Sonntag, 12. Juli 2009
Halbzeit in Friesdorf
Jetzt ist es relativ ruhig hier im Haus Annaberg, aber eigentlich ist es hier um uns herum immer ruhig - wir sind recht weit abgelegen vom Bonner Zentrum und ein kleiner Ausflug in die Stadt erwies sich gestern zunächst als abenteuerlicher Vorgeschmack auf zwölf Monate im Nirgendwo.
Das Gefühl, das uns innerhalb dieser ersten Woche des Ausreisekurses begleitet, ist recht merkwürdig; zunächst hatten wir alle Probleme, uns mit der gegenwärtigen Situation anzufreunden - plötzlich wollte keiner mehr weg, nur noch andere Dinge machen, eine gute Zeit erleben, Freunde sehen.
Dann kamen die ersten Ehemaligen - Gruß an Judith y gracias por todo ! - und wir wurden langsam neugierig, nervös, aufgeregt. Vorfreude kam auf und jetzt sitzen wir noch eine Woche hier, werden als Gruppe immer mehr zusammen wachsen und heute in einer Woche dann wieder auseinander gehen. Die zwei Wochen werden es noch schwerer machen, dieses Haus unbefangen zu verlassen. Andererseits spielt sich der Verabschiedungsprozeß in unseren Köpfen ganz unterbewusst ab - und hat bereits begonnen.
Wenn wir daran denken, dass wir bereits in 1 1/2 Wochen sieben Zeitzonen entfernt leben werden, ist das wirklich ein Gefühl, für das es keine Worte gibt.
Was es heißt, zu gehen
Mit knapp zwanzig Jahren Lebenserfahrung habe ich mich entschlossen, ab Sommer 2009 für ganze zwölf Monate nach Nicaragua zu gehen; dass es geklappt hat, hatte ich zwischendurch nicht wirklich gedacht; aber dass ich nun, Anfang Juli, so kurz vor der Ausreise stehe und meine Schulzeit einfach so an mir vorbei gegangen ist - das ist noch weniger zu begreifen. Ich werde natürlich an diesem Zustand nichts ändern können und freue mich tatsächlich wahnsinnig auf die Zeit in Mittelamerika. Bisher haben sich meine Auslandserfahrungen auf den europäischen Raum begrenzt; am 23. Juli geht es jedoch los in ein Land, von dessen Existenz ich zuvor zwar wusste, aber an das ich doch zugegeben wenig gedacht habe - und das ich geographisch als Abiturientin "drüben" eingeordnet habe.
Innerhalb eines Jahres werden sich mein Weltbild, meine geographischen und kulturellen Kenntnissen verschieben, neu ordnen. Ich werde einen Teil der Welt kennen lernen, der von Armut, Korruption, Drogen und der Hoffnung auf Besserung bestimmt wird, - aber genau so von Gastfreundlichkeit, Freude am Leben und an dem wenigen, das man hat.Ich verlasse meine Heimat, ohne zu wissen, was Heimat eigentlich ist.
Natürlich werde ich wiederkommen - jedenfalls gehe ich stark davon aus -, aber die Entwicklung, die ich in diesem Jahr vollziehen werde, ist jetzt noch gar nicht abzusehen. Es fällt leicht, über all diese Dinge an einem warmen, geheizten Ort (im Winter) zu schreiben, wenn man von all dem umgeben ist, das man zum Leben braucht. Wie es tatsächlich in Nicaragua aussieht, was sich tatsächlich hinter dem Wort Armut verbirgt und was man als Europäer tun kann oder tun muss, werde ich erst in einem Jahr wissen. Dieser Blog ist daher zweierlei: einerseits eine Informationsstation, die allen, die es interessiert oder auch nur zufällig hierher stolpern, Eindrücke meines Lebens in Nicaragua schildern soll; andererseits eine Gedankenkiste, in der ich all das verarbeiten und mitteilen kann, was ich hier erlebe; im Großen und Ganzen ist es dabei auch ein Beitrag meinerseits, um eine Welt, die unglaublich verknüpft ist und die denkbar unvorstellbar von der Technik und dem Fortschritt profitiert, zu ermöglichen, die sich in all der Schnelllebigkeit auch noch gegenseitig versteht und zuhört.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen