Freitag, 5. Februar 2010

Alles bleibt anders

Als ich am Dienstag die Escuela Publica Wuppertal betrete, beschleicht mich dieses Gefühl, dass Ferien ja was Tolles sind, aber dass das hier viel toller ist; Kinderaugen strahlen mich an, doch sie sind noch etwas verhalten, sind noch etwas schüchtern und trauen sich nicht, mich über den Haufen zu rennen.
Besser so, zumindest für den Anfang.
Mercedes am Eingang begrüßt mich mit einem tiefen Blick und erklärt mir, dass ich mich lange nicht habe sehen lassen.
Aber warum sollte ich auch in den Ferien zur Schule gehen?
Für einen kurzen Moment jedoch hat sie es geschafft, mir ein schlechtes Gewissen, ein bisschen Unsicherheit zu verschaffen.
Heute geht doch die Schule los?
Sie lacht und nickt.
Ich gehe weiter, vorbei an den Klassenräumen, wo Profe Pedro schon unterricht. Er sieht mich und winkt mir zu, ruft mitten im Satz hola! und alle Köpfe seiner Schüler drehen sich zu mir. Ich winke auch, verschwinde aber schnell im Sekretariat.

Und da sitzt Norma, allein.
Barbara!, ruft sie und strahlt mich an.

Danach brauchen wir für das Erstellen eines Stundenplanes (deutsche Zeit: 5 Minuten) zweieinhalb Stunden. Wir quatschen über alles und werden auch manchmal von Kindern oder Lehrern aufgehalten.
In der Pause erscheint Profe Pedro im Direktorat und stellt sich mir vor. Er heiße Pedro und sei hier Lehrer. Jaja.
Fast schon könnte man denken, dass auch hier, in Matagalpa, alles beim Alten bleibe.
Aber nein, so ist es nicht.

Denn: Mary Lou ist nicht mehr da. Sie ist jetzt Direktorin an einer anderen Schule. Mit ihr gingen ca. 50 Kinder der Escuela Publica Wuppertal, sie alle haben die Schule gewechselt; und darunter sind auch ein paar der Kinder, die ich ganz besonders mochte: Juli ist nicht mehr da, Fabiann ist nicht mehr da, und Brenda ist den Tränen nah, als sie mir erklärt, dass Rosalinda eine andere Schule besuche.
Ich nehme sie in den Arm und sie drückt sich an mich.
Dann strahlt sie mich an.
Machen wir wieder Englisch`?
Na, klar, sage ich.
Sie grinst.
Aber keine Früchte mehr.

Ok, sage ich und muss lachen, keine Früchte mehr.

Als ich nach Hause gehe, bin ich hin- und hergerissen zwischen dem, was ich an meinem ersten Arbeitstag erlebt habe; einerseits freue ich mich. Ich freue mich auf weitere sechs Monate mit den Kindern, auf den Unterricht, auf die Arbeit mit den Lehrern, - immerhin haben sie mich alle wie ein Mitglied aus dem Kollegium behandelt. Judith hat mich gar nicht mehr los gelassen und brabbelte mich zehn Minuten lang zu.
Andererseits werde ich auch die anderen Kinder, die uns verloren gingen, vermissen, genau so Mary Lou. Wer wird mir erklären, wie ich meine Haare zu waschen habe?
Aber immerhin: Gerson ist noch da. Und er ist genau so, wie ich ihn im letzten Jahr verlassen habe. Es bleibt also spannend.

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Was es heißt, zu gehen

Mit knapp zwanzig Jahren Lebenserfahrung habe ich mich entschlossen, ab Sommer 2009 für ganze zwölf Monate nach Nicaragua zu gehen; dass es geklappt hat, hatte ich zwischendurch nicht wirklich gedacht; aber dass ich nun, Anfang Juli, so kurz vor der Ausreise stehe und meine Schulzeit einfach so an mir vorbei gegangen ist - das ist noch weniger zu begreifen. Ich werde natürlich an diesem Zustand nichts ändern können und freue mich tatsächlich wahnsinnig auf die Zeit in Mittelamerika. Bisher haben sich meine Auslandserfahrungen auf den europäischen Raum begrenzt; am 23. Juli geht es jedoch los in ein Land, von dessen Existenz ich zuvor zwar wusste, aber an das ich doch zugegeben wenig gedacht habe - und das ich geographisch als Abiturientin "drüben" eingeordnet habe.

Innerhalb eines Jahres werden sich mein Weltbild, meine geographischen und kulturellen Kenntnissen verschieben, neu ordnen. Ich werde einen Teil der Welt kennen lernen, der von Armut, Korruption, Drogen und der Hoffnung auf Besserung bestimmt wird, - aber genau so von Gastfreundlichkeit, Freude am Leben und an dem wenigen, das man hat.

Ich verlasse meine Heimat, ohne zu wissen, was Heimat eigentlich ist.

Natürlich werde ich wiederkommen - jedenfalls gehe ich stark davon aus -, aber die Entwicklung, die ich in diesem Jahr vollziehen werde, ist jetzt noch gar nicht abzusehen. Es fällt leicht, über all diese Dinge an einem warmen, geheizten Ort (im Winter) zu schreiben, wenn man von all dem umgeben ist, das man zum Leben braucht. Wie es tatsächlich in Nicaragua aussieht, was sich tatsächlich hinter dem Wort Armut verbirgt und was man als Europäer tun kann oder tun muss, werde ich erst in einem Jahr wissen. Dieser Blog ist daher zweierlei: einerseits eine Informationsstation, die allen, die es interessiert oder auch nur zufällig hierher stolpern, Eindrücke meines Lebens in Nicaragua schildern soll; andererseits eine Gedankenkiste, in der ich all das verarbeiten und mitteilen kann, was ich hier erlebe; im Großen und Ganzen ist es dabei auch ein Beitrag meinerseits, um eine Welt, die unglaublich verknüpft ist und die denkbar unvorstellbar von der Technik und dem Fortschritt profitiert, zu ermöglichen, die sich in all der Schnelllebigkeit auch noch gegenseitig versteht und zuhört.