und es fiel mir nur auf, wenn ich mich langweilte. Dafuer waren andere Dinge einschneidender, andere Unterschiede groesser; es waren oft kleine Dinge, die doch alles mit einem Mal anders haben erscheinen lassen. Stromleitungen haengen hier in der Luft, man kann sie sehen, auch, wenn sie angezapft werden. Wo fliesst der Strom in Deutschland, haben mich meine Schueler gefragt, ob er unsichtbar sei? UNd ob er dort, in Deutschland, auch ab un dan verschwinden wuerde, fuer ein ratito? Nein, habe ich gesagt, in Deutschland ist der Strom immer da, auch das Wasser, und das fanden sie ganz unglaublich. Ich habe einem Freund erzaehlt, dass meine Mutter Gardinen waschen muss und dass es sehr aufwaendig sei, und da hat er mich angeguckt und gesagt: Aber sie hat doch eine Waschmaschine. Hier waescht man auch die Gardinen von Hand, - und deswegen hat kaum jemand Gardinen.
Aber es sind nicht nur diese Dinge, die die Entscheidung, nach Nicaragua zu gehen, zu einem so grossen Schritt gemacht haben: mit einem Male bin ich vollkommen fuer mich selbst verantwortlich, ich zahle meine Rechnungen, ich koche, und wenn nichts im Kuehlschrank ist, dann ist nichts im Kuehlschrank. Ich wasche meine Waesche selbst und irgendwie findet man Freunde, um sich vor der Einsamkeit zu schuetzen, die schnell mit Heimweh gleichkommen kann, wenn man sich an einem Ort befindet, den man nicht wirklich kennt.

Aber Heimweh hatte ich nie; ich habe an Deutschland gedacht, natuerlich. Und es ist komisch, wenn der Oktober heiss ist und der Januar noch heisser; aber ich habe nie gesagt: Jetzt waere ich gern in Deutschland, denn meine Zeit hier ist begrenzt.
Vieles von Deutschland habe ich vergessen; oft habe ich den Leuten von einem Land erzaehlt, das erst dadurch fabelhaft wurde, dass ich mir selbst, bei dem, was ich erzaehlt, nicht mehr ganz sicher war. Ich habe es im Winter ein bisschen dunkler und kaelter gemacht, habe es ein bisschen kulturell unerfahren ("Wie, ihr kennt keine platanos?")in ihren Augen erscheinen lassen, und irgendwie hat es mir gefallen.

Ich habe mit gottesfuerchtigen Grossmuettern ueber den Glauben gesprochen und darueber, dass es Drogen auf der ganzen Welt gibt. Ich habe mich mit Taxifahrern unterhalten und mit meinem Vermieter gestritten, auf einer Sprache, die nicht meine ist. Ich habe ein bezaubernd schoenes Land gesehen, das auch durch einen Punkt fasziniert, der gleichzeitig sein groesstes Problem ist: die Armut. In Managua fahren Pferdewagen neben dicken Autos, Kinder kommen in Cafes und fragen nach einem Cordoba und irgendwann habe ich mir meinen eigenen Weg gebahnt, habe gelernt, mit all dem umzugehen und mich anzupassen oder mich vielleicht zu veraendern. Ich sehe nun die Vorteile, die ein Land wie Deutschland mit sich bringt: eine sichere Politik, an der man zwar rummeckern kann, die aber nicht auf tote Revolutionaere aufbaut; eine solide Sozialversorgung, staatliche Unterstuetzung, wenn man sie benoetigt, sexuelle Aufklaerung - denn in keinem Land bisher habe ich so viele schwangere Frauen gesehen, und gewiss nicht alle dieser Kinder, koennen die Versorgung erhalten, die sie benoetigen. Aber genau so ist es auch ein Vorteil, zu wissen, dass die eigene Familie dir hilft, egal, was passiert.
Andererseits sehe ich all die Dinge, die bei uns scheinbar in Vergessenheit geraten: ein Familienleben, das ueber Vater, Mutter, Kind hinausgeht, sondern tatsaechlich alle mit einschliesst: Onkel, Tanten, Cousinen, Cousins. Die Leute hier versorgen sich selbst, sie backen ihr Brot selbst, sie roesten ihren Kaffee selbst und laufen von Markt zu Markt, um die billigsten Tomaten zu finden. Alles hier ist frisch, es schmeckt anders - aber warum schmeckt es so? Weil die Menschen kaum Maschinen besitzen und erst recht nichts spritzen.

Ich liebe mein Projekt, ich liebe Matagalpa und Nicaragua; und ich wuerde gerne laenger bleiben, aber genau so merke ich, dass es nun Zeit fuer mich ist, zu gehen. Ein Jahr ist vorbei, ein ganzes Jahr. Es ging ganz schnell.
Jetzt kommen wir am 21. Juli 2010 in Duesseldorf an, um 11:25 Uhr. Und das verstehe ich bis heute nicht.

Montag, 12. Juli 2010

Senf im Mund

Es ist eine dieser typischen Geschichten, die mir widerfahren, waehrend man ganz normale Dinge tut. Dieses Mal trieb es mich Samstag in eine Pulperia, um Senf zu kaufen. Nach zwei Jahren Vegetarianismus verlangte es nach Buletten, Frikadellen, Kloepschen, oder wie man es auch nennen will. Zuvorhatte ich in einem heimatlichen Gespraech zur Sicherheit das geheime Familienrezept gecheckt und nun befand ich mich also auf der Suche nach Senf, Mostaza.
Ich brauche Senf, sagte ich also. Haben Sie Senf?
Eine Frau schaukelte in einer Ecke in einem Schaukelstuhl, mit zwei Kindern auf dem Schoss und einem dicken Kind auf dem Boden.
Claro que si, erwiderte sie, stand schnell auf und legte ein kleines Tuetchen Senf auf den Tisch. Ich bezahlte und eigentlich nahm alles seinen unscheinbaren Lauf, doch noch bevor ich das Beutelchen einstecken konnte, kam das dicke Kind herbei, das sich noch kurz zuvor auf dem Boden luemmelte - und schnappt sich mein Senfpaket.
Das ist mein Seeeeenf, sagte es und streichelt den Senf.
Nein, meinte ich und versuchte, ein bisschen energisch zu klingen. Das ist mein Senf.
Das ist mein Seeeeenf, sagte es wieder und ich dachte kurz ans Sams.
Nein, sagte ich, alles, was hier ist, gehoert dir, aber sobald ich es kaufe, gehoert es mir.
Da nahm das Kind die Senftuete und schob sie sich ganz in den Mund.

Freitag, 9. Juli 2010

Waschen von Hand

Fuer den Fall, dass man mal in ein Land kommt, in dem Waschmaschinen fast nicht existieren, sei hier eine Anleitung, wie man von Hand waescht. Es ist ein wenig aufwaendiger, denn der Mensch muss all das tun, was die Maschine sonst erledigt; dafuer benoetigt man weniger Wasser. Das Zubehoer ist gering: ein jabon de lavar (eine Waschseife), ein Schrubber und schmutzige Waesche. Zunaechst muss man ein Waeschestueck - beispielsweise einen schwarzen Socken - ein bisschen mit Wasser benaetzen; anschliessen schmiere man diesen Socken mit ordentlich Waschjabon ein. Es muss so richtig gruen sein. Dann wird ordentlich geknetet, immer wieder ein bisschen Wasser drueber gegossen, wieder wird geknetet, bis der Socken keine gruenen Waschjabonfleckern mehr zeigt und das Wasser, das beim Ausfringen ablaeuft, sauber ist. So einfach ist es.

