Dienstag, 17. November 2009
Wham .- Ferien!
Von meinem verfrühten Weihnachtsglück wusste ich leider nichts und ich weiß nicht, ob ich es je zuvor verstanden hätte, aber erst jetzt bemerke ich, wie die Energie, die ein Lehrer aufbringen muss, langsam weicht und die letzten Meter zur rettenden Insel Kilometer werden.
So kam ich mir zumindest heute vor, als ich da vor den Ninos der 4to A stand; hätte ich gewusst, dass ich zum letzten Mal in diesem Jahr meinen Unterricht vorbereitete, hätte ich ihn womöglich anders vorbereitet, mit mehr Einsatz, mit ein bisschen mehr Euphorie. Ich hatte es zu nicht mehr als dem lausigen Text von Jingle Bells gebracht; und das interessierte keinen. Hätte mich auch nicht interessiert, wenn ich einer von den Stöpseln gewesen wäre, aber leider nehme ich die Rolle der Person mit der größten Authorität an diesem Ort ein. Da wird die Existenz teilweise zum Rätselspaß.
Ich wusste mir nicht mehr weiter zu helfen, und kurz entschlossen tat ich das, was jeder an meiner Stelle gemacht hätte, - je nachdem, ob verzweifelt oder hochmotiviert. Ich sang das Lied, dessen Text an der Tafel stand.
Und ich habe eine neue Methode gefunden, mit der die Ninos still stehen. Ich weiß nicht, ob es tatsächlich so schlecht war, dass man den Ventilator kreisen hören konnte, oder es vielleicht auch wieder so gut war. Auf jeden Fall starren mich achtundzwanzig Augenpaare (darunter auch Profe Judith) an, und ich muss dabei so lachen, dass sie mich für wahnsinnig halten müssen.
Schließlich rettet mich Goerge Michael, den ich bei mir habe; die Ninos kopieren nun wie wild Jingle Bells und ich spiele ihnen Weihnachtsmusik vor: Zwei Spuren im Schnee auf Deutsch - schöne Grüße und herzlichen Dank an Tim - und, ja, Last Christmas. Traumatisiert verlassen die Ninos wie auch ich den Klassenraum.
Nach der Pause helfe ich Profe Sandra, ihre Ninos zu wiegen und zu messen; es ist erstaunlich, denn einige bringen 25 KG auf die Waage und sind gerade mal 1.40 m groß. Wiederum andere schleppen einiges mit sich herum. Die Zusammenstellung der Grados verstehe ich immer noch nicht; allein in der 5to A sind Ninos im Alter von neun bis dreizehn.
Zum Schluss lasse ich ein letztes Mal Schneemänner malen. Ich erkläre den Ninos, dass sie Weihnachten malen sollen, - so wie sie es hier in Nicaragua feiern, oder eben so, wie sie es gerne feiern würden. Adolfo malt einen ziemlich wüsten Totenkopf.
Ein bisschen geschafft, aber auch glücklich verlasse ich die Escuela Publica Wuppertal. Auf dem Weg nach Hause geht die Sonne unter und das Primero Mayo verschwindet aus meinem Sichtfeld. Vor mir liegt Apante und die umliegenden Berge, die Matagalpas Talkessel komplett machen.
Als ich in meine Straße biege, die Eisentür aufschließe und schließlich ins Wohnzimmer komme, ist die Pause nur von kurzer Dauer: Brenda und Rosalinda stehen vor der Tür und haben ein Anliegen, das mich sie mal wieder an mich drücken lässt: Rosalinda fehlte am Tag des Examens, und fragt mich mit großen braunen Augen, ob sie das Examen jetzt machen könnte. Was soll ich dazu sagen? Es ist halb sechs und meine Ninos könnten längst zu Hause sein.
Gemeinsam mit Brenda setzt sie sich hin und löst das Examen. Ich merke dabei, was ich den Kindern beigebracht habe - und dass sie Gemüse einfach nicht lernen wollen. Aber zum Schluss strahlen die beiden mich an; sie kommen Sonntag wieder. Und kichern.
Was es heißt, zu gehen
Mit knapp zwanzig Jahren Lebenserfahrung habe ich mich entschlossen, ab Sommer 2009 für ganze zwölf Monate nach Nicaragua zu gehen; dass es geklappt hat, hatte ich zwischendurch nicht wirklich gedacht; aber dass ich nun, Anfang Juli, so kurz vor der Ausreise stehe und meine Schulzeit einfach so an mir vorbei gegangen ist - das ist noch weniger zu begreifen. Ich werde natürlich an diesem Zustand nichts ändern können und freue mich tatsächlich wahnsinnig auf die Zeit in Mittelamerika. Bisher haben sich meine Auslandserfahrungen auf den europäischen Raum begrenzt; am 23. Juli geht es jedoch los in ein Land, von dessen Existenz ich zuvor zwar wusste, aber an das ich doch zugegeben wenig gedacht habe - und das ich geographisch als Abiturientin "drüben" eingeordnet habe.
Innerhalb eines Jahres werden sich mein Weltbild, meine geographischen und kulturellen Kenntnissen verschieben, neu ordnen. Ich werde einen Teil der Welt kennen lernen, der von Armut, Korruption, Drogen und der Hoffnung auf Besserung bestimmt wird, - aber genau so von Gastfreundlichkeit, Freude am Leben und an dem wenigen, das man hat.Ich verlasse meine Heimat, ohne zu wissen, was Heimat eigentlich ist.
Natürlich werde ich wiederkommen - jedenfalls gehe ich stark davon aus -, aber die Entwicklung, die ich in diesem Jahr vollziehen werde, ist jetzt noch gar nicht abzusehen. Es fällt leicht, über all diese Dinge an einem warmen, geheizten Ort (im Winter) zu schreiben, wenn man von all dem umgeben ist, das man zum Leben braucht. Wie es tatsächlich in Nicaragua aussieht, was sich tatsächlich hinter dem Wort Armut verbirgt und was man als Europäer tun kann oder tun muss, werde ich erst in einem Jahr wissen. Dieser Blog ist daher zweierlei: einerseits eine Informationsstation, die allen, die es interessiert oder auch nur zufällig hierher stolpern, Eindrücke meines Lebens in Nicaragua schildern soll; andererseits eine Gedankenkiste, in der ich all das verarbeiten und mitteilen kann, was ich hier erlebe; im Großen und Ganzen ist es dabei auch ein Beitrag meinerseits, um eine Welt, die unglaublich verknüpft ist und die denkbar unvorstellbar von der Technik und dem Fortschritt profitiert, zu ermöglichen, die sich in all der Schnelllebigkeit auch noch gegenseitig versteht und zuhört.
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