Donnerstag, 13. August 2009

Honi soit qui mal y pense

Ein weiterer Tag im Projekt ist rum, ein weiterer Tag, an dem ich den Kindern aufs Neue erklären musste, dass ich diese Woche solamente por observar vorbeischaue. Ich weiß nicht genau, was sie von mir erwarten bzw. was sie von mir erhoffen, aber einige werden extrem hibbelig, wenn ich die Schule betrete und durch den großen Gang laufe. Dann höre ich von überall Kinder rufen: "Profe!", oder "Barbara" und sie strahlen mich alle an und ich komme mir vor wie die Queen auf dem Catwalk und hebe königlich die Hand und winke.
Nein, Quatsch.
Aber es ist schon erstaunlich, wie sehr sich der nicaraguanische Unterricht vom deutschen unterscheidet. In den Pausen fliegen Kinder durch die Luft, halbstarke Jungs prügeln sich mehr oder weniger ernst und Mädchen wie Jungen spielen begeistert Rammbock. Man könnte meinen, dass die Kinder auf Brutalitäten stehen, aber tatsächlich ist den nicaraguanischen Schulen etwas nach diesen Beobachtungen geradezu Unmögliches gelungen: denn verletzt hat sich hier noch niemand und wenn ein Kind eben kopfüber auf einen Tisch fliegt und schließlich am Boden liegt, dann guckt es zunächst verdutzt und fängt dann an, mit den anderen geradezu begeistert zu lachen.
Der bürokratie verwöhnte Deutsche steht zunächst dumm vor einer solch dynamischen Klasse und überlegt fieberhaft, wie man das Tohuwabohu aus quierligen Körpern entknoten könnte. Greift man einmal ein, greift man nie wieder ein. Ein harmloser Schlichtungsversuch meinerseits mündete darin, dass die Kinder nur noch merh Spaß bei ihrem Rambo-Spiel hatten, und etwas hilflos stand ich da, bis ich merkte, dass der kleine Kerl neben mir zufrieden an seinem gelben Filzstift nuckelte und mir mit leuchtenden Augen erklärte, dass er lieber am Filzstift lutscht als die Mango zu essen, die er bei sich hatte.
Recht schnell wird man also merken, dass es keinen sonderlichen Einfluss auf das Spielen bzw. Toben der Kinder hat, wenn man den wahnwitzigen Plan verfolgen sollte, doch tatsächlich dazwischen zu gehen, um so etwas wie Stille oder altdeutsche Tugenden durchzusetzen.
Es dauert schließlich eine Weile, bis man erkennt, dass hier alles an seinem Platz ist - nur bedeutet das nicht, dass auch Ordnung herrscht.

Es ist ein geradezu friedliches Durcheinander, das in den Schulen herrscht und gerade in der Pause sollte man sich irgendwo hinpflanzen, wo selbst ein Wirbelsturm geringe Auswirkungen treffen würde; - auf diese Weise wird man zumindest selbst nicht verletzt.
Vor den Kindern, die mich umgeben und aus mir den Nukleus einer Kindertraube machen, bin ich nicht sicher und es ist süß, wie sie den Arm um einen legen und mich mit einem kindlichen Profe fragen, wann ich endlich unterrichte. Dann zeige ich ihnen meinen Stundenplan und ich habe schon bald verstanden, dass Educacion fisica hier das Lieblingsfach aller Kinder ist. Sobald sie bzw. ihre Klasse auf meinem Horario finden, fangen sie an, zu quietschen und zu klatschen, und ich hoffe, dass ich dem gerecht werden kann, was sie sich erhoffen.

Mary Lou begrüßt mich mittlerweile mit einem freundlichen Zwinkern oder einem Klaps, die anderen Lehrerinnen sind auch alle sehr nett und es herrscht tatsächlich eine ganz rührende Harmonie in der Schule, wenn man bedenkt, dass die Escuela Publica Wuppertal zu den ärmeren Schulen der Stadt gehört und vielleicht auch gerade deshalb hinter dem Fluss liegt, der den Kern der Stadt von den umliegenden Barrios trennt.

