Mittwoch, 14. Oktober 2009
Disney lügt und Columbus verfuhr sich
Dass dem guten Cristobal dieses Meisterwerk der menschlichen Gedankenvollkommenheit abhanden war, ist vollkommen verständlich, denn ein eben solches Gerät setzt voraus, dass die zu befahrene Gegend bereits bekannt ist. Dies war jedoch nicht der Fall.
Der arme Kerl setzte also auf den atlantischen Wind, einen funktionierenden Kompass und sein eigenes Gespür für das Befahren des Unbefahrenen: und verfuhr sich trotzdem.
Das heißt: er kam an einer anderen Stelle an, als es ihm in erster Linie lieb gewesen wäre: letztendlich konnte es ihm egal sein, denn statt Curry gab es Medizinmänner und Pocahontas - wobei die erstaunlich gut Spanisch sprechen konnte, wie Mirte und ich erst vor kurzem beim Genuss einer teufelsbösen Raubkopie - Mirte hat ganz viele davon, die kauft man am besten auf der Calle Central für ein paar Pesos - fest stellten.
Zurück zu Cristobal: aus Versehen hatte er Amerika entdeckt. Das war sicher auch nicht leicht für ihn, aber nach einer gewissen Zeit der Gewöhnung war es sicher nicht unbedingt unangenehm, sich dies zuschreiben zu können, - zum Glück starb er früh genug (entweder an Arthritis, Diabetes oder Syphilis, wobei eines ja schon reichen würde), um nicht erfahren zu können, dass Leif Eriksson erheblich früher vor ihm da gewesen war.
Das war ca. im Jahr 1000 - und schon wieder so lange her, dass sich hier keiner mehr so richtig an den Isländer erinnern will; das ist auch der Grund, warum die Mehrheit der Staaten Zentral- und Südamerikas nicht Isländisch, sondern Spanisch spricht (wofür wir ja an dieser Stelle nur dankbar sein können; ungern wäre ich nach Nicaragyäää gekommen).
Warum der kleine Ausflug in die Geschichte?
Am Montag fand in meiner Schule eine Feier zur Hispanidad statt: denn nicht nur mein flotter Bruder in Chile hat aus diesem Grunde frei, sondern auch ich in Nicaragua bemerke, dass ein verträumter Italiener sich vor Jahren im Namen der spanischen Krone verfuhr und in Zentralamerika landete - Parallelen zwischen Cristobal Columbus Irrfahrten und meinem Weg nach Indien sind aus der Luft gegriffen.
Die Fiesta fing um 1 Uhr an: und es ist schwer zu sagen, wie die Nicas feiern. Ich bin mir noch nicht sicher, ob sie keine Ahnung haben, wie man richtig Party macht - oder ob sie die einzigen sind, die wirklich wissen, wie man auf den Putz haut: als ich die Schule betrat, hatte so ziemlich jedes Kind eine Plastikflasche in der Hand und haute damit wie wahnsinnig auf die Stahlstreben, auf Tische und Stühle (wobei das ja hier das selbe ist) und es wurde gekreischt wie sonst was.
Riesige Palmenwedel hingen neben dem Eingang und für einen Moment dachte ich tatsächlich, mit tritt ein pfeifendes Schwein, als ich eine waschechte Pocahontas vorbeihüpfen sah - eine meiner Schülerin, die nie den Mund aufkriegt, und nun halbnackt durch die Schule huscht, um di Indios zu repräsentieren.
Dieses Land ist verrückt.
