Donnerstag, 15. Oktober 2009

Die Schönheit eines gekachelten Badezimmers

Wenn man in Matagalpa über Managua spricht, hört man immer eines: Managua es feo, Managua ist hässlich, grässlich, abscheulich. Ich übernahm diesen Gedanken schnell, denn er passte nur zu gut zu der Geschichte der Millionenstadt, die einst eine der schönsten Städte Zentralamerikas war und nach einem furchtbaren Erdbeben am 23. Dezember '72 zu einem orientierungslosen Trümmerhaufen verfiel.
Tatsächlich gibt es in Managua kein Zentrum mehr, denn seit die Stadt und ihre Bewohner in der Nacht zum Vorweihnachtstag durcheinander geschüttelt wurden, gab es keinen systematischen Wiederaufbau: die Stadt wurde geflickt, tausend Löcher wurden genäht und doch hing der Stofffetzen Managua wehrlos, haltlos im Wind.
Drei der sechs Millionen Nicaraguaner leben in Managua und Vorstädte und Favelas machen es beinahe unmöglich, diesen Flickenteppich zu stopfen, zu organisieren: Managua es feo.
Es klang recht logisch - und was erwartete ich zu sehen? Brennende Häuser, raubende Kinder, prügelnde Männer. Nach fast drei Monaten in der sicheren Gewissheit der hütenden Berge Matagalpas schien die Ebene, in der Managua sich bis an den Lago de Managua erstreckt, geradezu herausfordernd, beinahe ausliefernd.

Als wir gestern gegen Mittag die Stadt erreichten, empfing man uns mit grünem Rasen und Palmen, die sich sanft im Wind einer zentralamerikanischen Hauptstadt hin- und her wogen. Wir fuhren vorbei an weiten Rasenflächen und breiten Straßen, alles wirkte etwas weiter, größer als in Matagalpa - hier gibt es nämlich sogar einen Bürgersteig, in Matagalpa muss man sich beinahe einreden, dass man nicht Mäuerchen läuft.
Unter zahlreichen Taxis gingen wir im Verkehr einer Großstadt unter, staunten über das, was wir sahen: Ruinen aus einer Zeit, die zwar grausam und diktatorisch, deren Glanz dennoch in den nun von Pflanzen überwucherten Bauten zu erkennen war; Frauen, die mitten auf einer schmalen Verkehrsinsel ein Feuerchen lodern ließen, um dort ihre Speisen anzubieten; Männer, die unbeirrt auf der Straße liefen, und Wasserflaschen oder kleine Plastikpäckchen am ganzen Körper tragen; Gruppen von Männern, die im spärlichen Schatten von hohen Palmen eine Rast von was auch immer einlegten, sich leise unterhielten und dabei lachten; zu allem Überfluss der Rasen, der so akkurat angelegt war, dass man schon meinen konnte, vor Jahren sei ein Engländer gekommen; Familien, die auf diesen Rasenstücken ihre Kühe weiden ließen und mit Sense und Macheta das Gras schneiden.
Gegensätzlicher hätte Managua nicht sein können: zukunftsgewand und realitätsentfremdet, dreckig und farbenfroh zugleich, aufgeweckt, den Zeitgeist in großen Schlucken nehmend, und in all seiner Vergessen- und Vergangenheit beinahe desinteressiert an dem, was vor sich ging.

Das, was ich durch die getünchten Scheiben aus dem Expressbus sah, war so anders als das, was ich erwartet hatte: wobei ich noch nicht einmal sagen konnte, was genau ich erwartet hatte. Managua es feo. Ich hatte keine Ahnung, warum.
Vor meinen Augen lag eine Stadt, die schlecht gewebt war, aber die keines Wegs den Anschein eines heißen Pflasters machte (wenn man klimatechnisch einmal davon absieht).

Wir hielten vor der deutschen Botschaft und ich kann nicht beschreiben, was für ein Gefühl es war, vor diesem Schild zu stehen, auf dem in dicken schwarzen Lettern stand: BOTSCHAFT DER BUNDESREPUBLIK DEUTSCHLAND | BESUCHSZEITEN: MONTAG; DIENSTAG; MITTWOCH; DONNERSTAG; FREITAG; 9-12 Uhr.
Eine deutsche Tafel in Nicaragua. Ich habe mich, glaube ich, der deutschen Sprache noch nie so verbunden gefühlt wie in diesem Moment.
In einem kleinen Häuschen, direkt neben dem Schild der Botschaft, saß ein nicaraguanischer Wächter, der uns erst einmal zehn Minuten warten ließ, bis eine zierliche deutsche Frau das Gebäude verließ und uns begrüßte. Gemeinsam betraten wir die deutsche Botschaft in Managua.

Diese zeichnete sich durch ein klimatisiertes Wartezimmer aus - ein Wartezimmer, wie es nur deutsch sein konnte. Vor der vergläserten Ausgangstür wippten erneut Gräser und Palmen im Wind, während wir im Innern beinahe zu frieren begonnen, uns auf gepolsterte Plastikstühle fallen ließen - die einem verlorenen, längst eingeholten Verständnis von Futurismus angehörten - und auf die Frau mit dem angenehmen bayerischen Akzent warteten. An den Wänden hingen Bilder von blonden deutschen Studenten, die begeistert einen deutschen Pass in die Kamera hielten, daneben ein großes Bild von Schloß Neuschwanstein. Plötzlich begannen wir, von Deutschland zu träumen. Um uns die Wartezeit zu verkürzen, erhielten wir Broschüren über Deutschland, sahen die Weinberge Baden-Badens, wurden sehnsüchtig beim Anblick der Kreidefelsen und dem Strand auf Sylt, und München, Frankfurt und Köln ließen in uns Gefühle frei, die wir bis dahin verschlossen geglaubt hatten - nein, von denen wir noch nicht einmal etwas gewusst hatten.

