Dienstag, 25. Mai 2010
Death Proof: Chicharron
Karelia steht da, mit einem Teller Gallo Pinto, mit einer Tortilla und einem Stückchen Cuajada (Käse). "Ich habe Gallo Pinto mitgebracht", sagt sie, "es ist das Nationalgericht Nicaraguas, und hier habe ich ein Glas Pinol, das ist das Nationalgetränk. Es wird aus Mais hergestellt. Um Gallo Pinto zu kochen, lasse ich Öl in eine Pfanne, dann füge ich ein paar Zwiebeln hinzu. Es folgen die Bohnen, ich lasse sie in ihrem Saft mitkochen, anschließend lasse ich ihn ablaufen. Zum Schluss füge ich den Reis hinzu, der die Farbe der Bohnen annimmt. Ich serviere Gallo Pinto mit einem Stück Ziegenkäse und einer frischen Maistortilla."
Dafür kriegt sie 15 Punkte. Wenn sie im Anschluss noch einen Volkstanz tanzt, bekommt sie 25 Punkte. Einige Kinder haben nichts mitgebracht und wollen auch nicht tanzen, andere hingegen kriegen nicht genug.
Es ist bereits 16:00 Uhr und ich denke, dass ich nun, in den letzten 15 Minuten Englisch unterrichten kann, - da kommt Rosa auf eine Idee.
Hey, wie wärs, wenn wir Barbara von jedem etwas geben.
Super, die Kinder sind begeistert, und mein Magen kriegt Angst.
Im Nu hat Rosa von jedem etwas auf einen umgedrehten Kochdeckel stibitzt, Amilcar verdonnert sie dazu, mir die Hälfte seiner Tortilla zu schenken, Karelia klaut sie ihr Glas Pinol. Meine Nachmittagsmahlzeit besteht aus Gallo Pinto, Cuajada, Tortilla, Nacatamales vom Schwein (eine Masse aus Mais, Kartoffeln und Schweine- oder Hähnchenfleisch, eingewickelt und gekocht in einem Palmenblatt) und Chicharron.
Ich quäle mich ein bisschen durch die Nahrung, denn bereits zwei Stunden vorher wurde ich auf eine Nacatamal eingeladen und es stellte sich nicht als mein Leibgericht heraus.
Doch die Krönung des Ganzen ist Chicharron. Seit gut vier Monaten esse ich wieder Fleisch und bisher habe ich auch in Nicaragua keine böse Erfahrung gemacht - doch jetzt kommt sie.
Ich knabbere ein bisschen am Chicharron herum, ohne recht zu wissen, was es ist. Es sieht aus wie ein kleines Bienennest zum Knabbern, aber es schmeckt nicht nach Honig, es schmeckt komisch. Anibal ist an meiner Seite und ich frage ihn ein bisschen zögernd, was das denn wäre.
Das ist Chicharron, sagt er begeistert und seine Augen strahlen.
Und was ist das? Ist das Fleisch?
Nein. Er lacht.
Woher kommt es dann? Ich finde es nicht so lustig, denn ich weiß gerne, was ich esse.
Vom Schwein!
Aha, und was vom Schwein ist es genau?
Er strahlt weiter, als er mir erzählt, wie man das genau kocht. Dem Schwein wird die Haut abgezogen und die wird anschließend in heißem Öl gewendet.
Ich erkläre ihm, dass ich Vegetarierin bin und die gute gute Schweinehaut aus moralischen Konfliktgründen nicht zu mir nehmen kann. Er strahlt noch mehr.
Was es heißt, zu gehen
Mit knapp zwanzig Jahren Lebenserfahrung habe ich mich entschlossen, ab Sommer 2009 für ganze zwölf Monate nach Nicaragua zu gehen; dass es geklappt hat, hatte ich zwischendurch nicht wirklich gedacht; aber dass ich nun, Anfang Juli, so kurz vor der Ausreise stehe und meine Schulzeit einfach so an mir vorbei gegangen ist - das ist noch weniger zu begreifen. Ich werde natürlich an diesem Zustand nichts ändern können und freue mich tatsächlich wahnsinnig auf die Zeit in Mittelamerika. Bisher haben sich meine Auslandserfahrungen auf den europäischen Raum begrenzt; am 23. Juli geht es jedoch los in ein Land, von dessen Existenz ich zuvor zwar wusste, aber an das ich doch zugegeben wenig gedacht habe - und das ich geographisch als Abiturientin "drüben" eingeordnet habe.
Innerhalb eines Jahres werden sich mein Weltbild, meine geographischen und kulturellen Kenntnissen verschieben, neu ordnen. Ich werde einen Teil der Welt kennen lernen, der von Armut, Korruption, Drogen und der Hoffnung auf Besserung bestimmt wird, - aber genau so von Gastfreundlichkeit, Freude am Leben und an dem wenigen, das man hat.Ich verlasse meine Heimat, ohne zu wissen, was Heimat eigentlich ist.
Natürlich werde ich wiederkommen - jedenfalls gehe ich stark davon aus -, aber die Entwicklung, die ich in diesem Jahr vollziehen werde, ist jetzt noch gar nicht abzusehen. Es fällt leicht, über all diese Dinge an einem warmen, geheizten Ort (im Winter) zu schreiben, wenn man von all dem umgeben ist, das man zum Leben braucht. Wie es tatsächlich in Nicaragua aussieht, was sich tatsächlich hinter dem Wort Armut verbirgt und was man als Europäer tun kann oder tun muss, werde ich erst in einem Jahr wissen. Dieser Blog ist daher zweierlei: einerseits eine Informationsstation, die allen, die es interessiert oder auch nur zufällig hierher stolpern, Eindrücke meines Lebens in Nicaragua schildern soll; andererseits eine Gedankenkiste, in der ich all das verarbeiten und mitteilen kann, was ich hier erlebe; im Großen und Ganzen ist es dabei auch ein Beitrag meinerseits, um eine Welt, die unglaublich verknüpft ist und die denkbar unvorstellbar von der Technik und dem Fortschritt profitiert, zu ermöglichen, die sich in all der Schnelllebigkeit auch noch gegenseitig versteht und zuhört.
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