Mittwoch, 21. Oktober 2009

Zwischen den Jahren

Mein letzter Beitrag in diesem Blog als Neunzehnjährige; in Deutschland habe ich nun schon längst Geburtstag, bin schon zwanzig Jahre alt - und irgendwie ein bisschen offizieller erwachsen. Ich sitze gerade auf meinem Bett nach einem echt anstrengenden, aber sehr schönen Tag in der Schule, und lese die Geburtstagsgrüße, die ich ja eigentlich erst morgen lesen darf ... aber es hat einen gewissen Charme, dass mein Geburtstag sich über mehrere Zeitzonen über kulturelle und klimatische Schranken hinweg setzt.

Im Grunde genommen lege ich nicht viel Wert auf mein Alter - weil mich hier sowieso alle älter schätzen (heute mal wieder: vas a complear trenta, profe?), und ich es kaum erwarten kann, die überraschten Blick nicht mehr zu vernehmen, sobald ich verkünde, dass ich 19 bin.

In der Post heute habe ich ein Paket entgegen nehmen können, das den gleichen Weg wie ich angetreten ist: von Bochum bis nach Matagalpa; das verbindet.

Was meine Arbeit in der Schule angeht, so habe ich mittlerweile einen Weg gefunden, die Kinder für Englisch zu begeistern; in Educacion Fisica ist das nicht nötig, denn die laufen ja von selbst. Aber Ingles war immer eine Maulstunde, in der man sich daran erinnert, wie chillig das Leben sein kann, wenn man auf dem Campo in der Sonne brutzelt. Wie auch immer: ich habe Tonpapier, Scheren und Klebe gekauft und in den letzten zwei Tagen beinahe alle Grados damit beschallt, Frutas oder Vegetales zu malen, auszuschneiden, um sie dann auf ein Papier zu kleben. Daneben wird der englische Name geschrieben, - ich rechnete nicht mit dem nicaraguanischen Kurzzeitgedächtnis.
In den jüngeren Klassen war das Austeilen von Scheren, Papier und Klebe ein Kampf; ich kann es noch immer nicht glauben, dass ich alles wieder gefunden habe - und dass sich kein Kind ernsthaft verletzt hat. In den älteren Klassen lief es bei Weitem disziplinierter zu, und sogar die coolen Eckensitzer, die zwar kein Ingles, dafür aber diesen desinteressierten Blick extrem gut aufsetzen können, zeigten sich enthusiastisch beim Frutas-Basteln.
Während ich in den unteren Klassen Orangen mit Ohren vorfand, die sich auf einem eindimensionalen Obstteller neben abstrakten Melonen und kantigen Bananen anordnen, bewies mir vor allem die 5to A ihre Kreativität. Und dennoch gibt es immer zwei Seiten der Medaille: die FRüchte werden besser, das Englisch meiner Schüler ... verläuft sich irgendwo zwischen Pult und erster Reihe.

Aber gut, das muss ich zugeben, Erdbeere ist auch wirklich schwer.
Ich weiche mittlerweile mit meinem British English ab und nehme diesen starken Nicaragua-Akzent auf, der dann aus einem Äppl einen Aple macht. (Kein Wunder, dass sie sich nicht an Strawberry erinnern ...)

Mein Zimmer ist nun voll von nicaraguanischem Obst, von Kaffee, von Guallaba, von Bananen, Kirschen und Avocados. Als ich Mary Lou meine neuesten Errungenschaften zeige, ist sie ganz aus dem Häuschen, und will mir für morgen frei geben. Sie nennt mich wieder mi amor, die Kinder in der Schule spielen mit mir konfuse Klatschspiele und streichen mir über die Haare. Mira el pelo de la profe.
Ich sitze da und lasse mit mir geschehen; und irgendwie kann ich langsam aufhören, über all diese Dinge nachzudenken, die mich so lange hier beschäftigt haben. Vielleicht gehört das ja zum Erwachsenwerden dazu, - welch böse Unterstellung; vielleicht bilde ich mir das aber auch nur ein, weil ich nach Gefühlen symbolischen Charakters suche, die mein Heranwachsen beweisen.

1 Kommentar:

  1. Liebe Barbara,
    herzliche Glückwünsche zu Deinem Geburtstag.
    An deinen Erlebnissen nehmen wir regelmäßig und mit großem Interesse teil. Fühle Dich umarmt

    Gila und Jürgen

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Was es heißt, zu gehen

Mit knapp zwanzig Jahren Lebenserfahrung habe ich mich entschlossen, ab Sommer 2009 für ganze zwölf Monate nach Nicaragua zu gehen; dass es geklappt hat, hatte ich zwischendurch nicht wirklich gedacht; aber dass ich nun, Anfang Juli, so kurz vor der Ausreise stehe und meine Schulzeit einfach so an mir vorbei gegangen ist - das ist noch weniger zu begreifen. Ich werde natürlich an diesem Zustand nichts ändern können und freue mich tatsächlich wahnsinnig auf die Zeit in Mittelamerika. Bisher haben sich meine Auslandserfahrungen auf den europäischen Raum begrenzt; am 23. Juli geht es jedoch los in ein Land, von dessen Existenz ich zuvor zwar wusste, aber an das ich doch zugegeben wenig gedacht habe - und das ich geographisch als Abiturientin "drüben" eingeordnet habe.

Innerhalb eines Jahres werden sich mein Weltbild, meine geographischen und kulturellen Kenntnissen verschieben, neu ordnen. Ich werde einen Teil der Welt kennen lernen, der von Armut, Korruption, Drogen und der Hoffnung auf Besserung bestimmt wird, - aber genau so von Gastfreundlichkeit, Freude am Leben und an dem wenigen, das man hat.

Ich verlasse meine Heimat, ohne zu wissen, was Heimat eigentlich ist.

Natürlich werde ich wiederkommen - jedenfalls gehe ich stark davon aus -, aber die Entwicklung, die ich in diesem Jahr vollziehen werde, ist jetzt noch gar nicht abzusehen. Es fällt leicht, über all diese Dinge an einem warmen, geheizten Ort (im Winter) zu schreiben, wenn man von all dem umgeben ist, das man zum Leben braucht. Wie es tatsächlich in Nicaragua aussieht, was sich tatsächlich hinter dem Wort Armut verbirgt und was man als Europäer tun kann oder tun muss, werde ich erst in einem Jahr wissen. Dieser Blog ist daher zweierlei: einerseits eine Informationsstation, die allen, die es interessiert oder auch nur zufällig hierher stolpern, Eindrücke meines Lebens in Nicaragua schildern soll; andererseits eine Gedankenkiste, in der ich all das verarbeiten und mitteilen kann, was ich hier erlebe; im Großen und Ganzen ist es dabei auch ein Beitrag meinerseits, um eine Welt, die unglaublich verknüpft ist und die denkbar unvorstellbar von der Technik und dem Fortschritt profitiert, zu ermöglichen, die sich in all der Schnelllebigkeit auch noch gegenseitig versteht und zuhört.