Sonntag, 23. August 2009

Moskitos in der Nase und zu wenig Schlaf

Es ist schon Sonntag - und kalendarisch sind wir einen Monat hier. Wenn wir uns in unserer Wohnung umgucken und die Bilder der ersten Tage vor Augen haben, sind wir doch ganz schön stolz; gleichzeitig gucken wir auf diesen ersten Monat etwas überrascht zurück. Denn innerhalb von vier Wochen hat sich so viel unglaubliches in unserem Leben ereignet, dass wir kaum glauben können, dass all das in einem Monat möglich ist - am treffendsten hat es Victor, ein Amerikaner, den ich hier im Cafe getroffen habe, gesagt: The person who took the flight to Managua in July 2009 will not come back. Er hat so recht. Wir selbst merken es wohl nicht, aber es wird so offensichtlich sein, wenn wir wieder kommen; und es wird so schwer sein, in unser altes Leben wiederzukehren.

Zwar liegt unsere Rückkehr noch weit vor uns, aber dennoch: 1/12 unseres Aufenthaltes ist bereits herum und es verging wie ein Augenschlag, wie eine Sekunde. Die Dinge, die wir bereits erlebten, die Leute, die bereits trafen und kennen lernen durften, haben uns das Gefühl gegeben, dass unser Aufenthalt hier wertvoll und richtig ist, und gleichzeitig wollen wir immer mehr von diesem Land sehen, immer mehr Leute treffen, sprich: die Lebensfreude, der Wille, mehr von dieser Welt in all ihren Facetten zu sehen, ist gewachsen und jeder Tag ist ein neues Abenteuer.

Solche Sätze klingen ziemlich abgenutzt und wahrscheinlich erwartet man das auch auf einer solchen Seite, wo ein junger Mensch von bahnbrechenden Erfahrungen spricht, die sein momentanes Leben bereichern. Aber vermutlich ist das der Moment, an dem Sprache an ihre Grenzen stößt: Ich kann euch erzählen, was für ein Leben man hier lebt, ich kann euch Bilder zeigen und euch alles bis ins kleinste Detail berichten; aber es wird immer noch unbekannt für euch sein und ihr werdet wahrscheinlich nicht wissen können, wie es ist, wenn man hier die Straßen lang geht und die Männer einem hinterherrufen, so dass sich man für einen Augenblick wünscht, unsichtbar zu sein. Ihr werdet auch nicht wissen, was mir jeden Morgen durch den Kopf geht, wenn ich die Berge sehe, die Matagalpa umgeben, oder wenn ich auf dem Weg zur Schule den Fluß überquere, wenn Kinder in ein Cafe kommen und nach einem Cordoba fragen, wenn trotz unserer Funktion als Freiwillige, als Helfer, eine klare Linie zwischen arm und reich, zwischen fremd und nicaraguanisch, zwischen uns und den anderen gezogen wird. Es sind diese Momente, in denen wir merken, dass niemand außer uns in unserer Haut steckt, Momente, in denen wir verstehen, dass niemand außer uns gerade so fühlt, so fühlen kann, wie wir.

Tatsächlich fühlen wir uns nicht allein gelassen und tatsächlich sind wir gut angekommen, haben nach einem Monat bereits feste Freunde und Menschen gefunden, an die wir uns anlehnen können, wenn wir nicht weiter wissen. Aber die Grenzen des Einzelnen werden mir hier bewusster als je zuvor.