Donnerstag, 8. Juli 2010

Lago de Nicaragua: Nichts gesehen, trotzdem nass

Um zwei Uhr legt die Faehre Hilario Sanchez von San Carlos ab. Unser Ziel ist Granada, das wir jedoch erst am nächsten Morgen gegen sechs Uhr erreichen werden. Eine fuenfzehnstuendige Schifffahrt liegt vor uns, aber noch scheint die Sonne, wir sind wohl gestimmt und rekonstruieren immer wieder den Vormittag auf der Polizeistation.
Wir halten uns auf Deck auf, denn in der klimatisierten ersten Klasse ist es viel zu kalt und eng. Ein paar der Reisenden haben Hängematten mitgebracht, die sie nun an die Rehling binden und so baumeln sie in der Sonne. Luisa und ich nutzen die Gelegenheit und mieten Liegestühle – so genannte perezosas (Faultiere) - für 30 Cordobas, rücken ein bisschen zur Rehling und blicken San Carlos hinterher, das immer kleiner wird. Auch wenn wir es nicht sagen wollen, wir sind unglaublich erleichtert.
Ein Schiffsarbeiter kommt und verlangt unsere Pässe; ich gebe ihm das Papier, das nun auf der Reise meinen Pass ersetzt. Damit du keine Schwierigkeiten beim Reisen hast, hat der Polizist gesagt und ich war beeindruckt von so viel Freundlichkeit. Der Schiffsarbeiter guckt mein Papier an, schüttelt den Kopf und lächelt entschuldigend. Das ist nicht gültig.
Wie, sage ich, ein bisschen am Rande des Abgrunds, ein bisschen scherzend, ein bisschen verzweifelt, ich hab drei Stunden auf dieses Papier gewartet und jetzt sagen Sie, dass das nicht geht?
Er lacht. Spass. Erleichtert wenden wir uns wieder dem See zu, dem groessten See Zentralamerikas. In massigem Tempo fahren wir an den Inseln von Solentiname vorbei; hier wohnt Ernesto Cardenal und wir fragen uns, ob man ihn einfach so sehen kann, oder ob er sich gut versteckt hält. Diese Frage wird uns Izrael, ein spanischer Aussteiger, am nächsten Tag beantworten.
Bis dahin vergeht noch viel Zeit und viel Wasser fließt an uns vorbei. Wir schlafen ein bisschen, knabbern unsere Kekse, hören Musik, lesen und sind ganz beeindruckt von dem, was wir innerhalb weniger Tage an natürlicher Schönheit zu Gesicht bekommen.
Gegen halb sechs erreichen wir den ersten Zwischenstopp unserer Reise: San Miguelito, ein kleines Fischerdorf, das jedoch ganz bezaubernd liegt. Eine Menschentraube hat sich an der Mole gebildet, ein paar steigen ein, ein paar steigen aus, ein paar gucken einfach nur, während Waren eingeladen werden und die Dorfjugend vom Kay in den See springt.
Ich erkundige mich beim selben Schiffsarbeiter, ob es eine Möglichkeit an Bord gibt, meinen Mp3-Player aufzuladen, denn ohne Musik an Bord erscheint mir die Reise gerade ganz unmoeglich. Er nickt und meint, er gebe mir den Player beim nächsten Stopp wieder. Gegen sechs Uhr verlassen wir San Miguelito und entfernen uns von der Küste. Vor uns liegt scheinbar endloses Wasser und langsam legt sich die Dunkelheit über uns. Luisa und ich mummeln uns in unsere Jacken, und blicken in die Nacht hinaus. Viel vom See sehen wir nicht, einzig als schließlich ein Gewitter einsetzt, erhellen Blitze unsere Sicht. Wir sitzen mit dem Rücken zum Regen und haben Glück, denn alle, die hoffnungsvoll ihre Hängematten aufgehängt haben, werden nun nass und schließlich müssen Planen über sie gelegt werden, so dass es aussieht, als hingen ein paar Raupenkokons am Schiff. Aus lauter Langeweile überlegen wir, was passiert, wenn das Schiff vom Blitz getroffen wird. Unsere Liegestühle sind aus Holz und leiten nicht, aber auch das würde uns wenig bringen, wenn wir letztlich die Fähre selbst nach Granada steuern sollten.
Als Hilario Sanchez Murito erreicht, sind auch wir nass, da helfen auch die zwei Hosen, vier T-Shirts und Jacken nichts, die wir uns mittlerweile angezogen haben; um die Schultern und um die Hüften sollen uns Handtücher vor der Nässe schützen, doch es bringt nichts; hinzu kommt die Kälte und in diesem Moment wünschen wir uns sehnlichst die Mittagshitze einer Polizeistation in San Carlos wieder herbei. Doch es ist nicht alles aussichtslos und in diesem Moment übergibt mir der Schiffsarbeiter meinen Mp3-Player. Er tut ein bisschen geheimnisvoll, dann lächelt er, wie man vielleicht ein Geschenk an Weihnachten vergibt. Das Ergebnis ist ungefähr das gleiche: ich bin zufrieden, glücklich und verkable mich mit guter Musik.
Gegen neun legen wir ab und nun folgt der wohl schlimmste Teil der Fahrt, denn dick eingemummelt wie wir sind, müssen wir nun eine Schlafposition finden, die uns vorm Regen schützt und die gleichzeitig bequem ist. Irgendwie ziehen wir die Beine an und schlafen im Stundentakt ein und wachen im Stundentakt auch wieder auf. Es ist sicherlich bei Weitem kein Zuckerschlecken, aber Luisa und ich reden uns ein, dass wir auf Deck verharren müssen, weil Deutschland dann am nächsten Tag gegen Spanien gewinnt. Nun ja.
Kurz nach Mitternacht erreichen wir Altagracia auf der Isla de Ometepe; viele der Passagiere steigen aus und auch das Umladen geht schneller als bei den beiden vorigen Stops. Jetzt sind es noch etwa vier Stunden bis Granada und wir atmen durch. Es ist fast geschafft, - und auch wenn es keine Kreuzfahrt ist, sind wir jeden Moment davon überzeugt, dass es die richtige Entscheidung war, das Boot auf dem Rückweg zu nehmen. Denn auch, wenn es im Bus warm ist und man gut sitzt, kann man nicht so herum laufen wie hier auf Deck.
Um halb zwei kommt der Mond heraus und erhellt den See; es ist nicht viel, was wir sehen. Tatsächlich hatten wir gedacht, dass wir mehr sehen könnten, - und doch ist es schön und so schlafen wir für den letzten Teil der Fahrt beinahe ohne Unterbrechung. Um fünf Uhr morgens dann endlich erreichen wir Granada; es wird hell auf dem See, riesige Wolkenberge liegen hinter uns und umraunen auch den Gipfel des Mombacho.

San Carlos: Kurz vor der Abschiebung

Dienstagmorgen fahren wir um sieben Uhr mit dem Boot zurück nach San Carlos. Der Rio San Juan liegt langsam fließend vor uns und er strahlt auch jetzt, am Zeitpunkt unserer Abreise, eine ganz erstaunliche Ruhe aus. Luisa und ich setzen uns mit vielen anderen Nicaraguanern in die Lancha und fahren gegen den Strom. Auch heute stehen immer wieder Menschen mitten im Nirgendwo am Ufer, winken dem Boot zu, das leise summend zu ihnen heran fährt; sie haben weiße Hosen an und lange, glatte Haare, die gut duften, sie tragen hohe Schuhe und Röcke und sehen aus, als kämen sie aus der Nebenstrasse einer viel belaufenen Einkaufsstrasse und nicht aus einer Holzhütte mit Palmendach.
Nach ca. zwei Stunden erreichen wir Boca de Sabalos, von hier aus sind es noch etwa 45 km bis nach San Carlos. Wir sehen Vögel und Liebellen, hohe Bäume und Kühe am Flussrand und es ist eine ganz bezaubernde Gegend.
Als endlich die Mündung des Rio San Juans in den Lago de Nicaragua zu sehen ist, ist es kurz vor zehn; das Boot, das uns nach Granada bringen wird, fährt erst gegen zwei Uhr ab und so haben wir etwa drei Stunden Zeit, um zu essen und um einmal im Internet vorbeizuschauen. So stellen wir uns zumindest den Plan für den heutigen Morgen vor. Doch ein Polizist durchkreuzt unser Vorhaben, denn er fängt uns ab, als wir gerade in San Carlos anlanden. Unsere Pässe würde er gerne sehen. Eine einfache Frage, die uns in den nächsten Stunden auf den Kopf stellen wird; denn ich habe meinen Pass nicht dabei.

Ob es nicht ausreichen würde, wenn ich ihm einfach meine Passnummer geben würde, denn die weiß ich auswendig und bin bisher in Nicaragua immer gut damit gereist.
Nein, das wäre nicht ausreichend, sagt er entschuldigend und ist, obwohl wir ja nun unangenehm auffallen, sehr freundlich. Die Sache könnten wir ganz einfach regeln, wir müssten nur kurz mit in die Polizeistation. Wir willigen ein, denn noch liegen wir gut in der Zeit, - und was bleibt uns auch anderes uebrig.
Wir folgen ihm also die gewundene Strasse zum See entlang, ein Mann will uns Gürtel und Unterhosen verkaufen, aber die brauchen wir nicht. Würde er Pässe verkaufen, wäre ich stehen geblieben, aber da erreichen wir auch schon die Polizeistation, die mit dem Rücken zum Fluss liegt und somit auf Holzstäben gebaut wurde. Es wackelt alles ein bisschen, aber wenn es bei der Polizei nicht sicher ist, wo dann?
Mit einem mulmigen Gefühl treten wir dennoch ein und lassen uns auf zwei Stühle sinken. Es ist heiss, die Luft ist stickig und nur ein einziger Ventilator steht im Raum. Auf einem Stuhl sitzt eine Frau in einem blauen Rock mit weisser Bluse, sie ist mindestens vierzig Jahre alt und trotzdem scheint es, als habe sie ihre Schuluniform nie abgelegt. Eine andere Frau sitzt hinter einem Schreibtisch und tippt etwas ein. An den Waenden haengen Bilder von Corn Island, dann eine Auflistung der simbolos patrios, und ein Kalender der FSLN.
Guck mal, sagt der Polizist zu einem anderen, diese Ausländerin ist ohne Pass unterwegs.
Können Sie sich gar nicht ausweisen?, fragt der andere Polizist. Ich krame im Portemonnaie und finde einen Kinderausweis (ohne Bild), eine Krankenkassenkarte und den abgelaufenen Perso meines Bruders, - nichts von dem hilft mir irgendwie weiter und wir sitzen alle ein bisschen ratlos da.
Gut, meint der eine Polizist dann und fährt sich durchs Haar, wie heißen Sie denn?
Ich sage ihm alles, was ich weiß, alles, was ihm irgendwie helfen kann; wann ich Nicaragua zum ersten Mal betreten habe, wie oft ich es verlassen habe, welche Grenzuebergaenge ich dabei passierte, die zeitliche Länge meines Visums, meine Adresse in Matagalpa, meine Passnummer; aber sie glauben mir immer noch nicht, dass es mich tatsächlich gibt.
Was ich hier tun würde, wo ich arbeiten würde, zu welcher Organisation ich gehören wuerde, fragen sie mich. Auch das beantworte ich ihnen und biete auch an, meine Direktorin anzurufen. Nein, nein, das wäre nicht nötig, meinen sie, jetzt würden sie erst einmal ein bisschen rumtelefonieren.
Ob wir kurz was essen gehen können, fragen wir und sie sind beinahe begeistert von unserer Idee. Wir lassen also unsere Rucksäcke als Pfand da und gönnen uns ein gutes Gallo Pinto mit einer Pepsi gegen den Schreck, während wir unsere gegenwärtige Situation analysieren. Die Fähre nach Granada kriegen Sie auf jeden Fall, hat einer der Polizisten gesagt und es stimmt uns zuversichtlich bei all der Verunsicherung.
Brav kehren wir nach unserem desayuno zurück zur Polizeistation, wo es mal gar nicht danach aussieht, als würde hier herumtelefoniert. Ein kleiner Fernseher steht auf einem Eckregal und unter Flimmern sehen wir zu, wie winzige orangefarbene und blau-weiss gestreifte Männchen ein großes grünes Feld betreten. Bis zur Halbzeit gucken wir uns das Spiel mit den Polizisten an, die alle nun schon meinen Namen kennen und mich auch trotz Serienende für Dona Barbara halten.
Que Barbara, sagt ein runder Polizist, lacht und zückt eine unsichtbare Pistole. Dann lacht er wieder und wir lachen mit; Zeit genug haben wir ja. Einer der beiden Polizisten, die sich um meinen Fall kümmern, greift schließlich tatsächlich zum Telefon. Jefe, sagt er, hier ist immer noch diese Ausländerin, ja, richtig, nein, sie hat gar nichts bei sich – Pause - sie sagt, sie arbeitet in einer Grundschule, ja, Bar-bar-a Eslotta, ja – Pause – wenn sie nichts bei sich hat, ist sie dann illegal hier? – Pause und kurzer Herzaussetzer meinerseits – nun, sie könnte schon eine bandida sein.

