Sonntag, 22. November 2009
Wie man ein Messer hält und was man damit vorhaben kann
Grund genug, den gestrigen Tag mit Reisevorbereitungen, aber auch mit einem Abschied zu verbringen: denn die gemeinsame Zeit mit Mirte im Haus ging gestern Abend zu Ende, zumindest für Tim. Da ich noch eine weitere Woche auf meine Fiesta mit Mary Lou und Norma und dem Rest der Escuela Publica Wuppertal warte, werden Mirte und ich diese Woche noch gemeinsam verbringen. Im Anschluss sehen wir uns mit gut Glück nochmal auf Corn Island an Weihnachten (wobei die Insel so klein ist - halbe Stunde vom einen Ende zum anderen -, dass wir uns wohl begegnen werden). Und dann fährt sie auch schon nach Holland zurück.
Es ist erstaunlich, wie schnell die Zeit vergeht, denn auf den Tag genau vor vier Monaten kamen wir an. Was hat sich seit dem geändert? Wir haben uns unseren Weg in die Projekte gebahnt, hatten zwei tolle Monate mit Mirte, sind verreist, haben Engel gesehen und furchtbare Geschichten gehört und zum Teil miterlebt. Und ja, wir werden umziehen. Acht Monate fehlen, und wir kriegen ein bisschen Angst, denn die folgenden zwei, drei Monate werden sehr schnell verstreichen.
Zusammen sitzen wir ein letztes Mal in der Pizzeria. Und Angie, eine Amerikanerin, mit der Lina und Vivi zusammen leben, stimmt uns schon mal alle auf Guatemala und auf den Weg dorthin ein.
Wenn ihr ein Messer habt, dann müsst ihr immer von unten zustechen, nie von oben. Man kann es euch von oben leichter entwenden, als von unten. Sie macht es uns vor, allerdings ohne Opfer, und wir verstehen.
Schließlich kehren wir heim und wir sind alle so müde, dass wir augenblicklich einschlafen. Das könnte mit dem Sandmännchen zu tun haben: das wird heute nämlich fünfzig Jahre alt. Herzlichen Glückwunsch.
Was es heißt, zu gehen
Mit knapp zwanzig Jahren Lebenserfahrung habe ich mich entschlossen, ab Sommer 2009 für ganze zwölf Monate nach Nicaragua zu gehen; dass es geklappt hat, hatte ich zwischendurch nicht wirklich gedacht; aber dass ich nun, Anfang Juli, so kurz vor der Ausreise stehe und meine Schulzeit einfach so an mir vorbei gegangen ist - das ist noch weniger zu begreifen. Ich werde natürlich an diesem Zustand nichts ändern können und freue mich tatsächlich wahnsinnig auf die Zeit in Mittelamerika. Bisher haben sich meine Auslandserfahrungen auf den europäischen Raum begrenzt; am 23. Juli geht es jedoch los in ein Land, von dessen Existenz ich zuvor zwar wusste, aber an das ich doch zugegeben wenig gedacht habe - und das ich geographisch als Abiturientin "drüben" eingeordnet habe.
Innerhalb eines Jahres werden sich mein Weltbild, meine geographischen und kulturellen Kenntnissen verschieben, neu ordnen. Ich werde einen Teil der Welt kennen lernen, der von Armut, Korruption, Drogen und der Hoffnung auf Besserung bestimmt wird, - aber genau so von Gastfreundlichkeit, Freude am Leben und an dem wenigen, das man hat.Ich verlasse meine Heimat, ohne zu wissen, was Heimat eigentlich ist.
Natürlich werde ich wiederkommen - jedenfalls gehe ich stark davon aus -, aber die Entwicklung, die ich in diesem Jahr vollziehen werde, ist jetzt noch gar nicht abzusehen. Es fällt leicht, über all diese Dinge an einem warmen, geheizten Ort (im Winter) zu schreiben, wenn man von all dem umgeben ist, das man zum Leben braucht. Wie es tatsächlich in Nicaragua aussieht, was sich tatsächlich hinter dem Wort Armut verbirgt und was man als Europäer tun kann oder tun muss, werde ich erst in einem Jahr wissen. Dieser Blog ist daher zweierlei: einerseits eine Informationsstation, die allen, die es interessiert oder auch nur zufällig hierher stolpern, Eindrücke meines Lebens in Nicaragua schildern soll; andererseits eine Gedankenkiste, in der ich all das verarbeiten und mitteilen kann, was ich hier erlebe; im Großen und Ganzen ist es dabei auch ein Beitrag meinerseits, um eine Welt, die unglaublich verknüpft ist und die denkbar unvorstellbar von der Technik und dem Fortschritt profitiert, zu ermöglichen, die sich in all der Schnelllebigkeit auch noch gegenseitig versteht und zuhört.
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