Es mag merkwürdig gewesen sein, denn wie sehr hatten wir uns in Deutschland doch hinfort gewünscht; und nun standen wir da, mitten in der deutschen Botschaft in Managua, während vor unserem Fenster die tropische Fauna Zentralamerikas wartete, und träumten von Weißwürstl, von Rheinlandpfalz und Baden-Württemberg, von Berlin und Schleswig-Holstein.
Das, was man jedoch vielleicht einen Kulturschock nennen könnte, ereilte mich im Badezimmer der Botschaft: es war gekachelt. Seit drei Monaten habe ich nicht mehr ein solches Badezimmer betreten; ich kenne es nicht anders, als aus der Dusche in den Patio zu treten und zwischen meiner Wäsche zu stehen. Ein echtes Waschbecken mit zwei Knöpfen haben wir nicht - und, oh mein Gott, zum ersten Mal seit langer Zeit konnte ich mich selbst im Spiegel sehen: von den Schuhen bis zum Haaransatz.
Traumatisiert verließ ich das Bad der Botschaft und berichtete den anderen von meinem Erlebnis. Man tat es mir gleich.

Den Rest des Tages verbrachten wir seltsam apathisch in einem netten Nica-Restaurant und chillten, bis wir schließlich Lina zum Flughafen brachten - wo sie auf Besuch aus Deutschland wartete - und wir anderen den Express nach Matagalpa nahmen.
Managua es feo; ist es, ja, und ist es nicht. Hässliche Ecken gibt es in jeder Stadt und in Managua mag es einige mehr geben - dazu einige sehr gefährliche. Aber die Angst, den Dreck und der Schauer, der bisher mit diesem Namen für mich einher ging, sind gewichen.

Als wir Managua verlassen, ist es bereits dunkel; an den Ausläufern der Stadt brennen Feuer, über denen Tiere schmorren; Menschenmengen durchfluten die Barrios der Suburbs und kleine Neonlichter weisen ihnen in der Unkenntlichkeit der nicaraguanischen Nacht den Weg in ihre Häuser, deren Wände aus Wellblech und Holzlatten bestehen.
Das Land, das mich auf für die restlichen neun Monate beheimaten wird, liegt dunkel hinter den Scheiben des Busses, der geräuschvoll der dunklen Straße nach Matagalpa folgt. In der Dunkelheit, die uns umgibt, bleiben die Schluchten und Vulkane, die Seen und grünen Berge des Departamentos Managua verborgen.

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Was es heißt, zu gehen

Mit knapp zwanzig Jahren Lebenserfahrung habe ich mich entschlossen, ab Sommer 2009 für ganze zwölf Monate nach Nicaragua zu gehen; dass es geklappt hat, hatte ich zwischendurch nicht wirklich gedacht; aber dass ich nun, Anfang Juli, so kurz vor der Ausreise stehe und meine Schulzeit einfach so an mir vorbei gegangen ist - das ist noch weniger zu begreifen. Ich werde natürlich an diesem Zustand nichts ändern können und freue mich tatsächlich wahnsinnig auf die Zeit in Mittelamerika. Bisher haben sich meine Auslandserfahrungen auf den europäischen Raum begrenzt; am 23. Juli geht es jedoch los in ein Land, von dessen Existenz ich zuvor zwar wusste, aber an das ich doch zugegeben wenig gedacht habe - und das ich geographisch als Abiturientin "drüben" eingeordnet habe.

Innerhalb eines Jahres werden sich mein Weltbild, meine geographischen und kulturellen Kenntnissen verschieben, neu ordnen. Ich werde einen Teil der Welt kennen lernen, der von Armut, Korruption, Drogen und der Hoffnung auf Besserung bestimmt wird, - aber genau so von Gastfreundlichkeit, Freude am Leben und an dem wenigen, das man hat.

Ich verlasse meine Heimat, ohne zu wissen, was Heimat eigentlich ist.

Natürlich werde ich wiederkommen - jedenfalls gehe ich stark davon aus -, aber die Entwicklung, die ich in diesem Jahr vollziehen werde, ist jetzt noch gar nicht abzusehen. Es fällt leicht, über all diese Dinge an einem warmen, geheizten Ort (im Winter) zu schreiben, wenn man von all dem umgeben ist, das man zum Leben braucht. Wie es tatsächlich in Nicaragua aussieht, was sich tatsächlich hinter dem Wort Armut verbirgt und was man als Europäer tun kann oder tun muss, werde ich erst in einem Jahr wissen. Dieser Blog ist daher zweierlei: einerseits eine Informationsstation, die allen, die es interessiert oder auch nur zufällig hierher stolpern, Eindrücke meines Lebens in Nicaragua schildern soll; andererseits eine Gedankenkiste, in der ich all das verarbeiten und mitteilen kann, was ich hier erlebe; im Großen und Ganzen ist es dabei auch ein Beitrag meinerseits, um eine Welt, die unglaublich verknüpft ist und die denkbar unvorstellbar von der Technik und dem Fortschritt profitiert, zu ermöglichen, die sich in all der Schnelllebigkeit auch noch gegenseitig versteht und zuhört.