In diesem Moment greife ich ein und sage, dass ich ja wohl mal gar nicht bandida bin. Er hält kurz die Hand auf die Ohrmuschel und guckt mich nachdenklich an, dann grinst er. Du bist intelligent, meint er, chiva. Gewitzt. Der dicke Polizist sagt wieder: que barbara und alle in der Polizeistation lachen. Ich setze mich wieder hin und warte. Von hier kann man zwischen den spaerlich gehaemmerten Holzstreben des Fußbodens das Wasser des Rios glitzern sehen; einige der Streben bewegen sich oder sacken auch mal unter dem Gewicht der Polizisten ab und als mir das gleiche passiert, frage ich, ob sie nicht Angst hätten, hier zu arbeiten. Da lachen sie wieder alle und nach zwei Stunden fühlen Luisa und ich uns fast schon wohl.
Das Dumme ist nur: noch immer konnten sie sich nicht einigen, ob ich nun eine gefährliche bandida oder eine verschreckte Touristin bin. Schließlich rufen wir Judith, meine Subdirectora, an.
Ja, guten Tag, ich melde mich aus der Polizeistation von San Carlos; wir haben hier ein Mädchen bei uns, das bei Ihnen arbeitet – in diesem Moment ist mein gutes Image wohl dahin. Arme Judith, sie macht sich bei so was immer viele Gedanken. Als ich sie später anrufe und ihr sage, dass alles in Ordnung ist, ist sie jedoch ganz ruhig. Genieß deine Ferien, sagt sie, Hauptsache, es geht dir gut. Dann lacht sie.
Schließlich, als es 1:1 steht und einige der Polizisten noch auf Uruguay tippen, erhält die Polizeistation per Mail meinen gescannten Pass. Es ist kurz vor eins und um diese Uhrzeit endet der Ticketverkauf für die Fähre nach Granada. Der dicke Polizist begleitet uns und so bekommen wir doch noch ein Erste-Klasse-Ticket. Das klingt ganz wahnsinnig, aber Ausländer dürfen nur erste Klasse fahren. 190 Cordobas bezahlen wir dafür, knapp 10 Dollar. Wir kehren zurück zur Polizeistation, wo sie mir eine Karte mit meiner Passnummer ausfüllen. Darauf bestätigen sie, dass ich legal im Land bin, sie nennen meine Passnummer und den Tag, an dem ich das Land betreten habe, den 23. Juli 2009. Mein Lieblingspolizist unterschreibt und zum Schluss machen wir noch ein Foto, weil uns das sonst niemand glauben mag. Der Polizist meint, ich sollte ein bisschen ängstlich gucken, damit niemand denkt, dass die nicaraguanische Polizei zu Scherzen aufgelegt seien, aber letztlich machen wir ein nettes Bild.
Alle Polizisten verabschieden sich herzlich bei uns, sie wünschen uns eine gute Reise und meinen, sie hätten sich gefreut, uns kennen gelernt zu haben. Um zwanzig nach eins betreten wir die Fähre und klettern aufs obere Deck, zur ersten Klasse. Es ist klimatisiert und auch hier guckt man zu, wie Holland gewinnt. Der Polizist, der uns morgens am Hafen abgefangen hat, kontrolliert auch hier die Pässe. Er lächelt und erklärt uns nun, nach drei Stunden Aufregung, warum alles so verlief, wie es verlaufen ist: Normalerweise, sagt er, braucht man seinen Pass nicht, wenn man ausschliesslich in Nicaragua reist und ein Visum hat. Aber der Rio San Juan ist eine Grenzregion. Wir müssen feststellen, dass niemand einfach so von Costa Rica nach Nicaragua kommt. Er lächelt noch mal und entschuldigt sich für die Zeit, die uns verloren ging. Tranquilo, sagen wir, schliesslich ist es diese Polizeiarbeit, die Nicaragua zum sichersten Land Zentralamerika macht; ausserdem hatten wir eine schoene Zeit.

Reserva Biologica Indio Maiz: Matsch, Affen und Kokosnuesse

Um sechs Uhr morgens brechen wir mit einem Guide und einem Bootsfahrer auf zur Reserva Bilogica Indio-Maiz. Es ist ein Naturreservat, das sich von El Castillo bis zur Karibikmündung des Rio San Juans erstreckt und mehr Pflanzen und Tiere beherbergt als der gesamte europäische Kontinent. Das Reservat ist auch ein weiterer Grund, weshalb es nie einen Nicaragua-Kanal geben wird, denn obgleich der Rio San Juan gross und breit genug für einen derartigen Schiffsverkehr ist, so würde selbst ein großer Frachter das natürliche Leben im Reservat eingrenzen.
Als wir die Stromschnellen El Castillos passieren, sehen wir Shamus und Wayne auf der Veranda des Hotels stehen und hören, wie Shamus uns ein lautes KUSCHLA über den Fluss ruft.

Etwa eine Stunde brauchen wir, um zum Eingang der Reserva Bilogica zu gelangen. An einer Stelle fährt unser Boot an das rechte Ufer heran und wir sehen eine nicaraguanische Flagge. Hier ist die Grenze zwischen Costa Rica und Nicaragua. Ein Teil des rechten Flussufers gehört zu Costa Rica, doch der Fluss ist nicaraguanisch, sagt unser Guia und man kann seinen Stolz hören. Es ist merkwürdig, denn diese Grenze ist leicht zu passieren, und wenn ich an den Grenzübergang Peñas Blancas denke, dann scheint es ganz widersprüchlich, dass man hier vollkommen unbeschwert das Land wechseln könnte. Wir fragen unseren Guia und er erklärt, dass die Nicaraguaner, die am Fluss leben, auch kein Problem haben würden, wenn sie mal kurz in Costa Rica vorbeischauten. Wir hingegen, als Ausländer, würden in einem solchen Falle ganz anders behandelt werden. Wie Recht er hat, - doch das bemerken wir erst am folgenden Tag.
Wir fahren in einen Seitenarm des Flusses und gelangen an einen einfachen Steg. Dort verlassen wir das Boot und betreten die Reserva. Was nun folgt, sind drei Stunden Djungel; wie gut, dass wir unsere Gummistiefel haben, denn sie bewaehren sich bereits innerhalb der ersten fuenf Minuten; immer wieder muessen wir durch den Matsch, aber es macht Spass. Selten koennen wir wirklich freien Himmel sehen, dafuer sehen wir 50 Meter hohe Baeume, einen Affen, einen giftigen Frosch und viele lustige Pflanzen. Unser Guia bemueht sich sehr, doch es scheint, dass heute alle Tiere nach El Castillo gefahren sind, denn hier ist es zwar ruhig und schoen, doch wir sehen weniger Tiere als auf dem europaeischen Kontinent. Aber die Reserva ist gross und wir quengeln nicht; die 15 Dollar, die uns der Trip kostet, sind gut angelegt, denn als wir schliesslich den Wald verlassen, empfaengt uns unser Bootsmann mit Kokosnuessen und Bananen. Den Rest der Zeit verbringen wir in einem Nebenfluss und baden, waehrend kleine Fische nur wenige Meter von uns aus dem Wasser springen.
Als wir gegen halb zwoelf El Castillo erreichen, sind wir hundemuede und wollen eine Dusche. Doch noch immer gibt es kein Wasser und auch keinen Strom und so sehen wir uns gezwungen, die letzten Stunden mit Lesen oder Essen auf unserer Veranda zu verbringen. Auch keine schlechte Wahl.

