Und während sein literarisches Gegenüber als feiner Herr in einem gutbürgerlichen Haus posiert, steht Sandino störrisch auf einer grünen Wiese, die Hände demonstrativ kampfbereit am Gürtel, das Gesicht in Falten gelegt, seine beiden Erkennungszeichen – brauner Hut und rotes Halstuch – machen sein Erscheinungsbild komplett. Die Unterschiede zwischen dem Liebesgedichte schreibenden Ruben Dario und dem aufständischen Sandino könnten nicht größer sein, - und doch ist ganz klar, wessen Bedeutung überwiegt: ein Nicaragua ohne Ruben Dario und all seine Gedichte, seine Lobhymnen an das eigene Land, wäre traurig. Ein Nicaragua ohne Augusto Sandino hingegen wäre unmöglich.
Doch wer ist dieser Mann, der wegen einem Sack Bohnen einem Anderen ins Bein schoss? Und was macht ihn so unentbehrlich für ein Land wie Nicaragua? Warum sind Palmen, Straßenschilder und Laternenmasten in Managua, Rivas, Nueva Segovia, Leon und sogar auf der Isla de Ometepe schwarz-rot angestrichen - und was lässt die einstiegen Revolutionäre noch heute daran glauben, dass die Revolution noch nicht vorbei ist?
Es dreht sich bei all dem um das dreißigjährige Skelett einer fruchtbaren und doch kernlosen Begeisterung, - um die Frente Sandinista Liberacion Nacional.
Ihren Anfang findet die Große Revolution, wie sie enthusiastisch genannt wird, nämlich nicht mit der Gründung der FSLN im Jahre 1961, sondern knapp vierzig Jahre zuvor, als es einem einfachen Mann aus dem nicaraguanischen Volk zu bunt wird.
Als unehelicher Sohn einer Kaffeeplantagenarbeiterin im Bezirk Masaya geboren,

Denn obgleich er tot ist, sind seine Taten, seine Ideale und Wertvorstellungen im eigenen Land nicht vergessen. Und so fällt die Namenssuche dem matagalpinischen Juristen Carlos Fonseca Amador nicht schwer, als er 1961 den Entschluss fasst, eine Untergrundorganisation, eine Guerilla im Kampf gegen die Willkürherrschaft der Somoza-Dynastie zu gründen: die Frente Sandinista Liberacion Nacional, die Sandinistische Nationale Befreiungsfront, ist geboren.
Und so tritt Sandino wieder in Erscheinung, wird Zugpferd einer der großen Revolutionen Lateinamerikas, seine Gestalt führt eine ganze Generation von Nicaraguanern in den Kampf für die Unabhängigkeit und tatsächlich scheint alles möglich.
Denn mit Fonseca als Gründer besitzt die FSLN nicht den Ruf einer Terrorzelle, sondern viel mehr den Nervenkitzel eines Neuanfangs und genau so die Attraktivität einer intellektuellen Umorientierung; das Spektrum der Mitglieder fasst weite und

Doch als Untergrundorganisation ist es schwer, von sich hören zu lassen und so gelangt die Botschaft der FSLN nur langsam an das von Somoza gepeinigte Volk, doch die Bereitschaft, den Status Quo zu ändern, zu verbessern, ist da – einzig und allein der Mut fehlt, der Stoß, der den Stein ins Rollen bringt.
Zwei Jahre lang dauert der Befreiungskrieg, der immer größere Kreise zieht, 1979 triumphiert die FSLN unter Sandinos Flagge. Die Rebellen, die in der ganzen Welt für Aufsehen sorgen und Sympathien sammeln, erreichen Managua, die Hauptstadt, und stürzen einen Diktator, der das eigene Land längst verlassen hat. Somoza sitzt bereits in Miami und betrachtet in kühlem Zorn das Vorgehen, - ändern kann er nichts mehr, die Zeit der Familiendynastie ist vorbei, nun regiert die FSLN.