Die Dinge, die wir erleben, sind wahnsinnig.
Allein gestern waren wir mit Freddy und Lussi in den Bergen, im Dschungel, im Regenwald. Wir haben die älteste Eiche der Welt gesehen, haben Schlamm und Matsch durchwatet und haben Affen brüllen hören, so dass es klang, als ob ein Heer von Wahnsinnigen auf dem Vormarsch wäre. Fern jeglicher Zivilisation, könnte man meinen - und als wir die Orientierung total verloren, fühlte es sich auch so an. Es war ein ganz wunderbarer Spaziergang, der ungefähr fünf Stunden dauerte und uns durch dichten Dschungel führte und zeigte uns Dinge, von denen wir zwar wussten, dass sie existieren, aber die wir noch nie mit eigenen Augen gesehen hatten.
Zum krönenden Abschluss durften wir in einigen Hundert Metern Höhe erleben, wie dichtester Nebel das Tal zu unseren Füßen bedeckte und der Regen, der auf uns fiel, war etwas ganz besonderes. Das war wohl einer dieser Momente, die wir nie vergessen werden.
Abschließend kauften Tim und ich noch eine Hängepflanze für unsere Superwohnung und nach zwei Stunden Schlaf gönnten wir uns italienisches Essen.

Den heutigen Sonntag werden wir mit Chillen verbringen und vielleicht mit dem Zählen der Moskitostiche auf unserer Haut.
Zudem haben wir eben ein Schwein gekauft. Es heißt Jemima und wird unsere Zusatzkasse, in die wir Cordobas reinwerfen, die in unseren Hosentaschen rumfliegen. Zu Weihnachten wird Jemima dann geschlachtet und dann werden wir sehen, wie viel wir großzügiger Weise zur Seite gelegt haben. Was wir genau mit dem Geld machen, steht noch nicht fest ... aber wir werden es schon einzusetzen verstehen.

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Was es heißt, zu gehen

Mit knapp zwanzig Jahren Lebenserfahrung habe ich mich entschlossen, ab Sommer 2009 für ganze zwölf Monate nach Nicaragua zu gehen; dass es geklappt hat, hatte ich zwischendurch nicht wirklich gedacht; aber dass ich nun, Anfang Juli, so kurz vor der Ausreise stehe und meine Schulzeit einfach so an mir vorbei gegangen ist - das ist noch weniger zu begreifen. Ich werde natürlich an diesem Zustand nichts ändern können und freue mich tatsächlich wahnsinnig auf die Zeit in Mittelamerika. Bisher haben sich meine Auslandserfahrungen auf den europäischen Raum begrenzt; am 23. Juli geht es jedoch los in ein Land, von dessen Existenz ich zuvor zwar wusste, aber an das ich doch zugegeben wenig gedacht habe - und das ich geographisch als Abiturientin "drüben" eingeordnet habe.

Innerhalb eines Jahres werden sich mein Weltbild, meine geographischen und kulturellen Kenntnissen verschieben, neu ordnen. Ich werde einen Teil der Welt kennen lernen, der von Armut, Korruption, Drogen und der Hoffnung auf Besserung bestimmt wird, - aber genau so von Gastfreundlichkeit, Freude am Leben und an dem wenigen, das man hat.

Ich verlasse meine Heimat, ohne zu wissen, was Heimat eigentlich ist.

Natürlich werde ich wiederkommen - jedenfalls gehe ich stark davon aus -, aber die Entwicklung, die ich in diesem Jahr vollziehen werde, ist jetzt noch gar nicht abzusehen. Es fällt leicht, über all diese Dinge an einem warmen, geheizten Ort (im Winter) zu schreiben, wenn man von all dem umgeben ist, das man zum Leben braucht. Wie es tatsächlich in Nicaragua aussieht, was sich tatsächlich hinter dem Wort Armut verbirgt und was man als Europäer tun kann oder tun muss, werde ich erst in einem Jahr wissen. Dieser Blog ist daher zweierlei: einerseits eine Informationsstation, die allen, die es interessiert oder auch nur zufällig hierher stolpern, Eindrücke meines Lebens in Nicaragua schildern soll; andererseits eine Gedankenkiste, in der ich all das verarbeiten und mitteilen kann, was ich hier erlebe; im Großen und Ganzen ist es dabei auch ein Beitrag meinerseits, um eine Welt, die unglaublich verknüpft ist und die denkbar unvorstellbar von der Technik und dem Fortschritt profitiert, zu ermöglichen, die sich in all der Schnelllebigkeit auch noch gegenseitig versteht und zuhört.