Sonntag, 5. Juli 2009

Armut in Nicaragua


Facts

Nicaragua ist nach Haiti das zweitärmste Land Lateinamerikas

Knapp sechs Millionen Menschen leben in Nicaragua; davon eine Million in Managua und den Vorstädten

Mehr als die Hälfte aller Nicaraguaner ist unterernährt: viele Kinder sterben noch vor Erreichen des zehnten Lebensjahres

Die Arbeitslosigkeit liegt bei fast 50 %; das geringe Pro-Kopf-Einkommen der Einwohner macht Nicaragua nach Maßstäben der WHO zu einem Entwicklungsland

Mehr als die Hälfte aller Nicaraguaner ist jünger als fünfzehn; die Leid tragenden sind vor allem die Kinder; eine typische nicaraguanische Familie hat bis zu fünf Kindern; die Geburtenrate wird im Laufe der nächsten Jahrzehnte voraussichtlich nicht sinken

Das Bildungssystem ist nicht besonders ausgereift; zumal kann es sich nicht jede Familie leisten, alle Kinder zur Schule zu schicken; viele Kinder rutschen in die Kriminalität ab; vor allem der Drogenhandel ist in den großen Städten Nicaraguas sehr ausgereift


Situation in Managua und in den Städten

Nicaraguas Hauptstadt liegt in einem erdbebenreichen Gebiet; zahlreiche Erschütterungen haben über die Jahrhunderte das Gesicht der Stadt entstellt; das bisher schlimmste Beben, vom 23. Dezember 1972, hat allein in Managua 5000 Menschen das Leben gekostet

Die Folgen des Erdbebens sind auch noch heute, siebenunddreißig Jahre nach dem Beben, zu spüren: dadurch, dass das Beben die Stadt und das Zentrum geradezu komplett zerstört hat, ist Managua beinahe zu einer Erinnerung mit einer riesigen Vorstadt geworden: das alltägliche Leben findet in den Slums statt, vor allem Kinder finden sich in Baden, so genannten Pandillas, zusammen, werden in den Drogenhandel eingeführt, der die einzige Möglichkeit darstellt, um dem Teufelskreis aus Elend und Armut zu entgehen.

In Managua findet sich zudem die größte Müllkippe Mittelamerikas „La Churreca“; sogar hier leben Menschen in Bergen von Müll, Kinder durchstreifen täglich den stinkenden Abfall auf der Suche nach Metall, das sie verkaufen können

Wie in zahlreichen anderen süd- und mittelamerikanischen Ländern ist die Kriminalität vor allem in den Städten Nicaraguas sehr hoch; dazu kommen schlechte Trinkwasserversorgung und die schnelle Verbreitung von tödlichen Krankheiten wie Tuberkulose und Dengue-Fieber, an denen jährlich unzählige Kinder sterben; dabei sind viele dieser Krankheiten anhand von heutigen medizinischen Kenntnissen heilbar oder zumindest zu behandeln.


La Churreca in Managua, die größte Müllkippe Mittelamerikas


Begleiterscheinungen

In den letzten fünfzig Jahren ist der Zulauf in die Stadt enorm gestiegen; immer mehr Menschen suchen in den großen Städten des Landes die Möglichkeit, einen Neuanfang wahrzunehmen; die meisten von ihnen landen jedoch in der Dichte der Slums

Das Chaos, das in den Städten herrscht, macht es beinahe unmöglich, einen Punkt zu finden, an dem man ansetzen kann


Situation auf dem Land

In den großen Städten verschafft die Menge der Menschen Anonymität; es gibt nicht einen Tag, an dem nicht von einem toten Kind in der Zeitung zu lesen ist, von Kindern, die sich durch das „Schnüffeln“ von Klebstoff am Leben halten und doch letztlich in einer Mülltonne tot aufgefunden werden; auf dem Land ist es die Weite, die Drogenhandel und Korruption möglich und ungesehen macht.

In Nicaragua gibt es eine bedrohte ethnische Minderheit von Ureinwohnern, die in Reservaten leben und ebenfalls unter der extremen Armut leiden; sie bleiben jedoch zumeist auf dem Land


Maßnahmen gegen die Armut

Die nicaraguanische Regierung sieht den größten Problemen des Landes, Armut, Kriminalität und Drogenhandel hilflos entgegen; die nötige Hilfe liegt in den Händen ausländischer Organisationen, die jedoch genau so schwer Zugang zu den tatsächlichen Problemherden finden; die Ursachen sind bekannt, aber die Quellen sind nicht zu erreichen.

