Donnerstag, 17. Juni 2010

Sportlich, sportlich

Nicaragua ist ein Land, in dem man viel unternehmen und noch mehr sehen kann; vor einer Woche zog es uns so eigentlich hasta al fondo, wie man hier sagen koennte, bisganz nach unten, - zum Inselarchipel Solentiname, das eigentlich nur deshalb einigen ein Begriff ist, weil Ernesto Cardenal sich dort zurueck zieht.

Sich zurueckziehen, besser verschwinden, kann man wirklich gut auf Solentiname, denn die meisten Nicaraguaner, denen ich erzaehlte, wohin die Reise geht, wussten noch nicht einmal, dass es diese Insel dort unten al fondo wirklich gibt.
Zugegeben, die Reisebedingungen sind auch uebelst unangenehm: entweder 2 Stunden Bus nach Managua, dann 1 Stunde nach Granada, von dort 18 Stunden im Boot, dann zwei Stunden in der Lancha und dann ist man da. Oder zwei Stunden Bus nach Managua, zehn Stunden Busfahrt nach San Carlos (wobei der letzte teil der Strecke puro polvo ist, also blosser Staub, nicht asphaltiert), zwei Stunden in der Lancha.

Wir hingegen waren fest entschlossen, dorthinzufahren; wegen dem Mond, der dort so gross und hell sein soll, genau so die Sterne, wegen dem klaren Wasser und den tausend Gluehwuermchen bei Nacht, wegen den vielen Kuenstlern, die dort alternativ hippiemaessig leben. Aber gefahren sind wir nicht; vielleicht wegen den schlechten Verkehrsverbindungen, vielleicht wegen den vielen Muecken, die es dort gibt, vielleicht weil wir selbst in Nicaragua uns vor einer netzwerklosen telefonarmen Gegend fuerchten, vielleicht weil dort alles furchtbar teuer ist und man sich aus Reisezwecken nur Nudeln mit Tomatensosse fuer die ganze Woche leisten kann.
Zwei Seiten hat die Medaille, wir entschieden uns fuer San Juan del Sur, einen Surfer-Badeort an der Pazifikkueste Nicaraguas, nahe der costaricanischen Grenze. Heiss ist es dort, und ganz anders als sonst so in Nicaragua.
Hier traegt man Surfbretter mit sich und trifft groesstenteils auf Gringos, weisse Menschen mit hellen Haaren, man spricht Englisch, isst gut und verbringt den ganzen Tag am Strand, um auf Wellen zu reiten und mit Delphinen zu schwimmen.

So aehnlich taten wir es dann auch; wir bekamen Rabatt im Hotel und zahlten sagenhafte 5 Dollar die Nacht, das Wetter mussten wir nicht bezahlen, doch es war die ganze Zeit gut. Surfen fuhren wir auch, doch das Brett knallte wenig sportlich gegen meinen Kopf, was natuerlich ganz allein die Schuld vom Brett war. Braun gebrannt kamen wir zurueck und doch hatten wir ein merkwuerdiges Gefuehl bei uns, als wir all diese fremden Englaender und Amerikaner sahen und die Nicas vermissten.

Denn noch immer stehen die guten Seiten Nicaraguas nur denen offen, die auch das Portal bezahlen koennen; und so haben wir als Freiwillige bereits mehr vom Land gesehen als unsere Lehrer oder Direktorinnen. Wenn ich sage: ich fahre nach Somoto, dann fragen sie mich mit grossen Augen: was ist das? was gibt es da? Dabei ist der Canyon de Somoto auf jedem 50-Cordoba-Schein.
Vielleicht ist es immer so, dass Besucher das Land besser durchforsten als die eigentlichen Bewohner; aber in San Juan del Sur, so schoen es auch war, empfindet man diese Tatsache als durchaus ungerecht.

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Was es heißt, zu gehen

Mit knapp zwanzig Jahren Lebenserfahrung habe ich mich entschlossen, ab Sommer 2009 für ganze zwölf Monate nach Nicaragua zu gehen; dass es geklappt hat, hatte ich zwischendurch nicht wirklich gedacht; aber dass ich nun, Anfang Juli, so kurz vor der Ausreise stehe und meine Schulzeit einfach so an mir vorbei gegangen ist - das ist noch weniger zu begreifen. Ich werde natürlich an diesem Zustand nichts ändern können und freue mich tatsächlich wahnsinnig auf die Zeit in Mittelamerika. Bisher haben sich meine Auslandserfahrungen auf den europäischen Raum begrenzt; am 23. Juli geht es jedoch los in ein Land, von dessen Existenz ich zuvor zwar wusste, aber an das ich doch zugegeben wenig gedacht habe - und das ich geographisch als Abiturientin "drüben" eingeordnet habe.

Innerhalb eines Jahres werden sich mein Weltbild, meine geographischen und kulturellen Kenntnissen verschieben, neu ordnen. Ich werde einen Teil der Welt kennen lernen, der von Armut, Korruption, Drogen und der Hoffnung auf Besserung bestimmt wird, - aber genau so von Gastfreundlichkeit, Freude am Leben und an dem wenigen, das man hat.

Ich verlasse meine Heimat, ohne zu wissen, was Heimat eigentlich ist.

Natürlich werde ich wiederkommen - jedenfalls gehe ich stark davon aus -, aber die Entwicklung, die ich in diesem Jahr vollziehen werde, ist jetzt noch gar nicht abzusehen. Es fällt leicht, über all diese Dinge an einem warmen, geheizten Ort (im Winter) zu schreiben, wenn man von all dem umgeben ist, das man zum Leben braucht. Wie es tatsächlich in Nicaragua aussieht, was sich tatsächlich hinter dem Wort Armut verbirgt und was man als Europäer tun kann oder tun muss, werde ich erst in einem Jahr wissen. Dieser Blog ist daher zweierlei: einerseits eine Informationsstation, die allen, die es interessiert oder auch nur zufällig hierher stolpern, Eindrücke meines Lebens in Nicaragua schildern soll; andererseits eine Gedankenkiste, in der ich all das verarbeiten und mitteilen kann, was ich hier erlebe; im Großen und Ganzen ist es dabei auch ein Beitrag meinerseits, um eine Welt, die unglaublich verknüpft ist und die denkbar unvorstellbar von der Technik und dem Fortschritt profitiert, zu ermöglichen, die sich in all der Schnelllebigkeit auch noch gegenseitig versteht und zuhört.