Und doch ist es noch immer ungewohnt, wenn man morgens aufwacht, wenn Tim und ich zusammen frühstücken. Am komischsten ist es, wenn Tim dann weggeht und ich alleine im Haus bleibe: die anderen haben alle bereits mit ihrer Projektarbeit begonnen, da ich jedoch erst am 10. August anfangen soll, habe ich noch knapp zwei Wochen Zeit, in denen ich das Land und die Leute besser kennen lernen kann. Meistens verbringe ich die Vormittage damit, das Haus aufzuräumen, zu putzen, zu fegen, zu spülen.
Dann, um ca. 19:00 Uhr mitteleuropäischer Zeit
gehe ich ins Artesanos, ein Café hier in Matagalpa, wo wir kostenloses WLAN haben. Dann ist es hier elf Uhr morgens. Das Artesanos ist ein Treffpunkt der multikulturellen Begegnung; hier sind einige Amerikaner, einige Holländer, viele Nicas und noch mehr gutes Essen (der Kaffee ist aber auch nicht schlecht). Meistens unterhalte ich mich hier mit Wendy, der Kellnerin. Sie ist – auch wenn man es vom Namen her nicht vermutet – eine echte
Nicaraguanerin, zweiundzwanzig Jahre alt und hat bereits ein Kind. Wendy sagt, dass das vollkommen normal ist. Die Tatsache, dass sie auch schon wieder geschieden ist, ist vollkommen normal. Immerhin war sie fast sechs Jahre mit ihrem Ehemann verheiratet.
Über das Artesanos und Wendy lernen wir hier immer mehr Leute kennen. Die meisten sind unglaublich freundlich, von den Taxifahrern bis hin zu den Supermarktverkäufern. Viele versuchen, uns zu helfen und den Start zu erleichtern, sie fragen viel und sind ziemlich neugierig, weshalb wir hier sind und wie es uns hier gefällt, was wir vermissen und wie es in Deutschland ist.
Der Tagesablauf verwirrt uns alle wohl am meisten. Noch vor sechs Uhr geht die Sonne auf und es scheint, dass das Leben der Nicas genau zu diesem Zeitpunkt beginnt. Auf den Straßen ist es eigentlich nie still, aber sobald der Tag anbricht, wird es noch einmal um einiges lauter. Man sieht viele Schulkinder in ihren Uniformen, sogar hier, im Friedhofsbezirk* herrscht ein geradezu geschäftiges Treiben.
Wie zum Ausgleich dafür, dass die Sonne so früh aufgeht, geht sie auch schon früh unter. Um sieben Uhr ist es hier stockdunkel. Dann haben wir alle das Gefühl, dass es mindestens Mitternacht ist und so kommt es, dass wir meistens gegen acht, spätestens halb neun im Bett liegen und richtig fertig sind. So merkwürdig es klingt, aber für genug Schlaf ist gesorgt.
Mit unserem Spanisch geht es auch immer besser. Wir haben seit Montag einen vierstündigen Sprachkurs in der Sprachschule Matagalpa Tours (direkt neben dem Artesanos) belegt. Diana, unsere Lehrerin, ist sehr nett und freundlich und freut sich über den Fortschritt, den wir vier machen.
Aber man muss sagen, dass doch nicht alles so einfach ist, wie wir es uns gedacht haben. Sicherlich: Die meisten Probleme entstehen nicht dadurch, dass sie tatsächlich da sind, sondern dadurch, dass man plötzlich beginnt, über die Dinge nachzudenken.
Aber es gibt doch einige Dinge, die unserem Start in Matagalpa einen bitteren Nachgeschmack geben: Lina hat noch immer nicht ihr Gepäck erhalten, während wir anderen nun wirklich alles haben, was wir auch in Frankfurt bzw. Düsseldorf aufgegeben haben. Das ärgerliche dabei ist, dass wir drei (Tim, Vivi und ich) jeweils zwei Gepäckstücke mitgenommen haben, Lina jedoch nur eines. Hinzu kommt, dass die Wohnung der beiden zwar recht schön, hell und vor allem zentral ist, dafür haben sie keine richtigen Betten und schlafen auf durchgelegenen Matratzen. Zu allem Überfluss haben sowohl Lina und Vivi gestern zum ersten Mal gemerkt, dass sich unser europäischer Körper doch nicht so schnell an alles gewöhnen kann; Tim und ich sind davon bisher noch verschont geblieben.
* Sobald Tim und ich erzählen, dass wir am Friedhof wohnen, kriegen die Leute beinahe Angst. Wir sind uns noch nicht ganz sicher, ob es daran liegt, dass der nicaraguanische Aberglaube an Übersinnliches im Alltagsleben noch immer recht stark vertreten ist, oder ob die Gegend tatsächlich so gefährlich ist. Immerhin, wir wohnen nicht direkt am Friedhof, haben eigentlich gar keine Ahnung, wo er hier ist; sobald wir dann erzählen, dass wir in der Nähe der Ampel im Friedhofsbezirk (so ziemlich die einzige Ampel in Matagalpa und wenn man einmal den Fahrstil der Taxifahrer erlebt hat, fragt man sich eigentlich, weshalb diese Ampel überhaupt da ist bzw. warum alle so einen großen Wert auf sie legen …) wohnen, atmen unsere Gesprächspartner oder Taxifahrer auf.
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