Sonntag, 6. September 2009
Mirte zieht ein
Mirte fühlte sich dabei so wohl, dass sie sich auf den Boden legte und mit den Armen ruderte und Fraukje wurde plötzlich von dem Wunsch gepackt, ebenfalls einzuziehen. Das war vermutlich aber auch nur eine Rotweinidee.
Anschließend tanzten wir wie wild in unserer Küche und leuchteten unsere Discokugel an. Unsere Nachbarn von Gegenüber stellten sich neugierig ans Fenster und guckten zu, wie Mirte, Diana, Tim, Fraukje und ich tanzten und lachten und unseren ganz eigenen, europäischen Spaß hatten.
Anschließend ging es ins Artesanos, das normalerweise am Wochenende Treffpunkt der ganz Coolen ist (um die Quote zu senken, gehen wir manchmal auch dorthin). Gestern war das anders, denn gegenüber wurde eine weitaus größere Party gefeiert: überall standen Frauen mit Pfennigabsätzen herum, auf dem Dach das Hauses stand eine überdimensionale Bierdose aus Plastik und Stoffpalmen und merkwürdig große Werbeartikel wiegten sich im Wind. Dazu wurden die Treppen belagert von Blaskapellen und Tuba spielenden Zwergen und alles in allem herrschte im Artesanos eine stille Fassungslosigkeit über das, was gegenüber geschah. Mirte, Fraukje, Lina und ich schaukelten derweil ein wenig in den Schaukelstühlen, ließen uns Schweinereien von nicaraguanischen Männern mit schwindendem Haaransatz zuraunen, die wir alle nicht verstanden, und ignorierten alles, was um uns herum geschah.
Irgendwann wurde uns selbst das zu bunt und schließlich gingen wir nach Hause.
Das Bett, das wir übrigens gestern für Mirte in Guanuca kaufen wollten, werden wir selbst bauen. Bei einer groben Rechnung fanden wir heraus, dass es weitaus billiger und weitaus lustiger sein wird.
Mirte wird in zwei Wochen einziehen. Bis dahin ist noch eien Geburtstagsfeier für Tim und Mirte geplant, zu der wir auch schon einige Leute eingeladen haben, die sich alle unglaublich freuten.
Alles in allem verspricht der September, ein sehr guter Monat für uns zu werden.
Was es heißt, zu gehen
Mit knapp zwanzig Jahren Lebenserfahrung habe ich mich entschlossen, ab Sommer 2009 für ganze zwölf Monate nach Nicaragua zu gehen; dass es geklappt hat, hatte ich zwischendurch nicht wirklich gedacht; aber dass ich nun, Anfang Juli, so kurz vor der Ausreise stehe und meine Schulzeit einfach so an mir vorbei gegangen ist - das ist noch weniger zu begreifen. Ich werde natürlich an diesem Zustand nichts ändern können und freue mich tatsächlich wahnsinnig auf die Zeit in Mittelamerika. Bisher haben sich meine Auslandserfahrungen auf den europäischen Raum begrenzt; am 23. Juli geht es jedoch los in ein Land, von dessen Existenz ich zuvor zwar wusste, aber an das ich doch zugegeben wenig gedacht habe - und das ich geographisch als Abiturientin "drüben" eingeordnet habe.
Innerhalb eines Jahres werden sich mein Weltbild, meine geographischen und kulturellen Kenntnissen verschieben, neu ordnen. Ich werde einen Teil der Welt kennen lernen, der von Armut, Korruption, Drogen und der Hoffnung auf Besserung bestimmt wird, - aber genau so von Gastfreundlichkeit, Freude am Leben und an dem wenigen, das man hat.Ich verlasse meine Heimat, ohne zu wissen, was Heimat eigentlich ist.
Natürlich werde ich wiederkommen - jedenfalls gehe ich stark davon aus -, aber die Entwicklung, die ich in diesem Jahr vollziehen werde, ist jetzt noch gar nicht abzusehen. Es fällt leicht, über all diese Dinge an einem warmen, geheizten Ort (im Winter) zu schreiben, wenn man von all dem umgeben ist, das man zum Leben braucht. Wie es tatsächlich in Nicaragua aussieht, was sich tatsächlich hinter dem Wort Armut verbirgt und was man als Europäer tun kann oder tun muss, werde ich erst in einem Jahr wissen. Dieser Blog ist daher zweierlei: einerseits eine Informationsstation, die allen, die es interessiert oder auch nur zufällig hierher stolpern, Eindrücke meines Lebens in Nicaragua schildern soll; andererseits eine Gedankenkiste, in der ich all das verarbeiten und mitteilen kann, was ich hier erlebe; im Großen und Ganzen ist es dabei auch ein Beitrag meinerseits, um eine Welt, die unglaublich verknüpft ist und die denkbar unvorstellbar von der Technik und dem Fortschritt profitiert, zu ermöglichen, die sich in all der Schnelllebigkeit auch noch gegenseitig versteht und zuhört.
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