Als ich mich vor einem Jahr dazu entschloss, dass mein Leben eine unvorhergesehene Wendung einnehmen werde – was man zweifelsohne nicht beschließen kann -, hatte ich ja keine Ahnung.
Ich hatte einfach keine Ahnung.
Heute Nacht lag ich wach und bemerkte beinahe ängstlich, dass ich mich in dieses Land verliebt habe; und wie leichtgläubig ich war, zu denken, dass ich hierher kommen könne, um nach einem Jahr wieder zu gehen. Ich hatte tatsächlich nicht damit gerechnet, dass hier mehr geschehen könne als meine Arbeit in einer Schule und ein paar nette Abende mit ein paar netten Leuten. Ich konnte es mir nicht vorstellen, dass man hier Freunde finden kann, dass man sich so schnell integriert, dass man so schnell Teil von einem Land wird, das in beinahe allem fremd ist (gut, es gibt Nutella im Supermarkt).
Ich müsste wahrscheinlich auf der Stelle das Land verlassen, um den schlimmsten Abschied meines Lebens zu verhindern – aber selbst das würde mir nicht helfen. Ich bin angekommen, und ich bin viel zu glücklich, als dass ich desnachts wach liegen könnte, um zu weinen.
Noch nicht mal zwei Monate sind vergangen, seit wir aufbrachen – und schon jetzt ist es, als wäre mein Leben nie anders verlaufen, als wäre es geradezu selbstverständlich, dass ich hier Fuß fasse und mich mit allem, was ich bin, in Matagalpa einpflanze. Bei solchen Gedanken wird mir schwindelig: ich weiß nicht, ob es genau das ist, was man auf einer Seite von einem jungen Menschen erwartet, der kurz davor steht, erwachsen zu werden, dem alten Leben zu entwachsen. Es würde mir tatsächlich nicht gefallen, mein Leben in Nicaragua und die potentielle Entwicklung hier als stereotyp zu verzeichnen. Und doch frag ich mich, ob es gerade allen anderen genau so geht wie mir; den Leuten in Chile, Argentinien und Brasilien.
Die Nicas für ihren Teil haben schon rausgekriegt, dass ich zu viel denke. Diana schüttelt immer nur den Kopf und ich habe Glück, dass Lussi Psychologin ist. (So schlimm ist es auch wieder nicht, aber es tut doch unglaublich gut, mit jemandem zu reden, der beides ist: beste Freundin und Fachmann – und zudem auch noch Mutter).
Natürlich vermisse ich Dinge von zu Hause, aber mir fehlt nichts. Ich vermisse außerdem auch nicht akut. Nur ab und an denke ich daran, wie es zu Hause ist. Aber säße ich jetzt nicht auf meinem Bett in Nicaragua, die Tür zur Straße geöffnet, sondern in meinem Zimmer in Deutschland – ich wüsste gar nicht, was ich dort sollte. Gut, ich müsste nicht erst ins Cafe Latino gehen, um mit dem Rest der Welt in Kontakt zu treten, ich hätte meinen Anschluss da, ich hätte meine Familie um mich.
Aber Nicaragua läge weit weg. Und das ist definitiv mein Problem: denn jetzt, heute, gerade freue ich mich geradezu wahnsinnig, dass ich so weit weg bin. Es ist wie ein Beweis an mich selbst, dass ich nicht in Europa bin, sondern tausende Kilometer entfernt von all dem, was zuvor für neunzehn Jahre mein Leben ausmachte. Und dann denke ich mir, wie bescheuert es ist, dass Nicaragua so weit weg ist, - denn es wird schwierig, wiederzukommen.
Natürlich: es ist nichts dabei, einen Flug zu buchen in dieses Land. Und mit den heutigen Möglichkeiten ist es sogar ganz einfach. Aber es wäre noch einfacher, wenn es Frankreich oder Spanien oder auch Slowenien wäre.
Leider und glücklicherweise ist es Nicaragua, es ist Zentralamerika, es ist zwischen Honduras und Costa Rica – und ich bin mittendrin.
In diesen Tagen findet übelster Magnetismus in mir statt. Und es ist nur allzu gut, dass diese Woche frei ist.
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