Montag, 10. August 2009

Der Tag im Projekt

Ich weiß nicht genau, wann ich das letzte Mal so aufgeregt bzw. nervös war. Zumindest konnte ich diese Nacht schlecht schlafen und habe wirres Zeug geträumt, das mich noch mehr verwirrt hat. Aber als ich aus dem Haus gegangen bin, schien die Sonne über Matagalpa, die Hügel waren klar wie selten und man denkt in diesen Momenten, dass irgendjemand dieses Land lieben muss.
Es mag übertrieben klingen, aber wer einmal durch die Straßen hier gelaufen ist und die Berge um sich herum gesehen hat, der wird irgendwann das gleiche denken.

Nach drei wunderbar lustigen und entspannenden Stunden Sprachkurs mit Sindhi, war ich dann mit Tim zusammen Essen und anschließend haben wir beide noch Schnäppchen für unser Haus gemacht: Tim hat eine funktionierende Kaffeemaschine zu einem Wahnsinnpreis gekauft und ich eine Hängematte für mein Zimmer, die nur noch im Laufe der Woche angebracht werden muss.

Als ich dann um halb drei in die Escuela Publica Wuppertal kam, kannte man mich schon vom Namen her. Alle, denen ich vorgestellt wurde, versicherten mir unglaublich beeindruckt, dass Barbara ein nombre fuerte sei und ich weiß nicht, ob sie mir damit Mut machen wollten, weil sie wussten, dass harte Arbeit auf mich warten würde.
Mit einem etwas mulmigen Gefühl saß ich dann bei meiner Directora, einer recht strengen Person, deren Humor ich vielleicht auch bisher noch nicht ganz verstanden habe. Auf jeden Fall bestand meine erste Aufgabe darin, dass ich die zwei Volleybälle, die ich als Gastgeschenke (regalos) mitgebracht habe, so beschrifte, dass eigentlich keine weiße Stelle mehr übrig bleibt. Jetzt steht auf den beiden Bällen so oft ESCUELA PUBLICA WUPPERTAL, dass man eigentlich gar nichts mehr lesen kann. Aber meine Directora war zufrieden und so habe ich das einfach mal dabei belassen.
Zu diesem Zeitpunkt war bereits drei Uhr nachmittags. Ich für meinen Teil dachte, dass es jetzt mal so langsam ans Unterrichten gehen würde - aber Mary Lou Morena, meine Chefin, wollte lieber mit mir Ball spielen und so fand ich mich wenig später allein mit ihr in ihrem Direktorat beim Hin- und Herwerfen von Bällen wider. Vielleicht wollte sie ja damit auch nur testen, ob ich für den Beruf der Sportlehrerin fähig bin, denn wenig später unterrichtete sie mich, dass ich kein Kunst, sondern Sport unterrichten werde. Die Kopfzerbrechen, die ich mir also gemacht hatte, waren nicht nötig gewesen (aber immerhin gaben sie mir das Gefühl, vorbereitet zu sein).

Anschließend passierte eine Zeit lang nichts. Ich saß bei Mary Lou und sah zu, wie ein stark schwitzender Mann einen Wandschrank anbrachte, der sogar für einen Kubisten schief gehangen hätte. Danach hat mich die Putzfrau der Schule begleitet und gemeinsam wurde ich allen Klassen vorgestellt. Ich habe erzählt, dass ich die neue Freiwillige bin und dass ich die Arbeit von Paul nun übernehmen werde, dann wurde ich gefragt, wie alt ich bin und ich wurde ausnahmsweise mal auf 18 geschätzt - ich mag das Kind - und ich wurde auch gefragt, was mir gefällt. Auch, wenn meine Antworten etwas auswendig klangen - me gusta Matagalpa, me gusta Nicaragua, me gusta musica, me gusta comer -, waren sie ehrlich gemeint. Nachdem die anfängliche Scheu von den Kindern abgefallen war, wurde ich mit Fragen überhäuft und ich glaube, auch für den ein oder anderen Lacher gesorgt zu haben. Ich würde nur gerne wissen, was ich da gesagt habe.

Aber gut. Nachdem alle Klassen mich kannten und die Kinder mich mit seeligen Lächeln überhäuften - und ich schon das Gefühl hatte, ein guter Mensch zu sein - sperrte Mary Lou mich aus und sich ein, weil sie mit einer guten Freundin unter vier Augen reden wollte. Also saß ich ein bisschen auf dem Schulhof rum und gucke in den Himmel und pries das Land, in dem ich nun für ein Jahr stecke.
Es war einer dieser Momente, in denen man wirklich nicht viel braucht, um zu merken, dass man glücklich ist.

Als Mary Lou sich wieder selbst befreite und mich zu meiner Tasche ließ, erklärte sie mir, dass ich morgen wieder zur gleichen Zeit kommen kann. Unterrichten werde ich immer noch nicht, aber vielleicht spielen wir ja noch einmal Ball ;-) Was auch immer es sein wird - ich freue mich.

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Was es heißt, zu gehen

Mit knapp zwanzig Jahren Lebenserfahrung habe ich mich entschlossen, ab Sommer 2009 für ganze zwölf Monate nach Nicaragua zu gehen; dass es geklappt hat, hatte ich zwischendurch nicht wirklich gedacht; aber dass ich nun, Anfang Juli, so kurz vor der Ausreise stehe und meine Schulzeit einfach so an mir vorbei gegangen ist - das ist noch weniger zu begreifen. Ich werde natürlich an diesem Zustand nichts ändern können und freue mich tatsächlich wahnsinnig auf die Zeit in Mittelamerika. Bisher haben sich meine Auslandserfahrungen auf den europäischen Raum begrenzt; am 23. Juli geht es jedoch los in ein Land, von dessen Existenz ich zuvor zwar wusste, aber an das ich doch zugegeben wenig gedacht habe - und das ich geographisch als Abiturientin "drüben" eingeordnet habe.

Innerhalb eines Jahres werden sich mein Weltbild, meine geographischen und kulturellen Kenntnissen verschieben, neu ordnen. Ich werde einen Teil der Welt kennen lernen, der von Armut, Korruption, Drogen und der Hoffnung auf Besserung bestimmt wird, - aber genau so von Gastfreundlichkeit, Freude am Leben und an dem wenigen, das man hat.

Ich verlasse meine Heimat, ohne zu wissen, was Heimat eigentlich ist.

Natürlich werde ich wiederkommen - jedenfalls gehe ich stark davon aus -, aber die Entwicklung, die ich in diesem Jahr vollziehen werde, ist jetzt noch gar nicht abzusehen. Es fällt leicht, über all diese Dinge an einem warmen, geheizten Ort (im Winter) zu schreiben, wenn man von all dem umgeben ist, das man zum Leben braucht. Wie es tatsächlich in Nicaragua aussieht, was sich tatsächlich hinter dem Wort Armut verbirgt und was man als Europäer tun kann oder tun muss, werde ich erst in einem Jahr wissen. Dieser Blog ist daher zweierlei: einerseits eine Informationsstation, die allen, die es interessiert oder auch nur zufällig hierher stolpern, Eindrücke meines Lebens in Nicaragua schildern soll; andererseits eine Gedankenkiste, in der ich all das verarbeiten und mitteilen kann, was ich hier erlebe; im Großen und Ganzen ist es dabei auch ein Beitrag meinerseits, um eine Welt, die unglaublich verknüpft ist und die denkbar unvorstellbar von der Technik und dem Fortschritt profitiert, zu ermöglichen, die sich in all der Schnelllebigkeit auch noch gegenseitig versteht und zuhört.