Donnerstag, 8. Juli 2010

Lago de Nicaragua: Nichts gesehen, trotzdem nass

Um zwei Uhr legt die Faehre Hilario Sanchez von San Carlos ab. Unser Ziel ist Granada, das wir jedoch erst am nächsten Morgen gegen sechs Uhr erreichen werden. Eine fuenfzehnstuendige Schifffahrt liegt vor uns, aber noch scheint die Sonne, wir sind wohl gestimmt und rekonstruieren immer wieder den Vormittag auf der Polizeistation.
Wir halten uns auf Deck auf, denn in der klimatisierten ersten Klasse ist es viel zu kalt und eng. Ein paar der Reisenden haben Hängematten mitgebracht, die sie nun an die Rehling binden und so baumeln sie in der Sonne. Luisa und ich nutzen die Gelegenheit und mieten Liegestühle – so genannte perezosas (Faultiere) - für 30 Cordobas, rücken ein bisschen zur Rehling und blicken San Carlos hinterher, das immer kleiner wird. Auch wenn wir es nicht sagen wollen, wir sind unglaublich erleichtert.
Ein Schiffsarbeiter kommt und verlangt unsere Pässe; ich gebe ihm das Papier, das nun auf der Reise meinen Pass ersetzt. Damit du keine Schwierigkeiten beim Reisen hast, hat der Polizist gesagt und ich war beeindruckt von so viel Freundlichkeit. Der Schiffsarbeiter guckt mein Papier an, schüttelt den Kopf und lächelt entschuldigend. Das ist nicht gültig.
Wie, sage ich, ein bisschen am Rande des Abgrunds, ein bisschen scherzend, ein bisschen verzweifelt, ich hab drei Stunden auf dieses Papier gewartet und jetzt sagen Sie, dass das nicht geht?
Er lacht. Spass. Erleichtert wenden wir uns wieder dem See zu, dem groessten See Zentralamerikas. In massigem Tempo fahren wir an den Inseln von Solentiname vorbei; hier wohnt Ernesto Cardenal und wir fragen uns, ob man ihn einfach so sehen kann, oder ob er sich gut versteckt hält. Diese Frage wird uns Izrael, ein spanischer Aussteiger, am nächsten Tag beantworten.
Bis dahin vergeht noch viel Zeit und viel Wasser fließt an uns vorbei. Wir schlafen ein bisschen, knabbern unsere Kekse, hören Musik, lesen und sind ganz beeindruckt von dem, was wir innerhalb weniger Tage an natürlicher Schönheit zu Gesicht bekommen.
Gegen halb sechs erreichen wir den ersten Zwischenstopp unserer Reise: San Miguelito, ein kleines Fischerdorf, das jedoch ganz bezaubernd liegt. Eine Menschentraube hat sich an der Mole gebildet, ein paar steigen ein, ein paar steigen aus, ein paar gucken einfach nur, während Waren eingeladen werden und die Dorfjugend vom Kay in den See springt.
Ich erkundige mich beim selben Schiffsarbeiter, ob es eine Möglichkeit an Bord gibt, meinen Mp3-Player aufzuladen, denn ohne Musik an Bord erscheint mir die Reise gerade ganz unmoeglich. Er nickt und meint, er gebe mir den Player beim nächsten Stopp wieder. Gegen sechs Uhr verlassen wir San Miguelito und entfernen uns von der Küste. Vor uns liegt scheinbar endloses Wasser und langsam legt sich die Dunkelheit über uns. Luisa und ich mummeln uns in unsere Jacken, und blicken in die Nacht hinaus. Viel vom See sehen wir nicht, einzig als schließlich ein Gewitter einsetzt, erhellen Blitze unsere Sicht. Wir sitzen mit dem Rücken zum Regen und haben Glück, denn alle, die hoffnungsvoll ihre Hängematten aufgehängt haben, werden nun nass und schließlich müssen Planen über sie gelegt werden, so dass es aussieht, als hingen ein paar Raupenkokons am Schiff. Aus lauter Langeweile überlegen wir, was passiert, wenn das Schiff vom Blitz getroffen wird. Unsere Liegestühle sind aus Holz und leiten nicht, aber auch das würde uns wenig bringen, wenn wir letztlich die Fähre selbst nach Granada steuern sollten.
Als Hilario Sanchez Murito erreicht, sind auch wir nass, da helfen auch die zwei Hosen, vier T-Shirts und Jacken nichts, die wir uns mittlerweile angezogen haben; um die Schultern und um die Hüften sollen uns Handtücher vor der Nässe schützen, doch es bringt nichts; hinzu kommt die Kälte und in diesem Moment wünschen wir uns sehnlichst die Mittagshitze einer Polizeistation in San Carlos wieder herbei. Doch es ist nicht alles aussichtslos und in diesem Moment übergibt mir der Schiffsarbeiter meinen Mp3-Player. Er tut ein bisschen geheimnisvoll, dann lächelt er, wie man vielleicht ein Geschenk an Weihnachten vergibt. Das Ergebnis ist ungefähr das gleiche: ich bin zufrieden, glücklich und verkable mich mit guter Musik.
Gegen neun legen wir ab und nun folgt der wohl schlimmste Teil der Fahrt, denn dick eingemummelt wie wir sind, müssen wir nun eine Schlafposition finden, die uns vorm Regen schützt und die gleichzeitig bequem ist. Irgendwie ziehen wir die Beine an und schlafen im Stundentakt ein und wachen im Stundentakt auch wieder auf. Es ist sicherlich bei Weitem kein Zuckerschlecken, aber Luisa und ich reden uns ein, dass wir auf Deck verharren müssen, weil Deutschland dann am nächsten Tag gegen Spanien gewinnt. Nun ja.
Kurz nach Mitternacht erreichen wir Altagracia auf der Isla de Ometepe; viele der Passagiere steigen aus und auch das Umladen geht schneller als bei den beiden vorigen Stops. Jetzt sind es noch etwa vier Stunden bis Granada und wir atmen durch. Es ist fast geschafft, - und auch wenn es keine Kreuzfahrt ist, sind wir jeden Moment davon überzeugt, dass es die richtige Entscheidung war, das Boot auf dem Rückweg zu nehmen. Denn auch, wenn es im Bus warm ist und man gut sitzt, kann man nicht so herum laufen wie hier auf Deck.
Um halb zwei kommt der Mond heraus und erhellt den See; es ist nicht viel, was wir sehen. Tatsächlich hatten wir gedacht, dass wir mehr sehen könnten, - und doch ist es schön und so schlafen wir für den letzten Teil der Fahrt beinahe ohne Unterbrechung. Um fünf Uhr morgens dann endlich erreichen wir Granada; es wird hell auf dem See, riesige Wolkenberge liegen hinter uns und umraunen auch den Gipfel des Mombacho.

