Samstag, 27. Februar 2010
Die Ananas-Verschwörung
Zwischendurch wird seminariert.
Das ist dann nicht so angenehm, man kann sich deutlich schöneres vorstellen, es muss nicht unbedingt weh tun, vielleicht tut es auch gar nicht weh, vielleicht ist es langweilig, vielleicht nimmt man einfach ein weiteres Mal im menschlichen Leben die Langwierigkeit der Zeit wahr.
So oder so, - es gibt viele Vorurteile zu Seminaren. Und einige treffen wahrscheinlich auch gut zu, zum Beispiel die Geschichte vom endlosen Buffet. Aber: nicht jedes Seminar ist ausschließlich langweilig, nicht jedes Seminar ist ausschließlich verregnet.
So war es auch in Sarapiqui, Costa Rica. Denn am vorletzten Tag ließ der Regen nach und es kam sogar die Sonne heraus.
Was macht man an so einem Tag? Richtig: man fährt ins Grüne. Mit der ganzen Familie.
Wir sitzen also um Punkt acht Uhr morgens in einem Bus, dessen Sitze ein bisschen riechen, und fahren schlaftrunken dorthin, wo der Boden besonders nahrreich ist. Zumindest wächst dort Ananas.
Das, liebe Freunde, ist ein großer Irrtum.
Die Ananas an sich braucht so gut wie nichts zum Leben. Sie ist tranquilo. Ein angenehmer Mitbewohner. Sie macht kein Mätzchen und macht keinen Unfug, sie macht keine Unordnung, räumt dafürt aber auch nicht auf. Sie hilft nicht beim Bügeln, aber sie hat auch keine Dreckwäsche. Wenn sie natural ist.
Natural bedeutet im Falle der Ananas: schrumpelig. klein. Die Ananas, die wir jedoch aus unseren Landen bzw. Läden kennen, - denn sie ist nun mal kein heimisches Gewächs - sieht aus wie gemalt, wie von Menschenhand geformt. Und das ist sie auch.
Wir besuchen eine 1200 Hektar große Finca. Viel Land, reich an gutem Boden, Karibikküste. Klingt klasse. Aber hier wächst nur Ananas. Und das ist großer Unsinn. Denn die Ananas, die kleine, schrumpelige, natürliche Ananas braucht nur einen Baum zum Wachsen. Sie sucht sich einen schönen Ast und macht es sich bequem. Irgendwann ist sie reif, dann fällt sie runter und der Mensch kann Ananas essen.
In Costa Rica läuft das anders: auf 1200 Hektar Land gibt es kein einziges Tier mehr; selbst Würmer, die den Boden auflockern, sind nicht mehr erwünscht. Der Boden ist tot, und unser Guia bestätigt uns dies bereitwillig: "Das Ziel ist, Tiere von der Finca zu vertreiben." Es wird Jahrzehnte - wenn nicht mehr - dauern, bis sich der karibische Boden von der Ananas-Plage erholt.
Sie sprechen hier von Plage, die Bewohner nahe der Ananasfinca; unser Guia hingegen ist begeistert von den akkurat angelegten Feldern. Ein bisschen ungläubig betrachten wir die dunkelgrünen Stachelkronen, die aus dem aufgeschütteten Boden stoßen.
Wir fahren weiter zu einem Aussichtspunkt und blicken über endlose Stacheln. Zur gleichen Zeit säubert ein Arbeiter den Tank seines Pestizidtransporters im nahe gelegenen Fluss. Ein Flugzeug kommt geflogen und sprüht Düngemittel auf die Felder. Es sieht alles aus wie in einem schlechten Film.
Weg von den Feldern, ab in die Fabrik; anschließend werden Ananas gewaschen - und es stinkt wirklich ganz enorm -, sie werden geschnitten, aussortiert, in Kartons für Belmont, Dole und Chiquita verpackt. Die aussortierten Ananas werden in Scheiben geschnitten und getrocknet. Jedes Mal kriegen wir eine Kostprobe von dem, was wir mit den eigenen Augen verfolgt haben.
Wir verlassen die Finca gegen Mittag. Halb so wild war der Besuch, könnte man denken. Aber um zu verstehen, was genau eine 1.54 € teure Ananas aus Costa Rica in Costa Rica bewirkt, fahren wir in eine nahe gelegene Ansiedlung von Comunidades. Wir lernen Roger kennen, einen ehemaligen Bananenarbeiter. Eigentlich hat er auf den ersten Blick nichts mit der Ananas zu tun; aber so ist es mit all denjenigen, die in diesem Gebiet der ach so schönen costaricanischen Karibik leben: sie können ihr Trinkwasser nicht trinken, denn die Pestizide der Ananasfinca gehen über weite Bereiche ins Grundwasser. Sie vergiften den Boden und treffen sie auf einen Fluss, fließen sie auf direktem Wege ins Meer. Das Mittel, das dabei beim Ananasanbau verwendet wird und seinen Weg zur Küste findet, ist kein anderes als Agent Orange.
