Dienstag, 23. Februar 2010

Zwischenseminar: Wer bin ich und was tue ich hier?

Wir sitzen im Hotel Bambu in Puerto Viejo de Sarapiqui und der Regen ist so laut, dass wir uns nur mit Mikro unterhalten können.
Wir sind in der Karibik Costa Ricas und hier regnet es am liebsten. Ein Teil der Außenanlage des Hotels steht bereits unter Wasser und der Poolbereich sieht wie ein schlechter Scherz aus. Am dritten Tag unseres Aufenthalts in Sarapiqui bezweifeln wir bereits, dass es hier auch Sonnentage gibt - wir denken sehnsüchtig an Matagalpa, wo jetzt die Sonne lacht und alle glücklich sind.
Warum wir unsere Stadt verlassen haben? Nach sechs Monaten sieht unser Programm ein Zwischenseminar mit anderen Freiwilligen vor. Um sich auszutauschen, um auf die vergangenen sechs Monate zurückzublicken und um auf die kommenden sechs Monate vorauszuschauen. Um über das nachzudenken, was man will, um über sich selbst im Klaren zu sein.
Mit sechzehn anderen Freiwilligen aus Deutschland sitzen wir im Kreis, diskutieren, fantasieren - und ab und an blockieren wir auch - über unser Leben in Costa Rica, Nicaragua oder Cuba.

Das Seminar beginnt mit den typischen Fragen, die man sich bei einem Zwischenseminar für Zwanzigjährige vorstellen kann: Wer bin ich? Welche Erwartungen hatte ich zu Beginn? Welche Erwartungen kann ich mittlerweile an die nächsten sechs Monate stellen? Wir sitzen in Gruppen zusammen und unterhalten uns, lesen einen Artikel aus der Süddeutschen, der das, was wir hier tun, zerreißt.
Es geht um Sascha, der wie 100 000 Jugendliche aus Deutschland einen Egotrip ins Elend macht. Er hilft, obwohl er kein ausgebildeter Entwicklungshelfer ist; laut Artikel ist er ein bisschen überflüssig. Denn er kostet den Staat Geld und macht sich ein schönes Leben in Kambodscha, er kann weder die Sprache sprechen noch hat er wirklich Ahnung von den Problemen vor Ort.
Sagt die Süddeutsche.

Wir sitzen in kleinen Gruppen und lesen den Artikel gemeinsam. Bemängelt wird das, was für uns den Freiwilligen Friedensdienst, den wir hier nun schon seit sieben Monaten absolvieren, erst so aufregend gemacht hat; aufregend, aber auch schwierig.
Natürlich. Wenn die Gesetze der Süddeutschen galten, wäre ich nun nicht hier. Ich hätte in die USA gehen können, nach Frankreich oder England. Aber nicht nach Nicaragua. Wir hätten nur dorthin gehen können, wo wir der Sprache mächtig sind. Aber wer spricht in Deutschland Portugisisch, um nach Brasilien zu gehen? Wer spricht Rumänisch, um in Hermannstadt im Kindergarten auszuhelfen?

Der Weg der Sprache ist zu einfach.

Ich muss daran denken, wie wenig ich eigentlich arbeite. Wenn man es sich ansieht, sind es zwei Stunden am Tag, maximal drei bzw. dreieinhalb mit Vorbereitungszeit. Mein Projekt würde ich trotzdem nicht streichen; denn die Kinder freuen sich, sobald sie mich sehen, sie lernen ein bisschen Englisch, vergessen noch mehr, aber vielleicht erinnern sie sich in vier, fünf Jahren daran, dass sie einmal eine Profe Barbara hatten, die ihnen Englisch beigebracht hat. Und vielleicht erinnern sie sich daran, wenn sie ihre Kurse für die Universität belegen und vielleicht hat ihnen mein Englischunterricht gefallen; und dann wählen sie vielleicht Englisch.
Und dann hat das Projekt, das den deutschen Staat so endlos viel kostet, funktioniert; dann geht die Gleichung auf.

Vielleicht ist es nicht viel, was wir momentan machen können, vielleicht sind wir es, die auf den ersten Blick profitieren. Aber wenn wir hier unsere Direktoren reden hören, dann sehen wir, wie stolz sie sind, dass sie eine deutsche Freiwillige in ihrer Schule haben; wir sehen die Kinder, die auf dich zugerannt kommen und dich umarmen und die es nicht interessiert, wo du eigentlich herkommst. Sie fragen dich nicht, ob du diesen Egotrip ins Elend moralisch vertreten kannst; denn es ist immer einfacher, nichts zu tun. Zu Hause zu bleiben. Warum mit der Welt in Kontakt treten, wenn es Internet gibt.

Uns schwirrt anschließend der Kopf; wir sind ein bisschen unsicher, derartige Kritik nagt an uns; aber irgendwie wissen wir auch, dass das, was wir tun, eine gute Sache ist.

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Was es heißt, zu gehen

Mit knapp zwanzig Jahren Lebenserfahrung habe ich mich entschlossen, ab Sommer 2009 für ganze zwölf Monate nach Nicaragua zu gehen; dass es geklappt hat, hatte ich zwischendurch nicht wirklich gedacht; aber dass ich nun, Anfang Juli, so kurz vor der Ausreise stehe und meine Schulzeit einfach so an mir vorbei gegangen ist - das ist noch weniger zu begreifen. Ich werde natürlich an diesem Zustand nichts ändern können und freue mich tatsächlich wahnsinnig auf die Zeit in Mittelamerika. Bisher haben sich meine Auslandserfahrungen auf den europäischen Raum begrenzt; am 23. Juli geht es jedoch los in ein Land, von dessen Existenz ich zuvor zwar wusste, aber an das ich doch zugegeben wenig gedacht habe - und das ich geographisch als Abiturientin "drüben" eingeordnet habe.

Innerhalb eines Jahres werden sich mein Weltbild, meine geographischen und kulturellen Kenntnissen verschieben, neu ordnen. Ich werde einen Teil der Welt kennen lernen, der von Armut, Korruption, Drogen und der Hoffnung auf Besserung bestimmt wird, - aber genau so von Gastfreundlichkeit, Freude am Leben und an dem wenigen, das man hat.

Ich verlasse meine Heimat, ohne zu wissen, was Heimat eigentlich ist.

Natürlich werde ich wiederkommen - jedenfalls gehe ich stark davon aus -, aber die Entwicklung, die ich in diesem Jahr vollziehen werde, ist jetzt noch gar nicht abzusehen. Es fällt leicht, über all diese Dinge an einem warmen, geheizten Ort (im Winter) zu schreiben, wenn man von all dem umgeben ist, das man zum Leben braucht. Wie es tatsächlich in Nicaragua aussieht, was sich tatsächlich hinter dem Wort Armut verbirgt und was man als Europäer tun kann oder tun muss, werde ich erst in einem Jahr wissen. Dieser Blog ist daher zweierlei: einerseits eine Informationsstation, die allen, die es interessiert oder auch nur zufällig hierher stolpern, Eindrücke meines Lebens in Nicaragua schildern soll; andererseits eine Gedankenkiste, in der ich all das verarbeiten und mitteilen kann, was ich hier erlebe; im Großen und Ganzen ist es dabei auch ein Beitrag meinerseits, um eine Welt, die unglaublich verknüpft ist und die denkbar unvorstellbar von der Technik und dem Fortschritt profitiert, zu ermöglichen, die sich in all der Schnelllebigkeit auch noch gegenseitig versteht und zuhört.