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Was es heißt, zu gehen

Mit knapp zwanzig Jahren Lebenserfahrung habe ich mich entschlossen, ab Sommer 2009 für ganze zwölf Monate nach Nicaragua zu gehen; dass es geklappt hat, hatte ich zwischendurch nicht wirklich gedacht; aber dass ich nun, Anfang Juli, so kurz vor der Ausreise stehe und meine Schulzeit einfach so an mir vorbei gegangen ist - das ist noch weniger zu begreifen. Ich werde natürlich an diesem Zustand nichts ändern können und freue mich tatsächlich wahnsinnig auf die Zeit in Mittelamerika. Bisher haben sich meine Auslandserfahrungen auf den europäischen Raum begrenzt; am 23. Juli geht es jedoch los in ein Land, von dessen Existenz ich zuvor zwar wusste, aber an das ich doch zugegeben wenig gedacht habe - und das ich geographisch als Abiturientin "drüben" eingeordnet habe.

Innerhalb eines Jahres werden sich mein Weltbild, meine geographischen und kulturellen Kenntnissen verschieben, neu ordnen. Ich werde einen Teil der Welt kennen lernen, der von Armut, Korruption, Drogen und der Hoffnung auf Besserung bestimmt wird, - aber genau so von Gastfreundlichkeit, Freude am Leben und an dem wenigen, das man hat.

Ich verlasse meine Heimat, ohne zu wissen, was Heimat eigentlich ist.

Natürlich werde ich wiederkommen - jedenfalls gehe ich stark davon aus -, aber die Entwicklung, die ich in diesem Jahr vollziehen werde, ist jetzt noch gar nicht abzusehen. Es fällt leicht, über all diese Dinge an einem warmen, geheizten Ort (im Winter) zu schreiben, wenn man von all dem umgeben ist, das man zum Leben braucht. Wie es tatsächlich in Nicaragua aussieht, was sich tatsächlich hinter dem Wort Armut verbirgt und was man als Europäer tun kann oder tun muss, werde ich erst in einem Jahr wissen. Dieser Blog ist daher zweierlei: einerseits eine Informationsstation, die allen, die es interessiert oder auch nur zufällig hierher stolpern, Eindrücke meines Lebens in Nicaragua schildern soll; andererseits eine Gedankenkiste, in der ich all das verarbeiten und mitteilen kann, was ich hier erlebe; im Großen und Ganzen ist es dabei auch ein Beitrag meinerseits, um eine Welt, die unglaublich verknüpft ist und die denkbar unvorstellbar von der Technik und dem Fortschritt profitiert, zu ermöglichen, die sich in all der Schnelllebigkeit auch noch gegenseitig versteht und zuhört.