Samstag, 6. März 2010

Gut getackert

Ich stehe allein vor dreißig Kindern. Mittlerweile komme ich mit meiner Aufgabe gut zurecht, ich brauche weniger Zeit, um meinen Unterricht vorzubereiten und doch ist man immer noch mit mir zufrieden. Mit den Kindern bin ich mittlerweile am Spaßen und sie nehmen mich - halbwegs ernst.
Ich stehe also da, die Sonne scheint wie sonstwas auf die Wellblechdächer der Escuela Publica Wuppertal und stelle die Masterfrage: Was ist eigentlich Wuppertal?
Sie gucken mich ein bisschen ratlos an, in einer Mischung aus Fassungslosigkeit und Belustigung.
Eine Schule, eine Schule!
Diese Schule!, ruft ein anderer.
Alles richtig.
Aber auch: eine Stadt in Deutschland.
Zunächst sitzen sie ein bisschen perplex da, als sei das nun doch zu viel, dann zeichnet sich bei einigen der Faden des Begreifens im Gesicht deutlich nach:
Und du kommst aus Wuppertal, Profe!
Nein, sage ich und schüttle den Kopf, aber aus der Nähe. Relativ.

Und so beginnen wir, Briefe an eine Wuppertaler Schule zu schicken, deren Briefe ich im Juli mit nach Matagalpa nahm. Wie sie heißen, sollen die Kinder schreiben, was sie gerne tun, welche Sportart ihre Lieblingssportart ist; wenn sie wollen, können sie auch über ihre Familie schreiben, wie viele Brüder und Schwestern sie haben, und was sie später mal werden wollen. Die Briefe, die dabei entstehen, sind wahre diplomatische Kunstwerke. Bevor ich jedoch zitiere, tackert Heydi sich kunstvoll in den Daumen. Und zwar ziemlich fest.
Nun bin ich allein da, Profe Pedro sonnt sich und da möchte ich nicht stören; ich schnappe mir Heydis (gesunde) Hand und gemeinsam eilen wir zu Mercedes. Wir bekommen Watte und Toilettenpapier und mit ein wenig Wasser verarzte ich schließlich das kleine Mädchen, das etwas verstört die Tränen verdrückt. Nach fünf Minuten ist sie wieder am Kichern und der Daumen ist vergessen, aber immerhin noch dran.

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Was es heißt, zu gehen

Mit knapp zwanzig Jahren Lebenserfahrung habe ich mich entschlossen, ab Sommer 2009 für ganze zwölf Monate nach Nicaragua zu gehen; dass es geklappt hat, hatte ich zwischendurch nicht wirklich gedacht; aber dass ich nun, Anfang Juli, so kurz vor der Ausreise stehe und meine Schulzeit einfach so an mir vorbei gegangen ist - das ist noch weniger zu begreifen. Ich werde natürlich an diesem Zustand nichts ändern können und freue mich tatsächlich wahnsinnig auf die Zeit in Mittelamerika. Bisher haben sich meine Auslandserfahrungen auf den europäischen Raum begrenzt; am 23. Juli geht es jedoch los in ein Land, von dessen Existenz ich zuvor zwar wusste, aber an das ich doch zugegeben wenig gedacht habe - und das ich geographisch als Abiturientin "drüben" eingeordnet habe.

Innerhalb eines Jahres werden sich mein Weltbild, meine geographischen und kulturellen Kenntnissen verschieben, neu ordnen. Ich werde einen Teil der Welt kennen lernen, der von Armut, Korruption, Drogen und der Hoffnung auf Besserung bestimmt wird, - aber genau so von Gastfreundlichkeit, Freude am Leben und an dem wenigen, das man hat.

Ich verlasse meine Heimat, ohne zu wissen, was Heimat eigentlich ist.

Natürlich werde ich wiederkommen - jedenfalls gehe ich stark davon aus -, aber die Entwicklung, die ich in diesem Jahr vollziehen werde, ist jetzt noch gar nicht abzusehen. Es fällt leicht, über all diese Dinge an einem warmen, geheizten Ort (im Winter) zu schreiben, wenn man von all dem umgeben ist, das man zum Leben braucht. Wie es tatsächlich in Nicaragua aussieht, was sich tatsächlich hinter dem Wort Armut verbirgt und was man als Europäer tun kann oder tun muss, werde ich erst in einem Jahr wissen. Dieser Blog ist daher zweierlei: einerseits eine Informationsstation, die allen, die es interessiert oder auch nur zufällig hierher stolpern, Eindrücke meines Lebens in Nicaragua schildern soll; andererseits eine Gedankenkiste, in der ich all das verarbeiten und mitteilen kann, was ich hier erlebe; im Großen und Ganzen ist es dabei auch ein Beitrag meinerseits, um eine Welt, die unglaublich verknüpft ist und die denkbar unvorstellbar von der Technik und dem Fortschritt profitiert, zu ermöglichen, die sich in all der Schnelllebigkeit auch noch gegenseitig versteht und zuhört.