Montag, 17. August 2009
Invasion der dreibeinigen Tische
Der Samstag hatte für uns einige angenehme Wendungen: denn abgesehen von der Tatsache, dass wir genügend Schlaf und noch mehr Essen fanden, haben wir uns auch einen eigenen Nicaragua-Soundtrack zugelegt, der jetzt in unserer Casa de Fiesta hoch und runter läuft.
Ansonsten schloss Tim einen mündlichen Vertrag mit unserem Nachbarn aus dem großen Batidoshaus ab, dass wir ab dem 15. September mit ihnen Internet teilen, und zur Feier des Tages gab es Pasta mit Hongos und Käse. Zudem ließ sich Tim nicht lumpen und verkündete mir einige rheinländische Weisheiten, die mich nicht daran zweifeln ließen, dass unser Zusammentreffen in Nicaragua nichts anderes als Schicksal sein kann; wir stellten fest, dass Gabeln die besseren Löffel sind und planen eine Sonderausgabe des Tatorts - mehr sei nicht verraten, bis auf die Tatsache, dass wir auch nicht an der Werbung sparen werden.
Sonntag war ein Gammeltag, doch plötzlich hörten wir Stimmen vor der Haustür: und es waren Stainley (in Nicanol: Estanli) und sein Bruder Jose Manuel, die mich besuchen kamen - zwei Kinder aus meiner Schule, mit denen Tim und ich einen zweiten Schuhschrank bauten. Aus den Resten entstand ein zweiter dreibeiniger Tisch (Tims Blick genügte, um zu wissen, dass er meine handwerkliche Eigenständigkeit für nichts als materiellen Verlust empfindet) und ein Regal für Tims tragbaren Schönheitssalon, damit er auch hier seinen seidenweichen Teint behält (ich zitiere nur).
Den Abend verbrachten wir bei Lina und Vivi und staunten über fette Pfannkuchen. Kugelrund und glücklich rollten wir nach Hause.
Was es heißt, zu gehen
Mit knapp zwanzig Jahren Lebenserfahrung habe ich mich entschlossen, ab Sommer 2009 für ganze zwölf Monate nach Nicaragua zu gehen; dass es geklappt hat, hatte ich zwischendurch nicht wirklich gedacht; aber dass ich nun, Anfang Juli, so kurz vor der Ausreise stehe und meine Schulzeit einfach so an mir vorbei gegangen ist - das ist noch weniger zu begreifen. Ich werde natürlich an diesem Zustand nichts ändern können und freue mich tatsächlich wahnsinnig auf die Zeit in Mittelamerika. Bisher haben sich meine Auslandserfahrungen auf den europäischen Raum begrenzt; am 23. Juli geht es jedoch los in ein Land, von dessen Existenz ich zuvor zwar wusste, aber an das ich doch zugegeben wenig gedacht habe - und das ich geographisch als Abiturientin "drüben" eingeordnet habe.
Innerhalb eines Jahres werden sich mein Weltbild, meine geographischen und kulturellen Kenntnissen verschieben, neu ordnen. Ich werde einen Teil der Welt kennen lernen, der von Armut, Korruption, Drogen und der Hoffnung auf Besserung bestimmt wird, - aber genau so von Gastfreundlichkeit, Freude am Leben und an dem wenigen, das man hat.Ich verlasse meine Heimat, ohne zu wissen, was Heimat eigentlich ist.
Natürlich werde ich wiederkommen - jedenfalls gehe ich stark davon aus -, aber die Entwicklung, die ich in diesem Jahr vollziehen werde, ist jetzt noch gar nicht abzusehen. Es fällt leicht, über all diese Dinge an einem warmen, geheizten Ort (im Winter) zu schreiben, wenn man von all dem umgeben ist, das man zum Leben braucht. Wie es tatsächlich in Nicaragua aussieht, was sich tatsächlich hinter dem Wort Armut verbirgt und was man als Europäer tun kann oder tun muss, werde ich erst in einem Jahr wissen. Dieser Blog ist daher zweierlei: einerseits eine Informationsstation, die allen, die es interessiert oder auch nur zufällig hierher stolpern, Eindrücke meines Lebens in Nicaragua schildern soll; andererseits eine Gedankenkiste, in der ich all das verarbeiten und mitteilen kann, was ich hier erlebe; im Großen und Ganzen ist es dabei auch ein Beitrag meinerseits, um eine Welt, die unglaublich verknüpft ist und die denkbar unvorstellbar von der Technik und dem Fortschritt profitiert, zu ermöglichen, die sich in all der Schnelllebigkeit auch noch gegenseitig versteht und zuhört.
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