Sonntag, 15. November 2009

Zwei Erdnüsschen in Leon

Dies ist ein Reisetagebuch; und wer ein solches führt, muss eben auch mal reisen. Sonst wäre es nämlich nur ein Tagebuch, und ein solches zu führen, sehe ich mich nicht im Stande, denn dies setzt voraus, dass mir das Handeln, Wirken und Denken meiner eigenen Person bekannt bzw. verständlich wäre.
Ich beende diesen kleinen Exkurs in meine große Psyche mit dem Verkünden der Tatsache, dass ich gestern reiste: und zwar nach Leon.

Leon.
Tolle Stadt.
Schöner als Matagalpa. Darf ich das sagen? Es ist nämlich wirklich so.
Mein Reiseführer sagt mir, dass Leon Zentrum des nicaraguanischen Erdnusshandels ist. Das finde ich lustig und die Stadt ist mir gleich sympathisch.

Nicht ganz so sympathisch ist mir die Hitze, die hier wütet: Leon liegt am Pazifik, oder sagen wir, nahe am Pazifik; zum Strand muss man nämlich noch mal ein paar Busse nutzen. Aber die Stadt an sich ist der Wahnsinn.
In der nicaraguanischen Geschichte nimmt Leon eine große Rolle ein; nicht nur, dass Ruben Darío hierher kommt, nein, hier wurde auch einer der zwei Somozas, der Diktatoren, von einem jungen Dichter namens Rigoberto Lopes Perez erschossen; zudem gilt Leon als intellektuelles Zentrum Nicaraguas. Kein Wunder also, dass wir hier sind.

Lea, eine deutsche Freundin, und ich machen uns um sechs Uhr morgens mit dem Expressbus von Matagalpa auf nach Leon; es ist erstaunlich ruhig in Matagalpa zu diesem Zeitpunkt, die Straßen sind wie ausgestorben, es ist frisch, allein ein heller Streifen Morgenlicht streift die Stadt und wird hinter Apante breiter.
Wir sitzen im Bus, in einem dieser amerikanischen Schulbusse, und schlafen.
Als wir um acht Uhr in Leon ankommen, ist es bereits unglaublich heiß. Ich hatte diese klimamärchen über Leon nie glauben können; aber es ist wirklich so.
Vom Busbahnhof in Leon zur Kathedrale sind es vielleicht zwanzig Minuten Fußweg, aber sobald wir aus dem Bus steigen, rennen die Taxifahrer auf uns zu und sagen, dass sie uns dahin bringen, wo immer wir auch hinwollen.
Zusammen mit Giuseppe, einem Schweizer, teilen wir uns spontan ein Taxi bis zum Centro. Kaum steigen wir aus, wird uns mal wieder die Enge Matagalpas bewusst: Leon ist groß und weitläufig. Die perfekte Mischung aus gutem Wetter und Jinotega. Der Platz vor der Kathedrale liegt noch im Schatten des Gebäudes, auf den Stufen sitzen Menschen, die noch die letzte Kühle des Steines genießen, bevor es richtig heiß wird. Unter einigen Bäumen stehen Händler und verkaufen so ziemlich alles, was man verkaufen kann: Stühle, Hängematten, Ohrringe, Schmuck, T-Shirts, nicaraguanische Artesanias, alles. Lea und ich sind noch müde, aber irgendwie kaufen wir dafür doch eine ganze Menge.

Schließlich setzen wir uns auf eine Bank und überlegen, wie wir weiter fort fahren: Leon wird auch die Stadt der Kirchen genannt und die Einwohner müssen tatsächlich sehr katholisch sein, denn im weiteren Verlauf des Tages gucken wir uns eine Kirche nach der anderen an. Und in Leon bedeutet das, dass es in jedem Cuadra, in jedem Viertel, mindestens eine gibt.
Wir verbringen den Tag damit, die Stadt zu Fuß zu erkunden: und wer auch immer eines Tages nach Nicaragua kommt, sollte nach Leon fahren. Es ist egal, ob im Sommer oder Winter, denn in Leon gibt es womöglich nur eine Jahreszeit: heiß. Wir schleppen uns durch diese kolonialen Straßen, bewundern die Häuser, kaufen Wasser, landen schließlich in einer Panaderia und stärken uns ein bisschen. Danach geht es auf zur nächsten Kirche und wir sind so sehr gegrillt, dass wir ständig gegeneinander laufen.

