Gestern war ein merkwürdiger Tag.
Nicht nur, dass ich mittlerweile auch deutsche Sätze auf Spanisch vorformuliere; es haben sich an diesem Tag viele Dinge ergeben, die nicht abzusehen waren, deren Konsequenzen mein kleines Leben jedoch hin- und herwarfen wie eine Nussschale auf dem Atlantik - einige davon bringen mich ungeahnt vorwärts, andere hingegen verstehen es, mich in meiner Motivation zu bremsen.
Für Mary Lou war das schon lange sonnenklar.
Für mich leider nicht.
Und ich wollte schon enttäuscht die Schultern hängen lassen, da wurde ich von den Kindern der Quarto B in einen Sog aus nicht endender Vorfreude und begeisterter Neugierde gerissen; selten haben Menschen so strahlend und fröhlich auf meine Erscheinung reagiert und ich fand mich selbst perplex vor den Knirpsen, die mir gerade mal bis zum Bauchnabel gehen, sich wie selbstverständlich an mich schmiegten und sich scheinbar nichts sehnlicher wünschen, als von mir in Sport unterrichtet zu werden.
In diesen Momenten bin ich überglücklich und skeptisch zugleich; einerseits wirken meine Arbeitstage in meiner Einsatzstelle merkwürdig abstrus – ein jedes Mal frage ich mich, was die Kinder von mir erwarten, was genau sie wissen lässt, dass mein Unterricht so unglaublich spannend wird wie es ihre leuchtenden Augen vermuten lassen, und was genau Paul mit ihnen gemacht hat, dass sie sich so über meine (meistens abgekämpfte) Person freuen. Und dann bin ich natürlich froh, so empfangen zu werden; Probleme im Umgang mit den Kindern, mit denen Vivi und Lina teilweise zu kämpfen haben, stelle ich einfach nicht fest – und wieder frage ich mich, ob das Dinge sind, die sich erst erkennen lassen, wenn ich vor einer Klasse von 30 Kindern stehe und mein Spanisch versagt.
Womöglich weiß sie aber genau so, dass es noch lange dauern wird, bis ich mich damit durchsetzen und völlig verständigen kann. Vielleicht kam gerade an diesem Punkt die Pädagogin in meiner Chefin durch, die erkannte, dass ich noch eine Woche brauchte.
Genau so befürchte ich aber den Tag, an dem die Begeisterung der Kinder für meine Wenigkeit nachlässt und ich von der deutschen Attraktion zur Lehrerin werde, zu einem Teil des Kollegiums. Sicherlich ist gerade dieser Schritt, dieser Vorgang, diese schleichende Routine nötig und sicherlich würde das Jahr ohne diesen Prozess nicht funktionieren: und doch bin ich skeptisch, wenn ich dieser Tage meinen Weg ins Projekt entlang der großen Straße laufe.
Ich habe einfach keinen Plan, worauf all diese kleinen Dinge hinauslaufen, um das große Ganze maßgeblich zu verändern bzw. zu beeinflussen.
Wenn mich dann auf dem Rückweg nach Hause Daniel Ortega mit einem Siegeslächeln grüßt, um mit mir den dreißigsten Geburtstag der großen Revolution zu feiern, denke ich anders, bin ich gelassener. Die Kinder nehmen mir meine Befürchtungen und geben mir dafür ein ganz unbeschreibliches Glücksgefühl.
Shakira, Elvis, Michael Jackson – ob die auch in Deutschland Konzerte geben.
Ja, sage ich, nur bei Michael Jackson und Elvis wird es langsam schwierig.
Auf die erste Reaktion – einen großen Brauneaugenaufschlag – folgt ein erstauntes „Oh“, dann fragen sie, was Guatemala und Costa Rica auf Englisch heißt.
Da kann ich dann wieder beeindrucken.
Um halb sechs durfte ich die kleine Schule wieder verlassen und wurde geherzt und geküsst und kam kaum aus meiner Kindertraube los. Anschließend wurde ich von Stainley bis zur Bushaltestelle begleitet: dort stellte sich heraus, dass er genau in der anderen Richtung lebt und den Weg nur gegangen war, um mich zu begleiten.
In solchen Momenten will man sie alle adoptieren – und das sagt jemand, der nie Kinder haben wollte.
Einfach so sagte ich, dass ich mir nicht vorstellen könne, ab der nächsten Woche vormittags zu Hause zu sein, um erst nachmittags in mein Projekt zu gehen. Zudem – und das war wohl der ernste Part meiner Gedanken – kann ich mir noch immer nicht vorstellen, Lussi und Diana nicht mehr zu sehen. Sie sind unsere Freundinnen geworden und durch den Sprachkurs sehen wir sie jeden Tag; dieses gefühlt ungezwungene Beisammensein würde jedoch ab der nächsten Woche von uns fallen. Also fragte ich einfach so, ob es nicht eine Arbeit in der Sprachschule für mich gebe.
Ab heute sind Lussi und ich nicht nur Freundinnen, sondern auch Arbeitskollegen.
Denn Noelia, die Leiterin von Matagalpa Tours – und meine neue Chefin -, freute sich wahnsinnig über mein Angebot. In einer Woche werde ich anfangen, die maestros und maestras de espanol in Englisch zu unterrichten, da ihre Kenntnisse aufgefrischt werden müssen bzw. noch nicht wirklich vorhanden sind. Wenn ich es möchte – und wenn es in meinen Stundenplan passt –, kann ich das gesamte Jahr in der Sprachschule aushelfen und kriege dafür im Gegenzug meine Spanischstunden erstattet. Dass ich nicht für Geld dort arbeiten möchte, habe ich von Vornherein gesagt; einerseits, weil es gar nicht möglich bin (ich habe den Status einer Freiwilligen, d.h. kein Geld für mein Werken für den Weltfrieden) und andererseits, weil es womöglich eine Arbeit ist, die ich einem Nicaraguaner wegnehmen könnte.
Trotz all der Enttäuschung, die ich heute also zunächst verspürte, als man mir eine weitere Woche Rückenschmerzen in der Schule verordnete (diese blauen Tischstühle sind für Personen ab 130 cm alles andere als gesund), bin ich also nun doch unendlich glücklich; ich werde nicht nur Lussi regelmäßig sehen, sondern habe auch einen Weg gefunden, der es mir ermöglicht, selbst einiges dazu zu lernen und anderen zu helfen.
Ich hatte schon befürchtet – sollte der Stundenplan so bleiben, wie er momentan ist -, mein Auslandsjahr im Internet zu verbringen.
*Überhaupt haben unsere vormittäglichen clases de espanol eine unglaubliche angenehmen, geradezu rituellen Ablauf gefunden, bei dem ich mehr
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