Kein Empfang.
Es ist so, als hätte ich eine Radiostation, aber keiner macht meinen Sender an. Mittlerweile weiß ich auch, warum. Es ist letztlich ein großes Missverständnis, das sich da anbahnte und aufstaute: denn nach den Erzählungen unserer Vorgänger und nach dem Wissen über das, was bereits in der Schule gelernt wurde, war ich davon ausgegangen, dass zumindest in den höheren Klassen gewisse Vorkenntnisse bestünden. Mittwoch stellte sich heraus, dass in einem ganzen Jahr nur zweimal unterrichtet wurde – es tut mir Leid, Paul, aber ??
Naja, nun weiß ich, dass ich anders an die Kinder herantreten muss und dass ich ihnen womöglich gleich zu Beginn zu viel abverlangt habe. Aber immerhin habe ich nun eine Basis für meinen Unterricht. Nach dieser recht ernüchternen Prognose, durfte ich mit der Schreckensklasse 4to A Sport machen; zum Glück war Profe Judith noch dabei, die tiptop gestylt auf Pfenningabsätzen auf den Campo stapfte, wo sie dann mit den Kindern Aspiracion machte: hinter diesem mystischen Wort verstecken sich Dehnübungen, nach denen man mehrmals laut ausatmet. Dieses Unterrichtselement ist vom nicaraguanischen Schulministerium vorgegeben und man kriegt Probleme, wenn man sich nicht dran hält und die Kinder ihre tägliche Aspiracion verpassen.
Bei der 4to A kann man aber so viel aspirieren, wie man will: die meisten tollen schon auf dem Feld herum, auf dem zu diesem Zeitpunkt auch Kühe weiden. Gerson, - das, was man in Deutschland ein Problemkind nennen würde – ließ es sich nicht nehmen, über den ganzen Campo zu rennen, um allen Kühen am Schwanz zu ziehen. So quirlig und störend er auch manchmal im Unterricht ist, - ich liebe ihn schon jetzt. Gerson wäre jemand für den Film; er ist so unglaublich authentisch, dabei ist er einfach nur arm und ein klein bisschen verhaltensauffällig (das klingt bitter; aber tatsächlich trifft diese Beschreibung auf einige Kinder hier zu. Und es beschämt mich, dass ich ihn authentisch nenne, wenn es doch eine Kombination ist, um die niemand ihn beneiden würde.) Ich spielte also wieder mit den Kindern Zeitfangen und die Kinder gingen ab wie Schmitz Katze; eine Bestätigung für mich, dass ich nun das ganze Jahr über mit ihnen Zeitfangen spielen werde, während ich den Kopf in den Wind halte.
Nein, so nicht. Aber tatsächlich muss man hier manchmal nicht viel machen, um die Kinder zu begeistern. Es ist wirklich anders als in Deutschland. Einzig und allein Gerson blieb völlig unbeeindruckt und sauste nach meinem Unterricht davon.
Der Unterricht mit der 4to A tat gut, obwohl es unglaublich nervenaufreibend war. Dennoch trat ich den Weg nach Hause geradezu beflügelt an, denn: ich hatte Wochenende. Wochenende an einem Mittwoch. Aufgrund der Übungen für den Dia de la Independencia verbringen die älteren Kinder ihren Sportunterricht momentan damit, wie wild zu trommeln und zu marschieren – beides Dinge, die ich nicht kann, und die ich ihnen auch nicht beibringen sollte. Donnerstag würde den ganzen Tag marschiert werden und Freitag fand man sich zusammen, um die Schule vor H1N1 zu beschützen und von oben bis unten zu putzen. Frei für mich.
Ich konnte mein Glück kaum fassen, denn tatsächlich war ich relativ geschafft nach diesen ersten drei Tagen des Unterrichtens. Ich kam nach Hause, wo Tim sich bereits in der Sonne über unserem Patio fläzte und ich fläzte mich dazu. Um vier Uhr erhielten wir zwei neue Korbstühle und nun haben wir eine wunderbare Chillout-Zone, in der wir abends weitreichende Gespräche führen und die Welt ordnen. Zudem genieße ich seit gestern die unglaubliche Kombination aus Kingsize-Bett und langem Wochenende: eine Kombination, die größtenteils aus Faulenzen besteht, aber ganz wunderbar ist. Unser Leben in Nicaragua könnte nicht gegensätzlicher sein.
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