El Castillo: Kuschla und Karate-Kicks

Der naechste Morgen kommt schneller, als wir denken. Luisa entdeckt ein Loch in der Wand, und danach entdecke ich, dass es kein Wasser gibt. Ein wenig zerzaust machen wir uns auf den Weg zum Hafen, wo auch schon die Lancha nach El Castillo auf uns wartet. Gespannt setzen wir uns ins Boot und geniessen die dreistuendige Fahrt am Fluss entlang. Je mehr wir dem Lauf des Flusses folgen, desto schoener wird es. Haeuser aus Bambus mit Palmendaechern stehen am Fluss und es ist wahnsinnig, denn ihre Bewohner leben mitten im Nirgendwo.
Als wir in El Castillo anlanden, sind wir unglaublich glücklich; es ist ein kleines Dorf, das aus nur einer einzigen Strasse zu bestehen scheint, aber es ist wirklich ganz wunderschön. Vom Boot aus haben wir die Festung sehen können, die dem Ort seinen Namen gibt, eine blau-weiße Fahne weht dort oben und verkündet stolz, dass der Fluss nicaraguanisches Terrain ist – das ist nicht selbstverständlich. Denn als natürliche Grenze zwischen Costa Rica und Nicaragua, beanspruchten vor einigen Jahren auch die Ticos einen Teil des Flusses für sich. Es gab einen Prozess und Nicaragua gewann. So ist der Fluss orgullosamente nicaraguense, stolz, dass er zu Nicaragua gehört, und einer der wenigen Grenzflüsse auf der Welt, die nur einem Land gehören.

Der Rio San Juan fließt hier in El Castillo an den Häusern entlang, die alle eine andere Farbe haben und ausschließlich aus Holz sind. Luisa und ich blättern in den Reiseführern, doch das Hotel, das wir letztlich für zwei Tage nur für uns haben werden, steht weder im Lonely Planet noch im Footprint, dafür ist es billig und schön und genau das richtige für uns. Wir haben eine kleine Terrasse, von der aus wir dem Fluss beim Fliessen zuschauen können und wir werden oft dort sitzen. Doch zunächst treibt uns der Hunger die Strasse flussabwärts, wo wir ein nettes kleines Restaurant und Hostel finden. Wir setzen uns auf die Terrasse, die zum Fluss geht und gucken auf die Stromschnellen und auf die andere Seite des Flusses. Wenn man sich die Karte Nicaraguas ansieht, erhält man den Eindruck, dass bereits San Carlos weitab liegt, dass in dieser Region entlang des Rio San Juans, die Ufer nur aus Regenwald bestehen, und dass hier wohl niemand leben wird. Doch man täuscht sich. Wir sehen grüne Wiesen und Kühe weiden, immer wieder passieren Holzboote die gefährlichen Stromschnellen und als unser Mittagessen vor uns steht, beobachten wir, wie zwei dicke Schweine aufgeregt quiekend per Boot die Flussseite wechseln.
Ungefähr in diesem Moment lernen wir Carina und Hannes kennen, die, wie scheinbar alle Österreicher, aus Dornbirn kommen (gibt es Wien eigentlich bzw. leben dort Menschen?). Sie sind etwa so alt wie wir und reisen nach drei Monaten Projektarbeit durch Zentralamerika. Ob wir Lust hätten, mit ihnen die Reserva Biologica Indio-Maiz anzusehen? Wir feilen noch an unseren Plänen, doch am Abend haben wir uns dazu entschlossen, mit zu kommen.

Als wir mit dem Mittagessen abschließen, bereichern Shamus und Wayne unsere Gruppe, wobei man von ihnen als zwei Individuen sprechen muss, eine andere Beschreibung trifft es nicht besser. Shamus ist ein großer, ziemlich dünner Kanadier mit schulterlangem hellen Haar. Ein verworrenes buntes Tattoo ziert seinen ganzen Arm und er selbst ist mindestens so verwirrt wie sein Tattoo. Sein ganzer Stolz ist sein Hostel, das er vor sechs Jahren an der Laguna de Apoyo eröffnet hat, und so erhalten wir später eine Einladung, ihn dort zu besuchen. Wayne ist Amerikaner, wesentlich älter als wir alle zusammen und gefällt sich in seiner Rolle des Aussteigers. Er hat eine Bar in Granada, wie er uns lässig und mit breitem Grinsen erzählt, doch er könnte noch viel mehr tolle Sachen haben – er heißt Wayne und da kann ich ihn nicht ernst nehmen. Why dont have another beer?, fragt er uns um halb zwei Mittags und Luisa und mir würden viele Gründe einfallen, die gegen ein weiteres bzw. ein erstes Bier sprächen, doch wir schweigen, denn der Wechsel zwischen Spanisch und Englisch fällt uns nicht ganz leicht und noch wollen wir nicht (ver-)urteilen.
Wir entschuldigen uns also, verabreden uns mit Carina und Hannes für sechs Uhr abends und erklimmen die Festung. Schoen ist es hier, und als wir dem Festungspfad folgen, stellen wir fest, dass es in El Castillo noch mehr Strassen gibt.
Der Eintritt zur Festung kostet etwas, zwei Dollar muessen wir zahlen. Ob wir eine Kamera dabei hätten? Nein, natürlich nicht, sagen wir, denn das haben uns Shamus und die anderen bereits geflüstert, und so lügen wir und sparen einen Dollar, den wir für unsere Kamera hätten bezahlen müssen. Zunächst geht es in ein kleines, aber nett gemachtes Museum. Es berichtet über die Situation des Castillos, über seine Geschichte und über die Ur-einwohner, die Rama-Indianer. Wir sehen Karten der Kanalplaene der Sailing Company Cornelius Vanderbilts und lesen vom traurigen Ende Greytowns; es passiert viel an diesem ruhigen Strom, und je mehr wir über diese Gegend erfahren, desto lebendiger wirkt sie.
Von der Festung aus hat man einen wunderbaren Blick über den Fluss, der hier eine Biegung macht, und der in einem Geflecht aus Regenwald unsere Sicht verlaesst. Wir machen Fotos, ruhen uns ein bisschen aus und blicken der Gewitterfront entgegen, die immer naeher kommt. In einem kleinen Cafe schliesslich esse ich das beste Sandwich der Welt; Yamil, der Besitzer, ist schwul und so kommen beinahe nur Touristen in sein Kaffee, denn die Einheimischen haben Angst, dass seine Homosexualität auf andere übergeht. Sie haben ihn sogar deswegen verklagt, aber Yamil hatte einen guten Anwalt und so gibt es auch heute noch das Borders Coffee.

Gegen Abend treffen wir Carina und Hannes; wir buchen die fuenfstuendige Tour in das Reservat, mieten Gummistiefel und schließlich, als wir gerade nett beisammen sitzen, fällt der Strom aus; doch anders als in Matagalpa, braucht es hier, in El Castillo, bis er wiederkehrt. Wir sitzen also zu viert mit Kerzen auf der Veranda und irgendwann laden uns Shamus und Wayne auf einen Rum ein. Shamus will dabei ständig kuschla, was auf Österreichisch Kuscheln bedeutet; er hat das Wort am Vorabend gelernt und gegen neun drückt er Hannes einen dicken Kuss auf die Wange. Wir bleiben länger, als wir es tatsächlich vorhatten, denn irgendwie ist es netter, als wir dachten, aber um zehn brechen wir dann doch auf. Wir haben zwei Taschenlampen fuer den dunklen Weg, trotzdem besteht Shamus darauf, uns zu begleiten und im Nachhinein sind wir froh, denn ganz ohne Strom wirkt selbst die friedliche Strasse am Fluss wie ein dunkler Waldweg. Wir hoeren das Rauschen der Stromschnellen, waehrend Shamus immer wiederholt: My mum always told me that I should never let females go alone at night. Doch um ganz sicher zu sein, dass wir uns auch allein verteidigen können, will er unsere Karate Kicks sehen. Show me your Karate Kick, sagt er immer wieder, und als wir am Hotel ankommen, sind wir ganz außer Puste.

Matagalpa - Managua - San Carlos: Der Beginn einer langen Reise

Am Samstag geht sie los, die letzte grosse Reise, die wir in Nicaragua unternehmen. Und sie wird ganz grossartig werden, wir werden einen ganz bezaubernden Fluss sehen, werden Karate Kicks machen und nette Polizisten treffen. Doch bis dahin ist es noch weit.
Um fuenf Uhr morgens sitzen wir im Bus nach Managua. Wir sind zu zweit, das heisst, eigentlich sind wir zu dritt: Luisa, ich - und Wurmi. Um nicht den Verdacht aufkommen zu lassen, ich haette mich in diesem Jahr einer Rueckentwicklung hingegeben, wird Wurmi nur hier einmal kurz erwaehnt, obwohl er es viel oefter verdient haette.
Wir sitzen also im Bus nach Managua und reden, waehrend die Sonne aufgeht. Unser Reiseziel? Der Rio San Juan. Der angeblich schoenste Fluss Nicaraguas, von dem es heisst, dass man, wenn man dort nicht war, Nicaragua nicht kennt. Das will ich mir natuerlich nicht vorwerfen lassen und so fahren wir an diesem Samstag dort hin.
Um an den Rio San Juan zu gelangen, muss man einiges auf sich nehmen. Dreh- und Angelpunkt ist die Kleinstadt San Carlos, die an der Muendung des Rio San Juans in den Nicaragua-See liegt. Doch bis dahin warten 9 Stunden Bus auf uns oder eine Stunde Flug fuer teures Geld. Also haben wir uns fuer den Bus entschieden, der angeblich um acht Uhr morgens abfaehrt. Doch das ist ein Irrtum; denn der einzige Bus, der heute noch nach San Carlos faehrt, ist der Expressbus um ein Uhr. Was tun mit all der Zeit?