Und es ist ein zweischneidiges Schwert, das die Partei mit sich führt; denn schon bald wird deutlich, dass an der Spitze der Befreiungsfront kein Sandino sitzt. Obgleich die FSLN Sandinos Namen trägt, ihn während der großen Revolution der ganzen Welt als Sinnbild für Freiheit und Gerechtigkeit präsentiert, kann die eigene Partei sich nicht in Sandinos Welt denken, - denn selbst tote Revolutionäre schweigen. An seiner Stelle sprechen andere, die sich seiner Werte bewusst behaupten – und doch im Angesicht der plötzlichen Macht genau so schwach und anders sind wie der ehemalige Diktator. Zwar sorgt die FSLN im ganzen Land für eine Alphabetisierungskampagne, baut Schulen und das Bildungssystem aus, doch bedienen sich die neuen Mächtigen genau so freizügig an Grundstücken, Ländereien und anderen Gütern wie es nur kurze Zeit zuvor andere getan haben.
Die Kluft zwischen den Visionen der FSLN und den Taten der selbigen wird immer größer, - und spaltet das Land. Bis Ende der 1980er Jahre werden immer wieder
Während dieser Zeit gründelt die FSLN vor sich her, verliert sich in immer ruhmreicher werdenden Betrachtungen der Vergangenheit und vergisst dabei die Gegenwart. Diejenigen, die damals die Partei vorantrieben und ihr ein Gesicht verliehen, verabschieden sich: Gioconda Belli, Ernesto Cardenal und sein Bruder so wie viele andere Intellektuelle kehren der Partei den Rücken. Die einstiegen Visionen sind für sie schon längst Trugbilder, die FSLN versagt, die Revolution gescheitert; zu dieser Zeit schlägt sich Parteivorsitzender Daniel Ortega mit Vorwürfen des sexuellen Missbrauchs herum, die FSLN muss immer mehr Zugeständnisse entgegen dem eigenen Parteiprogramm machen, - und doch geht für einige der Traum der großen Bruderschaft weiter. Die FSLN setzt, auch aus dem Hintergrund, weiterhin die Maßstäbe. Gute Ärzte sind nur gut, solange sie auch Sandinisten sind, und werden andernfalls gekündigt; wer sich nicht der FSLN zugehörig behauptet, hat es schwer, in Nicaragua.
Und das Gespenst der Revolution dauert noch weiter an; 2006 gerät Ortega erneut an die Macht. Eine seiner ersten Amtshandlungen ist die gesetzliche Durchsetzung der Schulpflicht, sowie kostenlose Bildung. Trotz vieler Jahre des Zweifelns und des Zögerns, in denen die FSLN kurz vor dem ideologischen Suizid stand, sieht Ortega sich und seine Partei bestätigt, - wenn auch das positive Wahlergebnis vielmehr daher rührt, dass sich viele der FSLN-Kandidaten von ihrem Parteiführenden distanzieren.
Ortega stört es wenig, er sieht sich gern als den Liebling des Volkes, einen Helden der Revolution, jemand, der etwas zu erzählen hat. Im vergangenen Jahr winkt er jubelnd dem Volk von rosa Plakatwänden entgegen und verkündet, dass „wir, die Nicaraguaner, dreißig Jahre Revolution zu feiern haben“; in diesem Jahr verkündet er das Jahr der Solidarität und nennt sich und seine Kampagne christlich, solidarisch, sozialistisch. Die Nicaraguaner schweigen auf sein Bemühen, statt dessen schreiben Ortegas Helfer euphemistische Aufrufe an Häuserwände: Somos hijos de Sandino – wir sind Sandinos Kinder, oder etwa somos la juventud – wir sind die Jugend, genau so Con Daniel al frente somos presidente – mit Daniel voran, sind wir Präsident. Aber der Geist der Revolution lässt sich nicht mit derartigen Sprayungen wieder beleben, und das haben die meisten Nicaraguaner längst verstanden, selbst Daniel Ortega wirkt wie ein Gespenst, das langsam verblasst und doch keine Ruhe gibt; ein Fidel Castro, nur deutlich jünger, der vor kurzem ein Gesetz durchsetzte, das ihm erlaubt, auf unbegrenzte Zeit als Präsident zu regieren. Was Sandino dazu sagen würde, mit seinem Drang nach Freiheit, seinem Wunsch nach Gerechtigkeit.
Sandino schweigt. Er guckt weiter grimmig auf die Touristen herab, - vielleicht, weil er gern dabei gewesen wäre, als die nach ihm benannten Sandinistas Zentralamerika zum Brodeln brachten und neue Weichen legen konnten. Vielleicht aber auch, weil er sich das alles ganz anders erdacht hat.
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