Gegen Mittag beschließe ich, ein nicaraguanisches Sofa ergo eine Hängematte für unser Haus zu kaufen. Gerade mal 10 Euro zahle ich. Darf ich das schreiben? Dieser Cordobawechselkurs ist unglaublich.
Der Kauf der Hängematte stellte sich auch unmittelbar als klug heraus: denn unser Verkäufer hat auch Liegestühle; wir fragen höflich und für eine geschätzte Stunde gammeln wir direkt vor der Kathedrale in Leon in gemieteten Liegestühlen und lassen es uns gut gehen.

Kurz bevor wir fahren, laufen wir noch einmal über den Markt, der so viel größer und schöner ist als in Matagalpa. Fast sind wir traurig, dass man uns nicht in Leon stationierte; wäre da nicht das Wetter, das uns schließlich unfähig zu jeder weiteren Handlung macht.
Um drei Uhr schleppen wir uns zum Bus und fahren schließlich wieder davon; wieder schlafen wir, hinter uns sitzen eklige Männer, aber das kriegen wir nicht mit. Die Musik im Radio ist immer wieder die selbe: Bryan Adams, Pink Floyd, schlechte nicaraguanische Liebesmusik, die meistens mit den Sätzen te quierooooo oder te dije adioooooos beginnt und sich irgendwann im Schnulz verliert.

In den wenigen wachen Momenten auf dieser Rückfahrt von Leon nach Matagalpa sehen wir wieder dieses unglaubliche Land an den getünchten Fenstern des Busses vorbeiziehen: Vulkane, breite Felder, einsame Hütten, spielende Kinder, kleine comunidades, die vollkommen ohne Wasser und Strom auskommen, bunte Wäsche, zwischen zwei Bäumen aufgespannt. Ich will ja nicht immer schreiben, dass dieses Land so wunderschön ist, aber das ist es; und irgendwie kennen selbst wir, die wir hier nun leben, es immer noch nicht so sehr, dass wir aufhören könnten, zu staunen.

1 Kommentar:

  1. he, schönster eintrag bis jetzt, meiner meinung nach :). toll, dass du's so genießt, man wird ja richtig neidisch :D

    tqm!
    lulucinho

    AntwortenLöschen

Was es heißt, zu gehen

Mit knapp zwanzig Jahren Lebenserfahrung habe ich mich entschlossen, ab Sommer 2009 für ganze zwölf Monate nach Nicaragua zu gehen; dass es geklappt hat, hatte ich zwischendurch nicht wirklich gedacht; aber dass ich nun, Anfang Juli, so kurz vor der Ausreise stehe und meine Schulzeit einfach so an mir vorbei gegangen ist - das ist noch weniger zu begreifen. Ich werde natürlich an diesem Zustand nichts ändern können und freue mich tatsächlich wahnsinnig auf die Zeit in Mittelamerika. Bisher haben sich meine Auslandserfahrungen auf den europäischen Raum begrenzt; am 23. Juli geht es jedoch los in ein Land, von dessen Existenz ich zuvor zwar wusste, aber an das ich doch zugegeben wenig gedacht habe - und das ich geographisch als Abiturientin "drüben" eingeordnet habe.

Innerhalb eines Jahres werden sich mein Weltbild, meine geographischen und kulturellen Kenntnissen verschieben, neu ordnen. Ich werde einen Teil der Welt kennen lernen, der von Armut, Korruption, Drogen und der Hoffnung auf Besserung bestimmt wird, - aber genau so von Gastfreundlichkeit, Freude am Leben und an dem wenigen, das man hat.

Ich verlasse meine Heimat, ohne zu wissen, was Heimat eigentlich ist.

Natürlich werde ich wiederkommen - jedenfalls gehe ich stark davon aus -, aber die Entwicklung, die ich in diesem Jahr vollziehen werde, ist jetzt noch gar nicht abzusehen. Es fällt leicht, über all diese Dinge an einem warmen, geheizten Ort (im Winter) zu schreiben, wenn man von all dem umgeben ist, das man zum Leben braucht. Wie es tatsächlich in Nicaragua aussieht, was sich tatsächlich hinter dem Wort Armut verbirgt und was man als Europäer tun kann oder tun muss, werde ich erst in einem Jahr wissen. Dieser Blog ist daher zweierlei: einerseits eine Informationsstation, die allen, die es interessiert oder auch nur zufällig hierher stolpern, Eindrücke meines Lebens in Nicaragua schildern soll; andererseits eine Gedankenkiste, in der ich all das verarbeiten und mitteilen kann, was ich hier erlebe; im Großen und Ganzen ist es dabei auch ein Beitrag meinerseits, um eine Welt, die unglaublich verknüpft ist und die denkbar unvorstellbar von der Technik und dem Fortschritt profitiert, zu ermöglichen, die sich in all der Schnelllebigkeit auch noch gegenseitig versteht und zuhört.