Montag, 19. Oktober 2009
Santa Emilia
Aber nein, so ist es nicht.
Wenn man sich anhört, was wir an diesem Wochenende gemacht haben, mag der gemeine Europäer ein wenig neidisch werden: beinahe den gesamten Samstag verbrachten wir in Santa Emilia, einem weißen Wasserfall etwa eine halbe Stunde entfernt von Matagalpa. Hin fuhren wir stilecht auf einem Pickup, da Memo (ein guia turistica und Freund von uns)zum richtigen Zeitpunkt die richtigen Leute auf der Straße wieder erkennt.
Und somit fuhr uns eine Freundin von ihm zu Santa Emilia - vorher mussten wir jedoch erst noch ihre Finca bestaunen, die so unglaublich war, dass wir hinter jeder Palme Al Pacino erwarteten, der uns berichtete, diese Palme sei das letzte, was wir in unserem kümmerlichen Leben sehen würden.
Aber wir warteten vergebens, der Pate bevorzugte doch Santa Sicilia und somit brachte uns der Pickup zurück zu Santa Emilia. Dort staunten wir nicht schlecht über einen Wasserfall, der sich über uns geräuschvoll in die Tiefe stürzte, um dann in einem klaren Becken dem Strom durch den Dschungel zu folgen. Wir hüpften über Steine, spielten ein bisschen Gollum, und badeten schließlich mehrere Stunden in dem kühlen Wasser. Lina und Vivi entdeckten eine Grotte mit Fledermäusen, und Selina, unsere Österreicherin, freundete sich mit einem kleinen Jungen an, der die Steine ganz selbstverständlich wie eine Fußgängerzone benutzte, um über den breiten Strom zu gelangen. Ich brauchte wesentlich länger.
Nach mehreren Stunden in Santa Emilia, traten wir den Heimweg an; und wie das nun mal in Nicaragua ist, zeichnet sich eine bekannte Busstation dadurch aus, dass sie so perfekt mit ihrer Umgebung verschwimmt, dass überall eine Busstation sein könnte; sprich: es gibt keine. Wir pflanzten uns also an die Straße und hielten frech den Daumen in den Fahrtwind herannahender Autos. Es dauerte eine Weile, bis sich ein Bananentruck dazu durchring, uns mitzunehmen, und so standen wir schließlich zwischen ein paar grünen Stauden auf dem Dach des Transporters und wurden kräftig durchgeschüttelt. Während dessen offenbarte sich Nicaragua in seiner ganzen Schönheit: die grünen Berge und Täler, die Steinkluften und Vulkane, die Maisfelder und Urwälder lagen in einem goldenen Licht, vor uns und hinter uns türmten sich dunkle Wolkenberge von dunkelblau bis maulwurfsgrau, es begann zu regnen und die Tropfen, die noch eben auf unsere Haut gefallen waren, trockneten augenblicklich im Abendlicht.
Den Abend verbrachten wir damit, zu warten und zu kochen; als es schließlich halb elf war, waren wir zu müde und zu voll, um noch, wie einst geplant, nach Venancia zu einem Konzert zu gehen. Wir entschlossen uns, zu gammeln und die Entscheidung, ob wir gingen oder nicht, auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben. Dazu kam es nicht mehr.
Was es heißt, zu gehen
Mit knapp zwanzig Jahren Lebenserfahrung habe ich mich entschlossen, ab Sommer 2009 für ganze zwölf Monate nach Nicaragua zu gehen; dass es geklappt hat, hatte ich zwischendurch nicht wirklich gedacht; aber dass ich nun, Anfang Juli, so kurz vor der Ausreise stehe und meine Schulzeit einfach so an mir vorbei gegangen ist - das ist noch weniger zu begreifen. Ich werde natürlich an diesem Zustand nichts ändern können und freue mich tatsächlich wahnsinnig auf die Zeit in Mittelamerika. Bisher haben sich meine Auslandserfahrungen auf den europäischen Raum begrenzt; am 23. Juli geht es jedoch los in ein Land, von dessen Existenz ich zuvor zwar wusste, aber an das ich doch zugegeben wenig gedacht habe - und das ich geographisch als Abiturientin "drüben" eingeordnet habe.
Innerhalb eines Jahres werden sich mein Weltbild, meine geographischen und kulturellen Kenntnissen verschieben, neu ordnen. Ich werde einen Teil der Welt kennen lernen, der von Armut, Korruption, Drogen und der Hoffnung auf Besserung bestimmt wird, - aber genau so von Gastfreundlichkeit, Freude am Leben und an dem wenigen, das man hat.Ich verlasse meine Heimat, ohne zu wissen, was Heimat eigentlich ist.
Natürlich werde ich wiederkommen - jedenfalls gehe ich stark davon aus -, aber die Entwicklung, die ich in diesem Jahr vollziehen werde, ist jetzt noch gar nicht abzusehen. Es fällt leicht, über all diese Dinge an einem warmen, geheizten Ort (im Winter) zu schreiben, wenn man von all dem umgeben ist, das man zum Leben braucht. Wie es tatsächlich in Nicaragua aussieht, was sich tatsächlich hinter dem Wort Armut verbirgt und was man als Europäer tun kann oder tun muss, werde ich erst in einem Jahr wissen. Dieser Blog ist daher zweierlei: einerseits eine Informationsstation, die allen, die es interessiert oder auch nur zufällig hierher stolpern, Eindrücke meines Lebens in Nicaragua schildern soll; andererseits eine Gedankenkiste, in der ich all das verarbeiten und mitteilen kann, was ich hier erlebe; im Großen und Ganzen ist es dabei auch ein Beitrag meinerseits, um eine Welt, die unglaublich verknüpft ist und die denkbar unvorstellbar von der Technik und dem Fortschritt profitiert, zu ermöglichen, die sich in all der Schnelllebigkeit auch noch gegenseitig versteht und zuhört.
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