Wir fahren durch die Comunidades, eine Frau steigt in unseren Bus ein, sie heißt Dona Marta und sie ist auf einem Auge blind. In diesem Dorf leben viele Menschen mit Behinderung, sagt sie. Wir haben viele blinde Kinder und Erwachsene. Wenn sie nicht blind oder eine körperliche Behinderung haben, haben sie Darm-, Magen- oder Leberkrebs.
Roger steht neben ihr und legt einen Arm um sie. Er ist ein hochgewachsener Mann Anfang sechzig, charismatisch, freundlich. Zweiundzwanzig Mal war er im Gefängnis, weil er sich für die Rechte der Menschen eingesetzt hat; man kann in Costa Rica einen Prozess gewinnen, sagt er, aber das heißt nicht, dass auch etwas getan wird.
Seit Januar gibt es eine neue Präsidentin, es ist die erste Präsidentin Costa Ricas: Laura Cinchilla. Frau Laura hat viel versprochen, aber leider ist sie die auserwählte Nachfolgerin des ehemaligen Präsidenten. Und dessen Familie ist ein Stammbaum von Großgrundbesitzern.
Roger hätte gerne Kinder gehabt; gerade als Mann ist es noch immer ein Statussymbol in Zentralamerika, ein Kind gezeugt zu haben. Aber nach einem Unfall auf der Bananenplantage, auf der er arbeitete, war er zunächst nur arbeitsunfähig. Doch der tägliche Kontakt mit den Pestiziden machte ihn auch zeugungsunfähig. Es ist bei vielen hier der Fall, sagt er; die Männer werden impotent, die Frauen unfruchtbar. Die Genitalien trocknen aus oder schwellen an, müssen entfernt werden.
Das Wasser ist vergiftet, die Menschen haben Krebs, eine oder mehr Behinderungen, die Tiere trinken ebenfalls das Wasser - und wenn sie nicht daran krepieren, dann sind es die Fligen, die sich in den Ananasblättern einnisten und daraufhin ganze Viehherden befallen. So verlor ein Bauer nach dem anderen sein Geld, denn verkaufen kann man kranke Tiere nicht.
Natürlich werde ich weiterkämpfen, sagt er. Immerhin hat er Frau Laura, die steif und fets behauptet, dass man das Wasser der Karibik trinken könne, bei ihrem Amtsantritt ein Glas Agent Orange auf den Tisch gestellt. Trinken wollte sie es nicht.
Was es heißt, zu gehen
Mit knapp zwanzig Jahren Lebenserfahrung habe ich mich entschlossen, ab Sommer 2009 für ganze zwölf Monate nach Nicaragua zu gehen; dass es geklappt hat, hatte ich zwischendurch nicht wirklich gedacht; aber dass ich nun, Anfang Juli, so kurz vor der Ausreise stehe und meine Schulzeit einfach so an mir vorbei gegangen ist - das ist noch weniger zu begreifen. Ich werde natürlich an diesem Zustand nichts ändern können und freue mich tatsächlich wahnsinnig auf die Zeit in Mittelamerika. Bisher haben sich meine Auslandserfahrungen auf den europäischen Raum begrenzt; am 23. Juli geht es jedoch los in ein Land, von dessen Existenz ich zuvor zwar wusste, aber an das ich doch zugegeben wenig gedacht habe - und das ich geographisch als Abiturientin "drüben" eingeordnet habe.
Innerhalb eines Jahres werden sich mein Weltbild, meine geographischen und kulturellen Kenntnissen verschieben, neu ordnen. Ich werde einen Teil der Welt kennen lernen, der von Armut, Korruption, Drogen und der Hoffnung auf Besserung bestimmt wird, - aber genau so von Gastfreundlichkeit, Freude am Leben und an dem wenigen, das man hat.Ich verlasse meine Heimat, ohne zu wissen, was Heimat eigentlich ist.
Natürlich werde ich wiederkommen - jedenfalls gehe ich stark davon aus -, aber die Entwicklung, die ich in diesem Jahr vollziehen werde, ist jetzt noch gar nicht abzusehen. Es fällt leicht, über all diese Dinge an einem warmen, geheizten Ort (im Winter) zu schreiben, wenn man von all dem umgeben ist, das man zum Leben braucht. Wie es tatsächlich in Nicaragua aussieht, was sich tatsächlich hinter dem Wort Armut verbirgt und was man als Europäer tun kann oder tun muss, werde ich erst in einem Jahr wissen. Dieser Blog ist daher zweierlei: einerseits eine Informationsstation, die allen, die es interessiert oder auch nur zufällig hierher stolpern, Eindrücke meines Lebens in Nicaragua schildern soll; andererseits eine Gedankenkiste, in der ich all das verarbeiten und mitteilen kann, was ich hier erlebe; im Großen und Ganzen ist es dabei auch ein Beitrag meinerseits, um eine Welt, die unglaublich verknüpft ist und die denkbar unvorstellbar von der Technik und dem Fortschritt profitiert, zu ermöglichen, die sich in all der Schnelllebigkeit auch noch gegenseitig versteht und zuhört.
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