Montag, 3. August 2009

Ein bisschen Heimat

Mit jedem Tag wird unser Leben hier geordneter - was nicht heißt, dass es langweilig wird.
So richtig verstehen wir es noch nicht, dass wir tatsächlich hier sind, dass diese wunderschöne Stadt und die Berge drumherum wirklich sind; und dass wir Teil von all dem sind.

Unsere Wohnung wird mit jedem Tag wohnlicher, die ästhetische Planung wird mit jedem neuen Möbelstück ausgereifter und mittlerweile kam sogar die merkwürdige Idee auf, unseren Hof mit Pakett auszulegen. Nein, wir langweilen uns nicht, unser Haus hat einfach nur viel Potential.
Nach einer durchaus gelungenen Möbelbauaktion haben wir uns am Sonntag zurückgelehnt, waren zuerst richtig schön essen, haben unzählige Milchshakes in uns hinein gekippt und waren dann in den Bergen, die Matagalpa umgehen. Eigentlich sind wir nur eine der zahlreichen Straßen bis zum Ende entlang gegangen, denn die Straßen ziehen sich hier die Berge hinauf. Dahinter lag eine - darf man das sagen - faszinierende Mischung aus Armut und paradiesischer Natur. Die Menschen, die dort am Ende der Straße lebten (die nicht mehr apshaltiert war), hatten erschreckend wenig. Und doch wurden wir hier freundlicher begrüßt als im Zentrum, wir wurden sogar herein gebeten und die Kinder, die auf den Hügeln um Matagalpa leben, waren unglaublich fröhlich.
Es ist beinahe herzzerreißend, wenn man sieht, mit wie wenig sie sich zufrieden geben. Sicherlich herrschen in Deutschland andere Standards, aber ich frage mich manchmal, wie deutsche Kinder reagieren würden, wenn sie auch nur einen Tag so leben müssten, wie diese Kinder es immer tun (ein Experiment, das man vielleicht nicht in die Tat umsetzen sollte, allein wegen der Kinder. Auf beiden Seiten.)

Ansonsten besteht unser Leben momentan aus Sprachkursen und Hausausstatten, Herumlaufen und Staunen, Essen, Schlafen, Putzen. Der Staub, der sich in unserer Wohnung "einfach so" sammelt, ist erstaunlich.
Dafür werden wir immer mehr Teil der Stadt, können die Strecken mittlerweile zu Fuß ablaufen und müssen kein Taxi mehr nehmen (was so unglaublich touristisch wirkt und uns eigentlich unangenehm ist). Im Übrigen ist es dabei auch viel spannender, die Stadt für sich selbst zu erwandern: denn wir sehen viel mehr, bekommen viel mehr von der Kultur mit und werden natürlich auch doppelt so viel angemacht. Die Leute pfeifen s uns hinterher (auch Tim wird hinterher gepfiffen, es hat also nicht mit geschlechtsspezifischer Unterdrückung zu tun) und im gewissen Sinne gehört es wohl auch dazu, dass man einer Frau einfach hinterher pfeift, wenn sie die Straße überquert. Ich vermute mal, dass es Teil des nicaraguanischen Verständnisses von Achtung ist, solange es nicht zu offensichtlich bzw. radikal wird. (Ich hoffe es zumindest.)

1 Kommentar:

  1. "Nein, wir langweilen uns nicht, unser Haus hat einfach nur viel Potential."

    Was für ein epischer Satz! :D

    AntwortenLöschen

Was es heißt, zu gehen

Mit knapp zwanzig Jahren Lebenserfahrung habe ich mich entschlossen, ab Sommer 2009 für ganze zwölf Monate nach Nicaragua zu gehen; dass es geklappt hat, hatte ich zwischendurch nicht wirklich gedacht; aber dass ich nun, Anfang Juli, so kurz vor der Ausreise stehe und meine Schulzeit einfach so an mir vorbei gegangen ist - das ist noch weniger zu begreifen. Ich werde natürlich an diesem Zustand nichts ändern können und freue mich tatsächlich wahnsinnig auf die Zeit in Mittelamerika. Bisher haben sich meine Auslandserfahrungen auf den europäischen Raum begrenzt; am 23. Juli geht es jedoch los in ein Land, von dessen Existenz ich zuvor zwar wusste, aber an das ich doch zugegeben wenig gedacht habe - und das ich geographisch als Abiturientin "drüben" eingeordnet habe.

Innerhalb eines Jahres werden sich mein Weltbild, meine geographischen und kulturellen Kenntnissen verschieben, neu ordnen. Ich werde einen Teil der Welt kennen lernen, der von Armut, Korruption, Drogen und der Hoffnung auf Besserung bestimmt wird, - aber genau so von Gastfreundlichkeit, Freude am Leben und an dem wenigen, das man hat.

Ich verlasse meine Heimat, ohne zu wissen, was Heimat eigentlich ist.

Natürlich werde ich wiederkommen - jedenfalls gehe ich stark davon aus -, aber die Entwicklung, die ich in diesem Jahr vollziehen werde, ist jetzt noch gar nicht abzusehen. Es fällt leicht, über all diese Dinge an einem warmen, geheizten Ort (im Winter) zu schreiben, wenn man von all dem umgeben ist, das man zum Leben braucht. Wie es tatsächlich in Nicaragua aussieht, was sich tatsächlich hinter dem Wort Armut verbirgt und was man als Europäer tun kann oder tun muss, werde ich erst in einem Jahr wissen. Dieser Blog ist daher zweierlei: einerseits eine Informationsstation, die allen, die es interessiert oder auch nur zufällig hierher stolpern, Eindrücke meines Lebens in Nicaragua schildern soll; andererseits eine Gedankenkiste, in der ich all das verarbeiten und mitteilen kann, was ich hier erlebe; im Großen und Ganzen ist es dabei auch ein Beitrag meinerseits, um eine Welt, die unglaublich verknüpft ist und die denkbar unvorstellbar von der Technik und dem Fortschritt profitiert, zu ermöglichen, die sich in all der Schnelllebigkeit auch noch gegenseitig versteht und zuhört.