Wir fahren ins Metrocentro in Managua, wo es zu diesem Zeitpunkt bereits 2:0 fuer Deutschland steht. Kleine Fernseher sind ueberall aufgebaut und wir verfolgen das Geschehen mit einem Haufen Nicaraguaner, deren aller Herzen fuer Argentinien schlagen. Ganz verhalten geben wir zu erkennen, dass wir gerade am Gewinnen sind.
Als das Spiel entschieden ist, laufen wir ein bisschen durch die Mall, gucken in ein paar Shops hinein, trinken einen Kaffee, knabbern Moehren und Gurken und dann ist es auch schon 12 Uhr.

Die Tickets fuer den Bus haben wir bereits gekauft und somit haben wir auch reservierte Plaetze, was ein Vorteil ist; denn die Busse nach San Carlos fahren selten und sind meistens propenvoll. Am Busbahnhof Mayoreo in Managua ist es furchtbar heiss; wir kaufen Wasser und sind doch vorsichtig beim Trinken, denn zwar wird der Bus auch irgendwann mal halten, allerdings ist unklar zu welcher Zeit.
Als wir uns in Bewegung setzen und die staubigen Strassen Managuas hinter uns lassen, sind wir beide ganz aufgeregt. Urlaubsstimmung liegt in der Luft und waehrend wir Richtung Sueden fahren, Boaco und Juigalpa passieren, gucken wir aus dem Fenster und staunen ueber die Schoenheit dieses Landes.
Wir fahren an weiten Feldern und hohen Bergen vorbei, fahren ueber Huegel und beobachten den langsamen Wechsel der Vegetation bis schliesslich immer mehr Palmen auftauchen.

Gegen fuenf Uhr verlassen wir die asphaltierte Strasse und folgen einem staubigen Weg, unpaved road, so steht es im Reisefuehrer und es wird davor gewarnt. Doch wir haben Glueck, es regnet nicht, zumindest jetzt noch nicht und so bleiben wir nicht im Schlamm stecken. Irgendwann machen wir eine Pause und wir sind dankbar. Da merken wir auch, dass es allen so ging, wie uns, denn es bildet sich eine ganz bemerkenswerte Schlange vor den baños.

Als wir weiterfahren, legt sich langsam die Nacht uebers Land. Es blitzt und letztlich setzt der Regen ein. Er ist das, was man hier fuerte nennt, und als wir San Carlos um neun Uhr erreichen, steht uns das Wasser bis zu den Knoecheln. Langsam waten wir durch die Strassen, denn wir haben Glueck. Bereits im Bus haben wir uns fuer ein Hotel entschieden und eine unserer Mitreisenden gefragt, wo es ungefaehr liegt. Es stellt sich heraus, dass die junge Frau die Tochter der Besitzerin ist, und so geleiten wir zumindest sicher ins Hotel San Carlos.

Es stellt sich als ein Ort zum Schlafen heraus, wirklich, nur zum Schlafen, aber es ist in Ordnung, denn mehr haben wir jetzt auch nicht vor; ein paar Minuten gucken wir noch zu, wie das Regenwasser die Strassen entlang spuelt, denn wir haben eine Terrasse und fuehlen uns gut da oben. Gegen halb elf gehen wir schlafen und selbst der merkwuerdige Geruch und der laute Ventilator halten uns davon nicht ab.

Rosquillas in der Nacht

Man darf Nicaragua nicht verlassen, ohne zu wissen, wie man Rosquillas macht. Das sagt Dona Berta, meine ehemalige Nachbarin. Sie ist eine echte Dona, die mittlerweile mehr als achtzig Jahre alt ist. Sie ist Mutter, sie ist Oma, - aber vor allem ist sie herzlich. Und wie jede nicaraguanische Oma stellt sie fast alles selbst her, sie röstet ihren Kaffee selbst, sie kocht den geernteten Mais, sie backt Tortillas und Brot und Kuchen.
Vor einem halben Jahr hat sie mir beigebracht, wie man Gallo Pinto, das Nationalgericht Nicaraguas, kocht: Reis und Bohnen klingen unspektakulär, sind aber etwas sehr Feines, wenn sie von einem Spiegelei (huevo entero), einem Stück Käse, einer Tortilla und ein paar Kochbananen (platano maduro) begleitet werden.

Dieses Mal will sie mir nun also zeigen, wie man Rosquillas backt, und da befinde ich mich scheinbar bereits auf Level II, denn dieses Mal soll ich um vier Uhr morgens bei ihr auf der Matte stehen. Zunächst bin ich skeptisch, doch als ein runder Mond sein milchiges Licht über die schlafenden Häuser Matagalpas legt, stehe ich frisch und munter in Dona Bertas riesiger Küche. Die Masse aus Mais und Eiern und Käse - und einer geheimen Zutat – hat sie bereits am Vortrag zubereitet, jetzt geht es nur noch darum, daraus kleine Küchlein zu formen; das wird ungefähr vier Stunden dauern. Denn Dona Berta folgt einer nicaraguanischen Eigenheit: Wenn, dann viel. Der orangefarbige Bottich ist bis zum Rand mit Maismasse gefüllt und es liegt an mir, kleine Kügelchen daraus zu formen, die anschließend von ihrem Enkel durch den Fleischwolf gedreht werden, damit es auch schon luftig leicht schmeckt. Dona Berta selbst sitzt, in mehrere Decken eingelümmelt, am Tisch und klopft und hämmert am Teig herum, sie legt zuerst kleine Ringe, dann untertassengroße Kekse aufs Blech, das von einer anderen Enkelin in den Steinofen geschoben wird. Ganz begeistert will sie mir auch das Rezept zu den angeblich besten Rosquilla des Barrios geben; aber die Chance, dass ich eines Tages Cuajada und Maismehl und die suesse, klebrige Masse kaufen kann, die sie zum Schluss auf die Kekse streicht, muss ich bei aller Mühe als gering einstufen.

Als um sieben langsam der Verkehr auf der Strasse ins Rollen kommt, stehe ich mit meiner ersten Rosquilla am Fenster und gucke raus und habe das Gefühl, schon richtig was getan zu haben.
Zwei Wochen später bin ich wieder eingeladen, dieses Mal zum Nacatamales-Machen. Nacatamales sind sehr nicaraguanisch und ich würde es nicht als mein Leibgericht beschreiben; aber ich bin trotzdem da, dieses Mal um drei Uhr morgens. Zusammen mit Yaritza, Bertas ältester Enkelin, schnappe ich mir Palmenblätter, lege darauf zuerst einen Klops aus Maismasse, dann Schweine- oder Hühnchenfleisch, es folgen ungekochter Reis, zwei Rosinen, Tomaten, Erbsen, Würfelkartoffeln und letztlich wird das Palmenblatt zu einem kleinen Geschenk zusammengefaltet. Darin stelle ich mich ziemlich schlecht an und wahrscheinlich haben sich an diesem Wochenende viele Menschen bei Dona Berta über die Nacatamales beschwert. Die werden danach in heißes Wasser geworfen, wo alles zusammen brodelt und schließlich knotet man sein Geschenk auf und hat gutes und preiswertes Essen – wenn einem denn die Rezeptur der Nacatamales gefällt. Zum Abschluss erzählt Yaritza mir noch eine Nacatamales-Anekdote, die die Nicaragua seit Jahren von Rio Coco bis zum Rio San Juan belustigt. Ein Amerikaner wagte sich nämlich auch vor einiger Zeit an das kulinarische Palmenpaket heran und kam zu folgender Schlussfolgerung: „The meat was good but the salad was horrible.“ Man darf das Palmenblatt eben nicht essen.

Freitag, 2. Juli 2010

Der ausserordentlich schoene Tag der Lehrer

In Nicaragua hat jeder Tag ein Motto. Oder jedes Motto hat einen Tag. Und so rueckte der Tag der Lehrer unaufhaltsam naeher. Da es auch in der Escuela Publica Wuppertal Lehrer gibt, waren alle ganz verrueckt. Zum grossen Tag wurde getanzt, Profe Sandra hatte den Kindern Nationaltaenze beigebracht, deren Choreografie zwar recht eingaengig war - zwei Schritte nach links, zwei Schritte nach rechts, ein Wiegen in den Hueften, Maenner heben jetzt den Sombrero und verneigen sich -, dafuer aber ein schoenes Bild bot.

Luisa, die eigentlich nur mal gucken wollte, sitzt neben mir auf der Buehne, wo Plastikstuehle fuer uns Lehrer bereit stehen. Gut, dass wir beide vorher noch darueber geredet haben, wie unangenehm es doch sei, auf eine Buehen gebeten zu werden.

Da sitzen wir also, gucken den Kindern beim Tanzen zu, hoeren die Gedanken, die Norma vortraegt - "Beim Lernen lehrst du, beim Lehren lernst du" oder "Ein guter Lehrer unterrichtet, ein sehr guter Lehrer inspiriert" -, Viertklaessler tragen Gedichte ueber den Lehrer vor, dabei staren sie stur zur Wand. Die Hymne des Lehrers wird gesungen und mal wieder schafft es Nicaragua, mich zu beeindrucken: Mit Stift und Papier schreiten wir zur Tuer, wir wollen lernen, wir wollen lernen, du, Lehrer, dein sei die Tafel, wir wollen lernen, wir wollen lernen, so lasst uns schreiten zum Alfabetisieren, wir wollen lernen, wir wollen lernen.
Dann kommen zwei Schuelerinnen mit Geschenken, schnappen sich das Mikrofon und bitten jede Lehrerin (es gibt ja nur einen Lehrer, den Profe Pedro) und eben den Profe Pedro nach vorne. Sie bitten auch mich nach vorne und ich bin ganz nervoes und alle kreischen und rufen meinen Namen. Ich bin ganz rot, aber ich freue mich unglaublich und nehme mein Geschenk entgegen, ein Parfum.
Zum Schluss wird nochmal gesungen, Musik wird gespielt, dann ist es auch schon wieder vorbei und so schnell, wie der acto de los maestros aufgebaut wurde, so schnell wird er auch schon wieder abgebaut. Es bleiben einige Schueler, die zu mir kommen, mir gratulieren, Kuesschen links und rechts geben und ich fuehle mich, zwei Wochen bevor ich dieses Land verlasse, ganz wohl und gluecklich und gemocht.

Samstag, 26. Juni 2010

Noch mehr Regen ... und eine Loesung

Es regnet in diesen Tagen immer wieder, stark und heftig, und Nhoe und ich sitzen im Flur und lernen Englisch, waehrend der Regen auf die Fliesen im Patio klatscht.
Profeeee, sagt Nhoe in einem Tonfall, der eigentlich glauben laesst, dass er ein Ablenkungsmanoever startet; er macht gern mehrere Dinge gleichzeitig, auch wenn es um Unterricht geht. Hast du eigentlich was fuer den Regen dabei? Einen Schirm?
Nein, sage ich. Aber ich hoffe, dass der Regen gleich aufhoert.
Ich hab was, sagt er und faengt ploetzlich an, in seinem Rucksack zu kramen. Hier, guck mal; er holt ein quadratisches Plastikteil hervor, das, schnell ausgefaltet, zu einem gelben Regencape wird. Ich beobachte, wie Nhoe sich hinein zwaengt, dann strahlt er mich an und dreht sich einmal um sich selbst.
Wie gut, dass du das hast, sage ich und zupfe ihm die Kapuze zurecht.
Hab ich von meiner Mammacita, sagt er und es klingt ganz liebevoll dankbar. Ich kanns dir leihen.
Ich muss laecheln, wie ich ihn so sehe. Denn einerseits kann ich mir mich selbst in einem solchen Teil gar nicht vorstellen, andererseits muss ich daran denken, dass er womoeglich von den Aelteren aus seiner Schule wqegen der Ueberzeugung und Ersthaftigkeit, mit der er dieses Cape traegt, ausgelacht wird, - bei diesem Gedanken will ich ihn am liebsten druecken.
Aber wenn ichs dir leihe, meint er, ganz gedankenversunken, hab ich keins mehr.
Tranquilo, sage ich, behalte du es. Der Weg ist ja nicht weit.
Er nickt. Und aus irgendeinem Grund behaelt er sein gelbes Cape die ganze Stunde lang an.

Lauter ganz spezielle Tage

Am Donnerstag war Vatertag. Den hat aber keiner gefeiert, vielleicht, weil die Vaeter so oft verschwinden und die Muetter allein lassen.

Dafuer war Mittwoch Dia de la Solidaridad. Solidaritaetstag quasi; wurde aber auch nicht gefeiert, es gab noch nicht mal schulfrei. Ich bin schwer enttaeuscht.

Der heutige Feiertag faellt auf einen Samstag: dia de la diversidad sexual. Tag der sexuellen Verschiedenheit also, wobei man sich fragt, ob es das wirklich hier, in Nicaragua gibt, denn Homosexuelle werden hier unglaublich stark diskriminiert.
Wir hingegen feiern diesen besonderen Tag im Barista und verfolgen ein lustiges Spiel Korea gegen Uruguay.

Ein kulinarisches Vergnuegen

Am Montag landet ein alter Freund in der Stadt, und obwohl wir darueber Absprache gehalten haben, bin ich ueberrascht, Lukas auf den Strassen Matagalpas ueber den Weg zu laufen; was dann beginnt, ist der wohl erstaunlichste Verkoestigungsmarathon, den ich je mit Besuch (oder auch allein) in Matagalpa hingelegt habe.

Zunaechst lenken uns unsere Schritte zum besten Kakao der Stadt, den man in der Sorbeteria Karla erhaelt; am gleichen Abend greift Tim ein und schleppt Lukas zu den besten Hambugern, die ich je gegessen habe und (Schande ueber mich) die mich letzlich entvegetarisiert haben; das Konzept der drei Maenner, die in dem kleinen Totowagen stehen und Essen verkaufen, heisst: Hamburgerbrot, Salat, Kaese, Ketchup, Fleisch, Tomate, Mayo, Zwiebel, Hamburgerbrot. (Es gibt das auch als dreifachen Hamburger).

Der naechste Morgen beginnt mit einem ausgeladenen Fruehstueck im Barista; Erdbeercrepe und grosser Kaffee fuer umgerechnet 3 Euro. Um ein wenig Scheinkultur in unsere Mampfparade zu bekommen, wagen wir uns auf den Mirador, einen Aussichtspunkt und steigen sogar selbst wieder hinab. Mittagessen gibt es im Madre Tierra, wo wir gleichzeitig das Spiel Argentinien - Griechenland verfolgen.

Gegen halb vier fahren wir in mein Projekt, ich gebe eine Stunde und male wieder Ausserirdische mit einer weiteren Klasse, aber die Schueler der 6to A sind deutlich zu cool und machen lieber Mathehausaufgaben. Irgendwo aergert es mich, und es verletzt mich auch ein bisschen; aber jetzt nochmal so richtig einen auf Lehrmeister zu machen - wobei ich das ja noch nicht mal bin -, macht fuer zwei Wochen Unterricht keinen Sinn mehr; ich mag den Gedanken nicht, dass man mich so im Gedaechtnis behaelt.

Nach der Schule trinken wir einen Batido, einen ca. 400-500 ml Milchshake, mit Geschmack Pitahaya. Es ist suess und macht Hunger auf etwas Richtiges. Und so sitzen wir um halb sieben mit Luisa in der Pizzeria.
Ein strenges Programm, fuer Magen und Geldbeutel; ich habe Glueck, wenn man so will, denn einzig den Kakao habe ich mitgemacht, danach hat mein Magen aufgegeben. Zwei Tage spaeter spreche ich mit Lukas, - dem es genau so geht.

Dienstag, 22. Juni 2010

Haus ueber Bord

Man mag es kaum glauben, aber auch nach 11 Monaten in Nicaragua erleben wir immer wieder Premieren. Das ist auch gut so, kann man da sagen, denn sonst waere es ja auch ganz langweilig. Die letzte Erfahrung allerdings haetten wir uns auch trocken vorstellen koennen.
Denn es ist nun mal gerade so in Nicaragua bzw. Matagalpa, dass wir uns in der Regensaison befinden, quasi der zweiten und letzten Jahreszeit neben dem Sommer hier. Und so faellt eigentlich jeden Tag Regen und manchmal kracht es auch gewaltig, was im Prinzip fuer den Kulturerforschenden keine Neuigkeit und erst recht nichts Beunruhigendes ist; und doch erging es uns am Freitagnachmittag boese bzw. nass.
Nichtsahnend und froehlich sassen wir in der Kueche und unterhielten uns, waehrend ein wahrer Prasselregen auf diese wunderschoene Stadt niederkam. Wir dachten uns nichts dabei und entschieden uns, einen Film zu gucken.
Als wir jedoch in mein Zimmer kamen bzw. davor standen, war es aus mit dem Film: denn irgendwas abgrundtief Boeses hatte sich in unseren Abfluss geschummelt und verstopfte nun das Rohr. Das Wasser, das da aus aller Himmelshoehe auf uns nieder kam, suchte sich also seinen Weg in mein Zimmer, fand es dort ganz schoen und staute sich auf sagenhafte 30 Zentimeter. Ich habe einen kleinen blauen Bettvorleger - er schwamm mir gemuetlich entgegen.
Panisch und so gar nicht serioes riefen wir also erstmal um Hilfe, schrubbten das Wasser mit dem Besen weg und entkorkten den Abfluss. Letztlich ist nicht viel passiert, und doch ist eine unserer Kameras nun waessrig und somit nicht mehr funktionstauglich.

Donnerstag, 17. Juni 2010

Lauter Ausserirdische

In vier Wochen sind wir bereits zu Hause. Vier Wochen, Leute! Das geht wahnsinnig schnell und zieht sich hin zugleich; man denkt, jetzt ist es nicht mehr lange, aber dann merkt man, dass ein einziger Tag auch seine 24 Stunden hat. Gut, eigentlich, denn so bleibt uns Zeit, die Zeit zu geniessen, die uns bleibt; und bei jedem Schritt, den wir hier in der Calle Central machen, bei jedem Tag im Projekt geniessen wir mehr, erleben bewusster.
Waehrend es fuer mich vollkommen klar war, dass ich irgendwann wieder zurueck nach Deutschland komme, verstehen meine Schueler das gar nicht. Wie, du gehst zurueck? Wohin gehst du denn? Und waehrend ich ein relativ klares Bild von meiner Zukunft habe, habe ich in der vergangenen Woche gemerkt, dass meine Schueler da ganz anders sind.
Wie sie sich die Zukunft vorstellen, habe ich gefragt und jedem ein Blatt Papier gegeben. Einige Maedchen malen Baeume, Baeche, Fluesse und Ponys, ein Junge malt ein zerstoererisches Superufo, ein anderer einen Nationalpark mit Delfin. David malt ein Fussballfeld und schreibt: mi futuro - nicaragua vs. turquia. Meine Zukunft: Nicaragua vs. Tuerkei. Er denkt realistisch, zumindest realistischer als Christopher.
Der schreibt mir einen Roman mit kleinen Illustrationen und prophezeiht mir folgendes: Die Sterne werden auf uns niederfallen, die Sonne wird sich verdunkeln und ein Regen aus Feuer wird auf die Erde rasen. Es wird einen Kampf zwischen Gut und Boese geben. Einige sagen, dass ein Jesus kommen wird. Wenn das Gute gewinnt, werden wir zum Paradies gelangen; wenn nicht, werden uns Satane regieren und die Erde wird zur Hoelle.
Ich runzle die Stirn und bin mir nicht ganz sicher, was ich sagen soll. Ich hatte nach der Zukunft gefragt, nicht nach dem Ende der Welt, der Apokalypse. Irgendwie gefallen mir die vielen kleinen Aliens viel mehr.

