Samstag, 17. Juli 2010

El acto de la profe Barbara

Was ich zuvor noch für eine ganze Woche hielt, wurde mit einem Male zu wenigen Tagen, die so schnell aufeinander folgten, dass ich am Donnerstag noch immer nicht verstand, was vor sich ging.

Donnerstag, mein letzter Tag im Projekt, das letzte Mal, dass ich all die Kinder sehen wuerde; ein komisches Gefuehl, das ich erst abends verstand, als ich in meinem Zimmer sass und all die Briefe las, die mir die Kinder geschrieben hatten.
Denn noch bevor überhaupt der Acto, den die Schule für mich organisierte, beginnt, stürmen schon viele Kinder auf mich zu, übergeben mir Briefchen und halten sich ganz stark an mir fest. No te vayas, profe, sagen sie und versuchen mich, am Gehen zu hindern, dabei will ich doch erst noch bleiben und mir meine Verabschiedungsfeier angucken; das heisst, - ich bin nicht wirklich sicher, ob es eine geben wirf, denn Judith und Norma huellen sich in geheimnisvolles Schweigen, waehrend ich immer nervoeser werde.
Als ich schliesslich zur Pause die Direccion verlasse, sehe ich schon den Profe Pedro, wie er mit der Mikrofonanlage hantiert und schliesslich stehen alle Kinder vor dem kleinen Podest und sehen mich an.
Heute ist ein trauriger Tag fuer die Escuela Publica Wuppertal, sagt Pedro und guckt in die Runde, denn uns verlaesst eine Freundin. Aber ich sage nicht adios, sondern hasta pronto, bis bald.
Einer nach dem anderen kommen die Lehrer nach vorne, bedanken sich bei mir und rufen schliesslich Schueler auf, die mir Geschenke uebergeben. Immer wieder lesen Kinder ein Gedicht vor oder entschuldigen sich fuer die malos momentos, die unangenehmen Stunden, die ich mit ihnen verbringen musste. Aber wie es bei Verabschiedungen nun mal so ist, sieht man nur das Gute und diese Stunden, die tatsaechlich furchtbar anstrengend waren, waren schon laengst vergessen. Und so sehr mich derartige actos vorher zum Schmunzeln brachten, so sehr geniesse ich meinen eigenen.
Als Profe Rosa nach vorne geht und das Mikrofon ergreift, bringt sie nur noch Schluchzen hervor; woraufhin alle anfangen zu lachen. Profe Pedro sagt nur: Wein nicht wegen mir, und die Schueler rufen: Sie soll weinen, sie soll weinen!
So sind sie die Nicaraguaner.
Zum Schluss gehe ich nach vorne und bedanke mich, fuer all die Geschenke, fuer die schoene Zeit, die ich hatte, und versuche, das, was mir gerade durch den Kopf geht, in spanische Saetze zu quetschen, die mir da doch holprig ueber die Lippen gehen. Dass es ein wunderschoenes Land sei, auf dass sie alle stolz sein koennen. Dass ich viele Freunde hier gefunden habe, in den Lehrern wie in den Schuelern. Dass ein Jahr nicht ausreiche, um sie alle richtig kennen zu lernen, aber doch, um sich wohl zu fuehlen und nicht gehen zu wollen. Ich bedanke mich fuer die Gastfreundschaft und die Freundlichkeit und den Respekt, den sie mir immer entgegen gebracht haben.
Als ich das Mikro wieder an den Profe gebe, strahlen sie mich alle an und sind ganz gluecklich.
Und somit endet der acto, aber es kommen noch mehr Kinder mit Briefen, Rosa ruft mich in ihre Klasse, wo sich jeder Schueler mit einem beso und einem abrazo, einem Kuss und einer Umarmung, von mir verabschieden will. Schliesslich fragen mich David und Anibal, ob sie am Wochenende noch mal vorbei kommen koennen; ich druecke sie an mich und Samstagmorgen stehen sie vor der Tuer, sind aufgeregt, als sie eintreten, und traurig, als sie wieder gehen.

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Was es heißt, zu gehen

Mit knapp zwanzig Jahren Lebenserfahrung habe ich mich entschlossen, ab Sommer 2009 für ganze zwölf Monate nach Nicaragua zu gehen; dass es geklappt hat, hatte ich zwischendurch nicht wirklich gedacht; aber dass ich nun, Anfang Juli, so kurz vor der Ausreise stehe und meine Schulzeit einfach so an mir vorbei gegangen ist - das ist noch weniger zu begreifen. Ich werde natürlich an diesem Zustand nichts ändern können und freue mich tatsächlich wahnsinnig auf die Zeit in Mittelamerika. Bisher haben sich meine Auslandserfahrungen auf den europäischen Raum begrenzt; am 23. Juli geht es jedoch los in ein Land, von dessen Existenz ich zuvor zwar wusste, aber an das ich doch zugegeben wenig gedacht habe - und das ich geographisch als Abiturientin "drüben" eingeordnet habe.

Innerhalb eines Jahres werden sich mein Weltbild, meine geographischen und kulturellen Kenntnissen verschieben, neu ordnen. Ich werde einen Teil der Welt kennen lernen, der von Armut, Korruption, Drogen und der Hoffnung auf Besserung bestimmt wird, - aber genau so von Gastfreundlichkeit, Freude am Leben und an dem wenigen, das man hat.

Ich verlasse meine Heimat, ohne zu wissen, was Heimat eigentlich ist.

Natürlich werde ich wiederkommen - jedenfalls gehe ich stark davon aus -, aber die Entwicklung, die ich in diesem Jahr vollziehen werde, ist jetzt noch gar nicht abzusehen. Es fällt leicht, über all diese Dinge an einem warmen, geheizten Ort (im Winter) zu schreiben, wenn man von all dem umgeben ist, das man zum Leben braucht. Wie es tatsächlich in Nicaragua aussieht, was sich tatsächlich hinter dem Wort Armut verbirgt und was man als Europäer tun kann oder tun muss, werde ich erst in einem Jahr wissen. Dieser Blog ist daher zweierlei: einerseits eine Informationsstation, die allen, die es interessiert oder auch nur zufällig hierher stolpern, Eindrücke meines Lebens in Nicaragua schildern soll; andererseits eine Gedankenkiste, in der ich all das verarbeiten und mitteilen kann, was ich hier erlebe; im Großen und Ganzen ist es dabei auch ein Beitrag meinerseits, um eine Welt, die unglaublich verknüpft ist und die denkbar unvorstellbar von der Technik und dem Fortschritt profitiert, zu ermöglichen, die sich in all der Schnelllebigkeit auch noch gegenseitig versteht und zuhört.