Freitag, 11. Juni 2010

Das Fest der Erde

Und wieder feiert Matagalpa ein entscheidendes Ereignis: das Fest der Erde, Verzeihung Mutter Erde. Auf diesen Zusatz besteht man hier in Nicaragua, denn man ist sich der Natur bewusst. Erst letztens mussten Lina und Vivi sich in ihrer Schule folgenden Satz anhören: Wir Zentralamerikaner haben ein ganz anderes Verhältnis zur Natur, wir haben ein Bedürfnis, denn wir sind ihre Kinder, deshalb nennen wir sie Mutter Erde, denn sie gibt uns das Leben. Aber stellt euch vor, die Menschen in Europa sagen einfach nur Erde, Erde, so wie Matsch, als wäre es nichts besonderes. Die Menschen dort wissen überhaupt nicht, die Natur zu schätzen.
Nun, da weiß man auch nicht, was man sagen soll; aber immerhin: die Feria nacional de la tierra findet erstmals in Matagalpa statt, ganz Nicaragua reist in die Kaffeeberge, um die Natur zu ehren; wäre die feria in Tipitapa, Mulukuku oder Muy Muy, würden alle dorthin reisen; aber sie sind in Matagalpa. Kleine Buden werden aufgebaut, Artesanias werden verkauft, Guirilla, Tortilla, Cuajada und viel Mais wird gegrillt, gebruzzelt und gegessen, Musik wird gespielt, morgens, mittags, abends, leider auch nachts und darunter leiden die direkten Anwohner - wir.

Freitagmorgen findet eine Parade statt, viele kleine Kinder verkleiden sich als Bäume, Sonnenblumen oder laufen einfach halbnackt herum, wie das in Nicaragua bei eben diesen Paraden vollkommen normal ist; es gibt Dinge, an die man sich nie gewöhnt. Sie halten Plakate hoch, auf denen steht: Rettet die Erde! Oder Die Zukunft liegt in euren Händen.
Abends spielt das wohl bekannteste nicaraguanische Duo Guardabarranco, sie singen ihre Lieder, in denen es meistens um die Mutter Erde geht - und es sind wirklich schöne Lieder -, und das passt prima zur feria.

Doch so schnell die Zelte aufgeschlagen wurden, so schnell verschwinden sie auch schon am nächsten Tag; was bleibt ist ein Haufen Müll, der einfach so dagelassen wurde, am Tag der Madre Tierra.

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Was es heißt, zu gehen

Mit knapp zwanzig Jahren Lebenserfahrung habe ich mich entschlossen, ab Sommer 2009 für ganze zwölf Monate nach Nicaragua zu gehen; dass es geklappt hat, hatte ich zwischendurch nicht wirklich gedacht; aber dass ich nun, Anfang Juli, so kurz vor der Ausreise stehe und meine Schulzeit einfach so an mir vorbei gegangen ist - das ist noch weniger zu begreifen. Ich werde natürlich an diesem Zustand nichts ändern können und freue mich tatsächlich wahnsinnig auf die Zeit in Mittelamerika. Bisher haben sich meine Auslandserfahrungen auf den europäischen Raum begrenzt; am 23. Juli geht es jedoch los in ein Land, von dessen Existenz ich zuvor zwar wusste, aber an das ich doch zugegeben wenig gedacht habe - und das ich geographisch als Abiturientin "drüben" eingeordnet habe.

Innerhalb eines Jahres werden sich mein Weltbild, meine geographischen und kulturellen Kenntnissen verschieben, neu ordnen. Ich werde einen Teil der Welt kennen lernen, der von Armut, Korruption, Drogen und der Hoffnung auf Besserung bestimmt wird, - aber genau so von Gastfreundlichkeit, Freude am Leben und an dem wenigen, das man hat.

Ich verlasse meine Heimat, ohne zu wissen, was Heimat eigentlich ist.

Natürlich werde ich wiederkommen - jedenfalls gehe ich stark davon aus -, aber die Entwicklung, die ich in diesem Jahr vollziehen werde, ist jetzt noch gar nicht abzusehen. Es fällt leicht, über all diese Dinge an einem warmen, geheizten Ort (im Winter) zu schreiben, wenn man von all dem umgeben ist, das man zum Leben braucht. Wie es tatsächlich in Nicaragua aussieht, was sich tatsächlich hinter dem Wort Armut verbirgt und was man als Europäer tun kann oder tun muss, werde ich erst in einem Jahr wissen. Dieser Blog ist daher zweierlei: einerseits eine Informationsstation, die allen, die es interessiert oder auch nur zufällig hierher stolpern, Eindrücke meines Lebens in Nicaragua schildern soll; andererseits eine Gedankenkiste, in der ich all das verarbeiten und mitteilen kann, was ich hier erlebe; im Großen und Ganzen ist es dabei auch ein Beitrag meinerseits, um eine Welt, die unglaublich verknüpft ist und die denkbar unvorstellbar von der Technik und dem Fortschritt profitiert, zu ermöglichen, die sich in all der Schnelllebigkeit auch noch gegenseitig versteht und zuhört.