Sie war nicht die einzige, die sich in Schale geworfen hatte (wobei sie sich eher aus ihrer Schale gepellt hatte, denn sie stand wirklich halbnackt da, und sonderlich glücklich sah sie auch nicht aus), denn parallel zu ihr und ihrem nackten Indiomann, gab es noch einen waschechten Columbus + europäisches Fräulein und zwei feenhafte Wesen, die wie Paganina und Paganino aussahen. (wenn so die Ankunft in Amerika aussah, war es kein Wunder, dass Eriksson sich wieder verkrümelte und so tat, als wäre Island ihm genug), dachte ich mir, denn das Bild, das sich mir bot, war einfach zu verzogen: all die Kinder, die randalierten, die gelangweilten Lehrer, die Chips aßen oder sich unterhielten, die verkleideten Paare, die ethnische Minderheiten vor fast fünfhundert Jahren präsentierten - ja, und ich.
In meiner Fassungslosigkeit verpasste ich die Wahl der Königin - zumindest den Weg zur Wahlurne. Es gewann Paganina, die zu meinem Bedauern noch unglücklicher (und auch ein klein wenig hässlicher) aussah, als die beiden anderen Teilnehmerinnen zusammen. Profe Pedro setzte ihr eine Krone auf, während der Rest der Ninos der Escuela kreischten - ob aus Begeisterung oder aus Protest, habe ich nicht verstehen können.
Mit blutenden Ohren kehrte ich nach einer Stunde nach Hause zurück und hielt meinen Kopf in den Kühlschrank, um das monotone, nichts sagende Brummen der Neonröhre zu hören. Danach ging es mir besser, aber von mir aus muss Amerika nicht noch einmal entdeckt werden.
Was es heißt, zu gehen
Mit knapp zwanzig Jahren Lebenserfahrung habe ich mich entschlossen, ab Sommer 2009 für ganze zwölf Monate nach Nicaragua zu gehen; dass es geklappt hat, hatte ich zwischendurch nicht wirklich gedacht; aber dass ich nun, Anfang Juli, so kurz vor der Ausreise stehe und meine Schulzeit einfach so an mir vorbei gegangen ist - das ist noch weniger zu begreifen. Ich werde natürlich an diesem Zustand nichts ändern können und freue mich tatsächlich wahnsinnig auf die Zeit in Mittelamerika. Bisher haben sich meine Auslandserfahrungen auf den europäischen Raum begrenzt; am 23. Juli geht es jedoch los in ein Land, von dessen Existenz ich zuvor zwar wusste, aber an das ich doch zugegeben wenig gedacht habe - und das ich geographisch als Abiturientin "drüben" eingeordnet habe.
Innerhalb eines Jahres werden sich mein Weltbild, meine geographischen und kulturellen Kenntnissen verschieben, neu ordnen. Ich werde einen Teil der Welt kennen lernen, der von Armut, Korruption, Drogen und der Hoffnung auf Besserung bestimmt wird, - aber genau so von Gastfreundlichkeit, Freude am Leben und an dem wenigen, das man hat.Ich verlasse meine Heimat, ohne zu wissen, was Heimat eigentlich ist.
Natürlich werde ich wiederkommen - jedenfalls gehe ich stark davon aus -, aber die Entwicklung, die ich in diesem Jahr vollziehen werde, ist jetzt noch gar nicht abzusehen. Es fällt leicht, über all diese Dinge an einem warmen, geheizten Ort (im Winter) zu schreiben, wenn man von all dem umgeben ist, das man zum Leben braucht. Wie es tatsächlich in Nicaragua aussieht, was sich tatsächlich hinter dem Wort Armut verbirgt und was man als Europäer tun kann oder tun muss, werde ich erst in einem Jahr wissen. Dieser Blog ist daher zweierlei: einerseits eine Informationsstation, die allen, die es interessiert oder auch nur zufällig hierher stolpern, Eindrücke meines Lebens in Nicaragua schildern soll; andererseits eine Gedankenkiste, in der ich all das verarbeiten und mitteilen kann, was ich hier erlebe; im Großen und Ganzen ist es dabei auch ein Beitrag meinerseits, um eine Welt, die unglaublich verknüpft ist und die denkbar unvorstellbar von der Technik und dem Fortschritt profitiert, zu ermöglichen, die sich in all der Schnelllebigkeit auch noch gegenseitig versteht und zuhört.
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