Los Alemanes del ferro - die eisernen Deutschen

Auch hier hat der Copa mundial begonnen; Freitagmorgen sitzen Tim und ich um sechs Uhr morgens in einer Bar und geniessen das Eroeffnungspaket: Pfannkuchen plus Fruchtsaft fuer 40 Cordoba (1.75) und Eroeffnungsfeier in Johannesburg, Suedafrika. Wir sehen bunte Menschen tanzen, sehen R. Kelly singen und einigen uns sehr schnell darauf, dass er sich musikalisch nicht veraendert hat und uns irgendwie nicht gefaellt. Es wird noch weiter getanzt und dann beginnt das erste Spiel.

Sonntag sind wir wieder in der gleichen Bar und verfolgen das Spiel; als Gag haben wir uns Schwarz (Tim), Rot (Vivi), Gold (ich) angezogen und posen als Flagge, wobei wir uns vertikal verhalten und somit eher Belgien darstellen koennten, doch unser Einsatz wird nicht mehr horizontal.
Das Ergebnis des Spieles stellt uns natuerlich hochzufrieden, aber den wirklichen Effekt bemerke ich erst in der folgenden Woche: denn das 4 : 0 verleiht auch mir ein Gesicht, ploetzlich wissen meine Schueler etwas mit Alemania anzufangen, sie wissen zumindest, dass man dort 4:0-Fussball spielt und da Nicaragua bisher nur einmal mitgemacht hat, haben sie einigen Respekt fuer mich. Sie handeln uns hier schon als Weltmeister, die starken Deutschen, so sagen sie es.
Rosa, eine Professorin, erzaehlt mir heute ganz aufgeregt, dass sie die Deutschen attraktiv findet, diese hombres del ferro, diese Maenner aus Stahl. Profe Pedro verhaelt sich etwas diskreter, er will einzig und allein die Situation vom Sonntag mit mir und seiner Klasse nachspielen, was so viel heisst wie: 6to B gegen mich.
Er findets klasse.

Sportlich, sportlich

Nicaragua ist ein Land, in dem man viel unternehmen und noch mehr sehen kann; vor einer Woche zog es uns so eigentlich hasta al fondo, wie man hier sagen koennte, bisganz nach unten, - zum Inselarchipel Solentiname, das eigentlich nur deshalb einigen ein Begriff ist, weil Ernesto Cardenal sich dort zurueck zieht.

Sich zurueckziehen, besser verschwinden, kann man wirklich gut auf Solentiname, denn die meisten Nicaraguaner, denen ich erzaehlte, wohin die Reise geht, wussten noch nicht einmal, dass es diese Insel dort unten al fondo wirklich gibt.
Zugegeben, die Reisebedingungen sind auch uebelst unangenehm: entweder 2 Stunden Bus nach Managua, dann 1 Stunde nach Granada, von dort 18 Stunden im Boot, dann zwei Stunden in der Lancha und dann ist man da. Oder zwei Stunden Bus nach Managua, zehn Stunden Busfahrt nach San Carlos (wobei der letzte teil der Strecke puro polvo ist, also blosser Staub, nicht asphaltiert), zwei Stunden in der Lancha.

Wir hingegen waren fest entschlossen, dorthinzufahren; wegen dem Mond, der dort so gross und hell sein soll, genau so die Sterne, wegen dem klaren Wasser und den tausend Gluehwuermchen bei Nacht, wegen den vielen Kuenstlern, die dort alternativ hippiemaessig leben. Aber gefahren sind wir nicht; vielleicht wegen den schlechten Verkehrsverbindungen, vielleicht wegen den vielen Muecken, die es dort gibt, vielleicht weil wir selbst in Nicaragua uns vor einer netzwerklosen telefonarmen Gegend fuerchten, vielleicht weil dort alles furchtbar teuer ist und man sich aus Reisezwecken nur Nudeln mit Tomatensosse fuer die ganze Woche leisten kann.
Zwei Seiten hat die Medaille, wir entschieden uns fuer San Juan del Sur, einen Surfer-Badeort an der Pazifikkueste Nicaraguas, nahe der costaricanischen Grenze. Heiss ist es dort, und ganz anders als sonst so in Nicaragua.
Hier traegt man Surfbretter mit sich und trifft groesstenteils auf Gringos, weisse Menschen mit hellen Haaren, man spricht Englisch, isst gut und verbringt den ganzen Tag am Strand, um auf Wellen zu reiten und mit Delphinen zu schwimmen.

So aehnlich taten wir es dann auch; wir bekamen Rabatt im Hotel und zahlten sagenhafte 5 Dollar die Nacht, das Wetter mussten wir nicht bezahlen, doch es war die ganze Zeit gut. Surfen fuhren wir auch, doch das Brett knallte wenig sportlich gegen meinen Kopf, was natuerlich ganz allein die Schuld vom Brett war. Braun gebrannt kamen wir zurueck und doch hatten wir ein merkwuerdiges Gefuehl bei uns, als wir all diese fremden Englaender und Amerikaner sahen und die Nicas vermissten.

Denn noch immer stehen die guten Seiten Nicaraguas nur denen offen, die auch das Portal bezahlen koennen; und so haben wir als Freiwillige bereits mehr vom Land gesehen als unsere Lehrer oder Direktorinnen. Wenn ich sage: ich fahre nach Somoto, dann fragen sie mich mit grossen Augen: was ist das? was gibt es da? Dabei ist der Canyon de Somoto auf jedem 50-Cordoba-Schein.
Vielleicht ist es immer so, dass Besucher das Land besser durchforsten als die eigentlichen Bewohner; aber in San Juan del Sur, so schoen es auch war, empfindet man diese Tatsache als durchaus ungerecht.

Freitag, 11. Juni 2010

Das Fest der Erde

Und wieder feiert Matagalpa ein entscheidendes Ereignis: das Fest der Erde, Verzeihung Mutter Erde. Auf diesen Zusatz besteht man hier in Nicaragua, denn man ist sich der Natur bewusst. Erst letztens mussten Lina und Vivi sich in ihrer Schule folgenden Satz anhören: Wir Zentralamerikaner haben ein ganz anderes Verhältnis zur Natur, wir haben ein Bedürfnis, denn wir sind ihre Kinder, deshalb nennen wir sie Mutter Erde, denn sie gibt uns das Leben. Aber stellt euch vor, die Menschen in Europa sagen einfach nur Erde, Erde, so wie Matsch, als wäre es nichts besonderes. Die Menschen dort wissen überhaupt nicht, die Natur zu schätzen.
Nun, da weiß man auch nicht, was man sagen soll; aber immerhin: die Feria nacional de la tierra findet erstmals in Matagalpa statt, ganz Nicaragua reist in die Kaffeeberge, um die Natur zu ehren; wäre die feria in Tipitapa, Mulukuku oder Muy Muy, würden alle dorthin reisen; aber sie sind in Matagalpa. Kleine Buden werden aufgebaut, Artesanias werden verkauft, Guirilla, Tortilla, Cuajada und viel Mais wird gegrillt, gebruzzelt und gegessen, Musik wird gespielt, morgens, mittags, abends, leider auch nachts und darunter leiden die direkten Anwohner - wir.

Freitagmorgen findet eine Parade statt, viele kleine Kinder verkleiden sich als Bäume, Sonnenblumen oder laufen einfach halbnackt herum, wie das in Nicaragua bei eben diesen Paraden vollkommen normal ist; es gibt Dinge, an die man sich nie gewöhnt. Sie halten Plakate hoch, auf denen steht: Rettet die Erde! Oder Die Zukunft liegt in euren Händen.
Abends spielt das wohl bekannteste nicaraguanische Duo Guardabarranco, sie singen ihre Lieder, in denen es meistens um die Mutter Erde geht - und es sind wirklich schöne Lieder -, und das passt prima zur feria.

Doch so schnell die Zelte aufgeschlagen wurden, so schnell verschwinden sie auch schon am nächsten Tag; was bleibt ist ein Haufen Müll, der einfach so dagelassen wurde, am Tag der Madre Tierra.

Mittwoch, 2. Juni 2010

Unsere neue Wohnung

Hier kommen die Bilder unserer neuen Wohnung, dabei bleiben uns noch 7 Wochen, um dort zu leben.







Der Tag der Kinder

Ihr werdet lachen, denn wir feiern schon wieder. Aber so ist es im Kommunismus, man erinnert sich der guten Dinge, man feiert das Schöne, das Lebendige; also auch die Kinder.

Gestern war der Dia de los ninos, und ich verbrachte den gesamten Vormittag damit, im Park Santa Julia Billiart Kuchen zu schneiden und auf die Gemelos aufzupassen, während der Rest der Kindergartenkinder tanzte und sich über eine pinata freute. Ein Spiderman und ein blauer Bär aus Pappe und Krepppaier hingen über den Köpfen der Kleinen und wurden schließlich unter Jubel zerschlagen, Süßigkeiten flogen durch die Luft und ein Haufen Dreijähriger stürzte sich auf Bonbons, Lutscher und Kaugummi.

