Donnerstag, 13. Mai 2010

So oft ich mir schon gewünscht habe, dass man mir von Anfang an zuhören möge, dass man gesittet zum Campo läuft und nicht ein Spiel spielt, bei dem es darum geht, fahrenden Motorrädern auszuweichen, - ja, so sehr habe ich verstanden, dass diese Vorstellung ein wenig hochgesteckt und fehl am Platze ist. Vielleicht ist es zu deutsch, zu erwarten, dass die Kinder mir zuhören oder nicht herumtollen oder sonst etwas anderes tun. Denn auch wenn ich dachte, dass so etwas gar nicht möglich sei, so hat Profe Rosa es doch geschafft: als wir auf dem Weg zum Campo sind, sind ihre Kinder schweigsam, die Mädchen schnacken nicht herum, die Jungs ärgern sich nicht gegenseitig, sie sind ruhig, laufen in Zweierreihen und als wir auf dem Campo stehen, ordnen sie sich wie von selbst in ihre Schlange ein, um dem Calentamiento zu folgen.
Ich stehe ein bisschen ungläubig daneben, gucke Rosa zu, wie sie die Arme kreisen lässt, die Füße spannt und entspannt, wie sie Hampelmann macht; die Kinder der 5to B befolgen ihren Rat still und ohne zu maulen, fast kein Wort wird gesprochen.
Als Rosa fertig ist, bin ich an der Reihe; wir machen ein Wettrennen, aber die Kinder sagen auch hier nichts, - zwar kann man ihnen die Anspannung im Gesicht ansehen, aber sie rufen nicht den Namen desjenigen, der läuft, sie rufen nicht corre, corre - lauf, lauf. Sie rufen gar nichts.
Und ich stelle betreten fest, dass das das traurigste Wettrennen ist, das ich bisher gesehen habe.

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Was es heißt, zu gehen

Mit knapp zwanzig Jahren Lebenserfahrung habe ich mich entschlossen, ab Sommer 2009 für ganze zwölf Monate nach Nicaragua zu gehen; dass es geklappt hat, hatte ich zwischendurch nicht wirklich gedacht; aber dass ich nun, Anfang Juli, so kurz vor der Ausreise stehe und meine Schulzeit einfach so an mir vorbei gegangen ist - das ist noch weniger zu begreifen. Ich werde natürlich an diesem Zustand nichts ändern können und freue mich tatsächlich wahnsinnig auf die Zeit in Mittelamerika. Bisher haben sich meine Auslandserfahrungen auf den europäischen Raum begrenzt; am 23. Juli geht es jedoch los in ein Land, von dessen Existenz ich zuvor zwar wusste, aber an das ich doch zugegeben wenig gedacht habe - und das ich geographisch als Abiturientin "drüben" eingeordnet habe.

Innerhalb eines Jahres werden sich mein Weltbild, meine geographischen und kulturellen Kenntnissen verschieben, neu ordnen. Ich werde einen Teil der Welt kennen lernen, der von Armut, Korruption, Drogen und der Hoffnung auf Besserung bestimmt wird, - aber genau so von Gastfreundlichkeit, Freude am Leben und an dem wenigen, das man hat.

Ich verlasse meine Heimat, ohne zu wissen, was Heimat eigentlich ist.

Natürlich werde ich wiederkommen - jedenfalls gehe ich stark davon aus -, aber die Entwicklung, die ich in diesem Jahr vollziehen werde, ist jetzt noch gar nicht abzusehen. Es fällt leicht, über all diese Dinge an einem warmen, geheizten Ort (im Winter) zu schreiben, wenn man von all dem umgeben ist, das man zum Leben braucht. Wie es tatsächlich in Nicaragua aussieht, was sich tatsächlich hinter dem Wort Armut verbirgt und was man als Europäer tun kann oder tun muss, werde ich erst in einem Jahr wissen. Dieser Blog ist daher zweierlei: einerseits eine Informationsstation, die allen, die es interessiert oder auch nur zufällig hierher stolpern, Eindrücke meines Lebens in Nicaragua schildern soll; andererseits eine Gedankenkiste, in der ich all das verarbeiten und mitteilen kann, was ich hier erlebe; im Großen und Ganzen ist es dabei auch ein Beitrag meinerseits, um eine Welt, die unglaublich verknüpft ist und die denkbar unvorstellbar von der Technik und dem Fortschritt profitiert, zu ermöglichen, die sich in all der Schnelllebigkeit auch noch gegenseitig versteht und zuhört.