Mittwoch, 5. August 2009

Ungewolltes Geständnis

Es ist noch nicht einmal ein Monat rum, wir sind knapp zwei Wochen hier und normalerweise ist es kein Zeitraum für mich, in dem ich merke, dass mir etwas fehlt. Vielleicht war es einfach die Zeit, die mir gestern zur Verfügung stand, denn ich war krank und dann geht es einem meist doppelt so schlecht wie zuvor. Tatsächlich ging es mir bisher hier nie schlecht und ich habe die Tage nie gespürt, die hier vorbei gegangen sind. Es war meistens so, dass man aufstand, frühstückte und irgendwann lag man abends wieder im Bett und wunderte sich über die Zeit, darüber, dass alles so schnell vorüber ging, und man hatte trotz allem gar nicht so viel Zeit, um sich zu wundern, denn man schlief im nächsten Moment sowieso ein und dann wachte man wieder auf und alles ging wieder von vorne los.

Nun ja. Montagabend hat sich mein Magen leider
unüberhörbar gemeldet und so habe ich den gestrigen Tag komplett im Bett verbracht, während die anderen um fünf Uhr morgens nach Managua aufbrachen (ich wäre so gern dabei gewesen, einfach nur, um den Sonnenaufgang über den grünen Bergen zu sehen), um ihre Visa zu bestätigen.
Also lag ich den ganzen Tag im Bett, hatte also viel Zeit, um zu schlafen und genau so viel Zeit, um auch über dieses Jahr und über mich nachzudenken. Solche Sätze klingen immer furchtbar schwer und schicksalsdeutend; und eigentlich bin ich es gewohnt, lange von zu Hause fort zu sein. Und bald ist womöglich schon September und dann ist November und dann ist plötzlich April und ich möchte nie mehr hier weg. Ich muss sagen, dass es mir schon jetzt hier unglaublich gut gefällt (was sicherlich auch daran liegt, dass ich ein Jahr hier sein werde. Es musste mir einfach gefallen), die Leute sind wirklich freundlich und sie kümmern sich rührend um uns (vor allem die Lehrer aus den Sprachkursen, mit denen wir ein beinahe freundschaftliches Verhältnis aufgebaut haben). Aber gestern war ein Tag, an dem die Stunden unendlich lang wurden. Ich weiß noch nciht einmal, was es war: es hätte mir nicht geholfen, wenn ich woanders gewesen wäre, es hätte mir nicht geholfen, wenn meine Familie da gewesen wäre (klar, es wäre schön gewesen, aber es hätte in dem Moment nur abgelenkt), es hätte auch nicht geholfen, wenn ich in Deutschland gewesen wäre ...
Wahrscheinlich wird es so sein in diesem Jahr: das Jahr wird unglaublich kurz sein, aber die Tage umso länger, wenn sie es denn wollen.
Ich merke, wie wichtig dieses Jahr für mich wird und wie wichtig dieses Gefühl ist, das so unangenehm hochkommt, wenn man nicht damit rechnet.
Gerade deshalb ist es wohl so wichtig, dass man diesen Prozess nicht unterbricht, dass man
daran festhält und von den guten Erlebnissen lebt, wenn sie im Moment so rar sind.


Der heutige Tag war nämich beispielsweise wieder ganz anders: obwohl ich noch immer nicht wirklich fit bin, habe ich doch den Sprachkurs mit Lucy wahrnehmen können, wir haben zusammen unsere Vermieterin gefunden und mit Tim zusammen habe ich die Miete für August bezahlt. Unser Spanisch wird von Tag zu Tag besser, und wenn es hakt, sagt man eben ganz überzeugt sì. Das hilft manchmal mehr als man denkt.
Außerdem haben wir uns heute noch einen CD-Player gekauft, mit dem wir música in unserem Partyhaus durch die Räume schallen lassen können. Wie Tim mir beim Essen versicherte, plant er schon einiges. Ich bin gespannt ... (als Info: den CD-Player haben wir gekauft, nicht gebaut ...)

P.S. Ein Nachtrag muss gegeben werden: was anfangs für den unvoreingenommenen Mitteleuropäer nach Respekt aussah, hat damit tatsächlich nichts zu tun.

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Was es heißt, zu gehen

Mit knapp zwanzig Jahren Lebenserfahrung habe ich mich entschlossen, ab Sommer 2009 für ganze zwölf Monate nach Nicaragua zu gehen; dass es geklappt hat, hatte ich zwischendurch nicht wirklich gedacht; aber dass ich nun, Anfang Juli, so kurz vor der Ausreise stehe und meine Schulzeit einfach so an mir vorbei gegangen ist - das ist noch weniger zu begreifen. Ich werde natürlich an diesem Zustand nichts ändern können und freue mich tatsächlich wahnsinnig auf die Zeit in Mittelamerika. Bisher haben sich meine Auslandserfahrungen auf den europäischen Raum begrenzt; am 23. Juli geht es jedoch los in ein Land, von dessen Existenz ich zuvor zwar wusste, aber an das ich doch zugegeben wenig gedacht habe - und das ich geographisch als Abiturientin "drüben" eingeordnet habe.

Innerhalb eines Jahres werden sich mein Weltbild, meine geographischen und kulturellen Kenntnissen verschieben, neu ordnen. Ich werde einen Teil der Welt kennen lernen, der von Armut, Korruption, Drogen und der Hoffnung auf Besserung bestimmt wird, - aber genau so von Gastfreundlichkeit, Freude am Leben und an dem wenigen, das man hat.

Ich verlasse meine Heimat, ohne zu wissen, was Heimat eigentlich ist.

Natürlich werde ich wiederkommen - jedenfalls gehe ich stark davon aus -, aber die Entwicklung, die ich in diesem Jahr vollziehen werde, ist jetzt noch gar nicht abzusehen. Es fällt leicht, über all diese Dinge an einem warmen, geheizten Ort (im Winter) zu schreiben, wenn man von all dem umgeben ist, das man zum Leben braucht. Wie es tatsächlich in Nicaragua aussieht, was sich tatsächlich hinter dem Wort Armut verbirgt und was man als Europäer tun kann oder tun muss, werde ich erst in einem Jahr wissen. Dieser Blog ist daher zweierlei: einerseits eine Informationsstation, die allen, die es interessiert oder auch nur zufällig hierher stolpern, Eindrücke meines Lebens in Nicaragua schildern soll; andererseits eine Gedankenkiste, in der ich all das verarbeiten und mitteilen kann, was ich hier erlebe; im Großen und Ganzen ist es dabei auch ein Beitrag meinerseits, um eine Welt, die unglaublich verknüpft ist und die denkbar unvorstellbar von der Technik und dem Fortschritt profitiert, zu ermöglichen, die sich in all der Schnelllebigkeit auch noch gegenseitig versteht und zuhört.