Wenig später gebe ich meine Klasse in der Escuela Publica Wuppertal; die sechste Klasse von Profe Maritza ist gelangweilt, wegen dem Tag der Kinder spielen wir Galgenmännchen mit englischen Begriffen, aber ich habe nicht mit dem Aggresionspotenzial einiger Mädchen gerechnet, die einem simplen Prinzip folgen: Grundsätzlich ist der andere Schuld und schummelt.
Zum Schluss verteile ich Bonbons, mit einem Mal steht Profe Maritza neben mir, lächelt mich an und streckt mir die offene Hand entgegen: "Sind wir nicht alle Kinder?", fragt sie.
Während ich ihr diese Frage mit einem Bonbon beantworte, bleibt eine andere offen: warum war heute nicht frei?

Montag, 31. Mai 2010

Geschickt, geschickt

Die Nicaraguaner wissen, wie man ein Lächeln auf die Gesichter der anderen zaubert, sie wissen, wie sie sich Vorteile verschaffen, ohne dass irgendjemand widersprechen könnte, sie wissen, wie man sich einen ganz plötzlichen Feiertag verschafft; sie sind geschickt, spielen mit den Gesetzen wie mit den Worten, haben zu allem eine lockere Einstellung, sie nehmen nichts zu ernst, weil sie wissen, dass das Leben für derartiges viel zu kurz ist. So scheint es zumindest.
Seit zehn Monaten treffen wir auf das nicaraguanische Gemüt, und noch immer verstehen sie es, uns zu überraschen, - so zum Beispiel heute.
Tim geht in die Schule und kehrt nach zehn Minuten wieder: die Schule ist geschlossen. Ich mache mich auf den Weg in den Kindergarten, - und komme nach zehn Minuten wieder: heute kommen keine Kinder.
Und warum?
Es ist Feiertag, - ganz plötzlich. Irgendjemand hat es heute Morgen im Ministerium de Educacion beschlossen, und sofort laufen die Leitungen in ganz Nicaragua heiß, während sonst gar nichts mehr läuft. Die Calle Central in Matagalpa liegt still, Geschäfte sind geschlossen, die Taxis fahren spärlich in der Straße, wo es sonst recht eng ist.
Donnerstag war ebenfalls frei, der Tag der Mutter wurde gefeiert, der eigentlich erst Sonntag war; aber weil er am 30. Mai diesen Jahres auf einen Sonntag fiel, feierte man bereits Donnerstag. Freitag war ebenfalls frei, TEPSE, wie es heißt, die schulischen und vorschulischen Einrichtungen der Stadt treffen sich. Sonntag also Tag der Mutter, auch da war frei - und dann heute, ein ganz normaler Montag? Nicht in Nicaragua. Schließlich war gestern Tag der Mutter. Also ist auch heute frei.
Das soll mir mal jemand erklären.

Freitag, 28. Mai 2010

Der Tag der Mutter

Die Mutter bzw. die Frau ist etwas Besonderes in Nicaragua; sie wird verehrt und doch manchmal auch sitzen gelassen. Um sich jedoch daran zu erinnern, was die Mutter alles für die Kinder und für die Gesellschaft tut, gibt es hier den Tag der Mutter, den dia de las madres. Ihn mit dem Begriff Muttertag zu übersetzen, hilft vielleicht zum Verständnis, allerdings ist es nicht das gleiche.

Denn der nicaraguanische Muttertag ist anders, als der deutsche: es ist beinahe ein gesetzlicher Feiertag, jede Schule veranstaltet ein event, einen acto de las madres, bei dem die Mutter gefeiert wird. Zudem bekommen alle Mütter Geschenke, Glückwunschkarten etc. Natürlich spielen auch die Geschäfte in der matagalpinischen Calle Central verrückt, rote Herzen hängen überall, Sprüche wie El amor de mama es como el amor de dios (Mutters Liebe ist wie Gottes Liebe) tauchen überall auf, selbst Handyanbieter schicken uns SMS zum dia de las madres.

In der Escuela Publica Wuppertal läuft es rund am gestrigen Morgen. Jede Klasse hat etwas vorbereitet, einige fünfzig Mütter sind gekommen, trotz des Regens, der unablässig fällt. Ich setze mich zusammen mit einer Lehrerin in einen Wald aus Herzen und wir beobachten das Geschehen; zunächst wird die Nationalhymne gesungen und sie klingt immer ein bisschen traurig, heute verstärkt der Regen dieses Bild. Darafhin spricht ein Priester ein Gebet für die Mutter, ein Mädchen tanzt, ein paar Jungen sprechen über die Bedeutung der Mutter, wieder wird getanzt und gesungen, Gedichte werden vorgetragen.
Schließlich geht Judtih auf die Bühne.
Wir haben etwas vorbereitet, sagt sie, mit strahlenden Augen, wir suchen die Mütter mit den meisten Kindern.
Sofort meldet sich eine Frau und hält beide Hände in die Luft. 10 Kinder hat sie. Eine andere meldet sich, elf Kinder, ruft sie. Doch das ist gar nichts, liebe Leute.
Eine ältere Frau, die wir bereits als Oma bezeichnen würden (womöglich ist sie das auch schon), meldet sich und wird auf die Bühne gebeten.
Und, wie viele Kinder haben sie?
Es sind dreizehn, die bei mir wohnen, sagt sie und lächelt schwach.
Und, wie viele haben sie?, fragt Judith wieder.
Die viejita guckt kurz zum Himmel, als müsste sie nachzählen, dann nickt sie energisch und sagt glücklich: 18.
Das ist selbst für nicaraguanische Verhältnisse viel. Sie bekommt im Anschluss ein Geschenk und setzt sich glücklich wieder ins Publikum. Daraufhin werden noch die Mutter mit dem längsten Haar und die jüngste Mutter gesucht; die jüngste Mutter ist 16 und auch sie nimmt strahlend ein Geschenk entgegen.

Ein letzter Tanz, und dann ist der acto de las madres auch schon wieder vorbei. Die Lehrerinnen und ich gehen ins Direktorat, wo man Kuchen und Orangensaft trinkt, Norma verteilt Geschenke an alle Mütter und lacht mich entschuldigend an.
Der Kuchen ist wie immer: süß und unglaublich groß, kitschig, mit Rosen und Beschriftungen, aber darauf stehen die Nicas. Und letztlich war es ein schöner Muttertag.

Als ich gehe, treffe ich Profe Pedro, der sich wohl zum ersten Mal fehl am Platze fühlt, - was soll er auch, am Muttertag, hier, mit all den Müttern? Nicht ein Vater war bei der Veranstaltung anwesend, einzig Mütter und ihre Kinder (gut, ein paar Jungs).
Und, frage ich, was machen Sie am Tag der Mutter?
Er guckt mich an, dann lacht er: Eine Frau zur Mutter.
Und das ist auch typisch Nica.

Was es heißt, zu gehen

Mit knapp zwanzig Jahren Lebenserfahrung habe ich mich entschlossen, ab Sommer 2009 für ganze zwölf Monate nach Nicaragua zu gehen; dass es geklappt hat, hatte ich zwischendurch nicht wirklich gedacht; aber dass ich nun, Anfang Juli, so kurz vor der Ausreise stehe und meine Schulzeit einfach so an mir vorbei gegangen ist - das ist noch weniger zu begreifen. Ich werde natürlich an diesem Zustand nichts ändern können und freue mich tatsächlich wahnsinnig auf die Zeit in Mittelamerika. Bisher haben sich meine Auslandserfahrungen auf den europäischen Raum begrenzt; am 23. Juli geht es jedoch los in ein Land, von dessen Existenz ich zuvor zwar wusste, aber an das ich doch zugegeben wenig gedacht habe - und das ich geographisch als Abiturientin "drüben" eingeordnet habe.

Innerhalb eines Jahres werden sich mein Weltbild, meine geographischen und kulturellen Kenntnissen verschieben, neu ordnen. Ich werde einen Teil der Welt kennen lernen, der von Armut, Korruption, Drogen und der Hoffnung auf Besserung bestimmt wird, - aber genau so von Gastfreundlichkeit, Freude am Leben und an dem wenigen, das man hat.

Ich verlasse meine Heimat, ohne zu wissen, was Heimat eigentlich ist.

Natürlich werde ich wiederkommen - jedenfalls gehe ich stark davon aus -, aber die Entwicklung, die ich in diesem Jahr vollziehen werde, ist jetzt noch gar nicht abzusehen. Es fällt leicht, über all diese Dinge an einem warmen, geheizten Ort (im Winter) zu schreiben, wenn man von all dem umgeben ist, das man zum Leben braucht. Wie es tatsächlich in Nicaragua aussieht, was sich tatsächlich hinter dem Wort Armut verbirgt und was man als Europäer tun kann oder tun muss, werde ich erst in einem Jahr wissen. Dieser Blog ist daher zweierlei: einerseits eine Informationsstation, die allen, die es interessiert oder auch nur zufällig hierher stolpern, Eindrücke meines Lebens in Nicaragua schildern soll; andererseits eine Gedankenkiste, in der ich all das verarbeiten und mitteilen kann, was ich hier erlebe; im Großen und Ganzen ist es dabei auch ein Beitrag meinerseits, um eine Welt, die unglaublich verknüpft ist und die denkbar unvorstellbar von der Technik und dem Fortschritt profitiert, zu ermöglichen, die sich in all der Schnelllebigkeit auch noch gegenseitig versteht und zuhört.