Montag, 16. November 2009
Singende Polizisten
Aber um die besorgten Leser meines Blogs zu beruhigen: es gibt auch für mich ein Leben neben dem Sport, nach der Schule. Heute hatte ich erneut einen chilligen Tag auf dem Campo, sagen wir fünfundvierzig Minuten. Gemeinsam mit Profe Angela ("Ach, ich dachte, ich habe dir das Geld schon gegeben ...") genoss ich die letzten warmen Sonnenstrahlen des Tages. Den Vormittag verbrachte ich damit, Geld für das nahende Wintersonnenwendenfest zu kaufen. Mehr verrate ich an dieser Stelle nicht, aber schönen Gruß an die Familie Slotta, die bald ein Care-Paket ereilt. Ich hab auch keine Ahnung, von wem.
Wie sicherlich nicht nur Viola bemerkt hat, wurde es im Vergleich zu vorher etwas ruhiger um uns; das Schuljahr geht dem Ende zu, wir planen unsere Reiseroute (Guatemala, Corn Island, Costa Rica, Panama) und gammeln ein bisschen. Für Mirte, Tim und mich ist es die letzte gemeinsame Woche. Tim bricht bereits am Wochenende auf und mit ein wenig Glück treffen wir uns alle nochmal auf Corn Island, aber wirklich fest steht es nicht.
Gerade deshalb verbringen wir diese Woche in trauter Dreisamkeit: heute werden Plätzchen gebacken und auf dem Weg in die Stadt passierte ich doch tatsächlich eine kleine Polizeistation. Dort saßen drei Polizisten mit einer Gitarre, die das Geschehen auf den nicaraguanischen Straßen wenig interessierte: dafür sangen sie wirklich gut und schienen wie alles in diesem Land extrem tranquillo. Vielleicht ist das ja hier so: dieses Land ist voll von Poeten, von Sängern, Schriftstellern, Malern, Künstlern, und dann, ja, mindestens genau so viele Kleinkriminelle und Großbanditen. Aber eine Nation kann eben nicht nur aus Schöngeistern bestehen ... und so kommt es, dass Polizisten an einem Montagnachmittag singen.
Ich weiß nicht, ob mich das beunruhigen soll, oder ob ich mir tatsächlich dieses schaukelig-baumelnde asi-es-la-vida-y-la-vida-es-tranquilla-Gefühl erlauben darf.
Was es heißt, zu gehen
Mit knapp zwanzig Jahren Lebenserfahrung habe ich mich entschlossen, ab Sommer 2009 für ganze zwölf Monate nach Nicaragua zu gehen; dass es geklappt hat, hatte ich zwischendurch nicht wirklich gedacht; aber dass ich nun, Anfang Juli, so kurz vor der Ausreise stehe und meine Schulzeit einfach so an mir vorbei gegangen ist - das ist noch weniger zu begreifen. Ich werde natürlich an diesem Zustand nichts ändern können und freue mich tatsächlich wahnsinnig auf die Zeit in Mittelamerika. Bisher haben sich meine Auslandserfahrungen auf den europäischen Raum begrenzt; am 23. Juli geht es jedoch los in ein Land, von dessen Existenz ich zuvor zwar wusste, aber an das ich doch zugegeben wenig gedacht habe - und das ich geographisch als Abiturientin "drüben" eingeordnet habe.
Innerhalb eines Jahres werden sich mein Weltbild, meine geographischen und kulturellen Kenntnissen verschieben, neu ordnen. Ich werde einen Teil der Welt kennen lernen, der von Armut, Korruption, Drogen und der Hoffnung auf Besserung bestimmt wird, - aber genau so von Gastfreundlichkeit, Freude am Leben und an dem wenigen, das man hat.Ich verlasse meine Heimat, ohne zu wissen, was Heimat eigentlich ist.
Natürlich werde ich wiederkommen - jedenfalls gehe ich stark davon aus -, aber die Entwicklung, die ich in diesem Jahr vollziehen werde, ist jetzt noch gar nicht abzusehen. Es fällt leicht, über all diese Dinge an einem warmen, geheizten Ort (im Winter) zu schreiben, wenn man von all dem umgeben ist, das man zum Leben braucht. Wie es tatsächlich in Nicaragua aussieht, was sich tatsächlich hinter dem Wort Armut verbirgt und was man als Europäer tun kann oder tun muss, werde ich erst in einem Jahr wissen. Dieser Blog ist daher zweierlei: einerseits eine Informationsstation, die allen, die es interessiert oder auch nur zufällig hierher stolpern, Eindrücke meines Lebens in Nicaragua schildern soll; andererseits eine Gedankenkiste, in der ich all das verarbeiten und mitteilen kann, was ich hier erlebe; im Großen und Ganzen ist es dabei auch ein Beitrag meinerseits, um eine Welt, die unglaublich verknüpft ist und die denkbar unvorstellbar von der Technik und dem Fortschritt profitiert, zu ermöglichen, die sich in all der Schnelllebigkeit auch noch gegenseitig versteht und zuhört.
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