Viele Nicaraguaner versuchen, über Managua nach Costa Rica oder in die USA auszuwandern, wo sie meist illegal arbeiten und Geld an ihre Familien in ihrer Heimat schicken; es wird vermutet, dass jeder fünfte Nicaraguaner diesen Weg geht

Das Land wird häufig von Naturkatastrophen wie Erdbeben, Vulkanausbrüchen und Wirbelstürmen heimgesucht; mühsam aufgebaute Entwicklungshilfe wird also in vielen Fällen blitzartig zerstört

Einige wenige nicaraguanische Persönlichkeiten sind auch über die Grenzen ihres Heimatlandes bekannt und wissen ihre Popularität zu nutzen: so beispielsweise Ernesto Cardenal, der gemeinsam mit dem österreichischen Schriftsteller, Schauspieler und Übersetzer Dietmar Schönherr im von ihnen gegründeten Casa de los tres mundos in Granada und Managua Kindern den Zugang zur Kunst ermöglichen möchte (das nicaraguanische Bildungssystem sieht musisch-künstlerische Fächer nicht im Unterricht vor).

Wie in so vielen Ländern leidet Nicaragua unter einer tragischen Kombination aus Armut und Fehlorganisation; was fehlt, ist Geld, genau so aber auch eine wohl strukturierte Regierung, die das fehlende Geld an den richtigen Stellen einzusetzen weiß.



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Was es heißt, zu gehen

Mit knapp zwanzig Jahren Lebenserfahrung habe ich mich entschlossen, ab Sommer 2009 für ganze zwölf Monate nach Nicaragua zu gehen; dass es geklappt hat, hatte ich zwischendurch nicht wirklich gedacht; aber dass ich nun, Anfang Juli, so kurz vor der Ausreise stehe und meine Schulzeit einfach so an mir vorbei gegangen ist - das ist noch weniger zu begreifen. Ich werde natürlich an diesem Zustand nichts ändern können und freue mich tatsächlich wahnsinnig auf die Zeit in Mittelamerika. Bisher haben sich meine Auslandserfahrungen auf den europäischen Raum begrenzt; am 23. Juli geht es jedoch los in ein Land, von dessen Existenz ich zuvor zwar wusste, aber an das ich doch zugegeben wenig gedacht habe - und das ich geographisch als Abiturientin "drüben" eingeordnet habe.

Innerhalb eines Jahres werden sich mein Weltbild, meine geographischen und kulturellen Kenntnissen verschieben, neu ordnen. Ich werde einen Teil der Welt kennen lernen, der von Armut, Korruption, Drogen und der Hoffnung auf Besserung bestimmt wird, - aber genau so von Gastfreundlichkeit, Freude am Leben und an dem wenigen, das man hat.

Ich verlasse meine Heimat, ohne zu wissen, was Heimat eigentlich ist.

Natürlich werde ich wiederkommen - jedenfalls gehe ich stark davon aus -, aber die Entwicklung, die ich in diesem Jahr vollziehen werde, ist jetzt noch gar nicht abzusehen. Es fällt leicht, über all diese Dinge an einem warmen, geheizten Ort (im Winter) zu schreiben, wenn man von all dem umgeben ist, das man zum Leben braucht. Wie es tatsächlich in Nicaragua aussieht, was sich tatsächlich hinter dem Wort Armut verbirgt und was man als Europäer tun kann oder tun muss, werde ich erst in einem Jahr wissen. Dieser Blog ist daher zweierlei: einerseits eine Informationsstation, die allen, die es interessiert oder auch nur zufällig hierher stolpern, Eindrücke meines Lebens in Nicaragua schildern soll; andererseits eine Gedankenkiste, in der ich all das verarbeiten und mitteilen kann, was ich hier erlebe; im Großen und Ganzen ist es dabei auch ein Beitrag meinerseits, um eine Welt, die unglaublich verknüpft ist und die denkbar unvorstellbar von der Technik und dem Fortschritt profitiert, zu ermöglichen, die sich in all der Schnelllebigkeit auch noch gegenseitig versteht und zuhört.