Educacion fisica bedeutet in Nicaragua zunächst unterrichtetes Toben. Genau so zählt zum Sportunterricht aber auch das Erlernen von Nationaltänzen und wie alles in diesem Land, ist auch dieser Unterricht eine Sache für sich.
Denn während vier oder fünf Kinder zu einer Mazurka vortanzen (und ich meine das wirklich nicht böse, aber es klingt wie Hühnerstallmusik), liegen mindestens zwei Ninos auf dem Boden und üben sich in - zugegeben - sehr freiem Freestyle, wobei die Lehrerin mit einem hochgewachsenen Nino einen Walzer auf die Fliesen bringt. Ich habe noch nie eine Unterrichtsstunde erlebt, in der so viele Kulturen und Einflüsse fremder Nationen in einer spielerischen Selbstverständlichkeit präsentiert wurden.

Was mich jedoch noch mehr erstaunte, war die Tatsache, dass die Ninos wie selbstverständlich nach Unterrichtsschluss den Putzeimer und Besen in die Hand nehmen und alle zusammen die Klasse wischen.
Das sollte man auch nur ansatzweise in Deutschland versuchen - und ich will die Klasse sehen, die das ohne zu motzen so flink erledigt.

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Was es heißt, zu gehen

Mit knapp zwanzig Jahren Lebenserfahrung habe ich mich entschlossen, ab Sommer 2009 für ganze zwölf Monate nach Nicaragua zu gehen; dass es geklappt hat, hatte ich zwischendurch nicht wirklich gedacht; aber dass ich nun, Anfang Juli, so kurz vor der Ausreise stehe und meine Schulzeit einfach so an mir vorbei gegangen ist - das ist noch weniger zu begreifen. Ich werde natürlich an diesem Zustand nichts ändern können und freue mich tatsächlich wahnsinnig auf die Zeit in Mittelamerika. Bisher haben sich meine Auslandserfahrungen auf den europäischen Raum begrenzt; am 23. Juli geht es jedoch los in ein Land, von dessen Existenz ich zuvor zwar wusste, aber an das ich doch zugegeben wenig gedacht habe - und das ich geographisch als Abiturientin "drüben" eingeordnet habe.

Innerhalb eines Jahres werden sich mein Weltbild, meine geographischen und kulturellen Kenntnissen verschieben, neu ordnen. Ich werde einen Teil der Welt kennen lernen, der von Armut, Korruption, Drogen und der Hoffnung auf Besserung bestimmt wird, - aber genau so von Gastfreundlichkeit, Freude am Leben und an dem wenigen, das man hat.

Ich verlasse meine Heimat, ohne zu wissen, was Heimat eigentlich ist.

Natürlich werde ich wiederkommen - jedenfalls gehe ich stark davon aus -, aber die Entwicklung, die ich in diesem Jahr vollziehen werde, ist jetzt noch gar nicht abzusehen. Es fällt leicht, über all diese Dinge an einem warmen, geheizten Ort (im Winter) zu schreiben, wenn man von all dem umgeben ist, das man zum Leben braucht. Wie es tatsächlich in Nicaragua aussieht, was sich tatsächlich hinter dem Wort Armut verbirgt und was man als Europäer tun kann oder tun muss, werde ich erst in einem Jahr wissen. Dieser Blog ist daher zweierlei: einerseits eine Informationsstation, die allen, die es interessiert oder auch nur zufällig hierher stolpern, Eindrücke meines Lebens in Nicaragua schildern soll; andererseits eine Gedankenkiste, in der ich all das verarbeiten und mitteilen kann, was ich hier erlebe; im Großen und Ganzen ist es dabei auch ein Beitrag meinerseits, um eine Welt, die unglaublich verknüpft ist und die denkbar unvorstellbar von der Technik und dem Fortschritt profitiert, zu ermöglichen, die sich in all der Schnelllebigkeit auch noch gegenseitig versteht und zuhört.