Mittwoch, 26. August 2009

[Myrthe] oder Wir sind ja so international

Erstaunliche Dinge geschehen innerhalb weniger Tage.

Sonntag setzte sich Tim auf mein Bett und es krachte. Also lag ich die ganze Nacht starr wie eine Salzsäure und traute mich nicht, mich zu bewegen. Kurz bevor ich überhaupt Schlaf fand (gegen Mitternacht), hatte unser Nachbar Geburtstag. Und wie das eben in Nicaragua üblich ist, hat man nur dann ordentlich Spaß, wenn es auch laut ist; in diesem Fall bedeutete das konkret, dass eine (geschätzte) 10-Mann-Combo mit Gitarren und Trompeten nebenan stand und ein Liedchen nach dem anderen spielte.
Die waren noch nicht mal schlecht, - aber irgendwie war es nicht ganz unsere Uhrzeit.

Nachdem unser Start in die Woche mit nicaraguanischen Nationalliedern eingeläutet wurde, hätte man denken können, dass diese Nacht die Krönung der Woche sei.
Montag war jedoch nicht nur mein erster Unterrichtstag in Matagalpa Tours, sondern auch der erste Tag, an dem ich gemeinsam mit einer Lehrerin unterrichten durfte; mit der 4to B haben wir Sport gemacht und nach den Verrenkungen, die das nicaraguanische Ministerium für Bildung und Sport im Unterricht vorsieht, durfte ich mit den Kindern ein Spiel spielen. Ich dachte an Zeitfangen, was in Deutschland immer ganz gut ankam - so war es auch hier: die Jungen fingen die Mädchen innerhalb von vier Minuten. Danach sollten die Mädchen die Jungen fangen, und ob es an der Erschöpfung oder am Wetter lag, - sie brauchten zwanzig Minuten (vielleicht lag es auch daran, dass die Jungs auf die Zäune kletterten, so dass die Mädchen so lange dort unten warteten, bis die Lehrerin beschloss, dass es Zeit sei, zu gehen.)
Am Abend dieses Tages reparierten Tim und ich mein Bett und wie zur Bestätigung, dass alles besser wird, hatte diese Nacht niemand mehr Geburtstag.

Dienstag war ein kühler Tag.
Es war so kühl, dass die Nicas in der Schule Felljacken trugen.
Es waren geschätzte 25 Grad und es regnete.
In der Schule lief alles recht gewöhnlich ab; in der Chaosklasse 4to A durfte ich zugucken, wofür ich Profe Judith unendlich dankbar bin. Dafür erlebte ich in der 4to B den reinsten Zickenkrieg und todesmutig begann ich, mich zwischen die Fronten zu stellen, um Juliane zu retten, das süßeste Kind, das es in ganz Nicaragua gibt, und das von den anderen geärgert wurde. Als ich nach Hause ging, hatte ich das Gefühl, ein guter Mensch zu sein und trotz meiner kümmerlichen Präsenz im nicaraguanischen Schulalltag etwas für den Weltfrieden getan zu haben.
Aber neben diesen Dingen ereignete sich am Dienstag ein weiterer Fortschritt in unserem nicaraguanischen Leben: wir werden wahrscheinlich bald eine internationale WG sein, denn wir haben Mierte (oder Myrthe? oder Mürte?) kennen gelernt, eine Niederländerin, die für vier Monate in Matagalpa sein wird. Mit etwas Glück, wird sie ab Oktober mit uns zusammen leben - dann eröffnen sich uns nicht nur neue Freundeskreise, sondern für mich ist es auch eine Möglichkeit, mein Niederländisch zu trainieren, um in einem Jahr in Holland anzufangen.

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Was es heißt, zu gehen

Mit knapp zwanzig Jahren Lebenserfahrung habe ich mich entschlossen, ab Sommer 2009 für ganze zwölf Monate nach Nicaragua zu gehen; dass es geklappt hat, hatte ich zwischendurch nicht wirklich gedacht; aber dass ich nun, Anfang Juli, so kurz vor der Ausreise stehe und meine Schulzeit einfach so an mir vorbei gegangen ist - das ist noch weniger zu begreifen. Ich werde natürlich an diesem Zustand nichts ändern können und freue mich tatsächlich wahnsinnig auf die Zeit in Mittelamerika. Bisher haben sich meine Auslandserfahrungen auf den europäischen Raum begrenzt; am 23. Juli geht es jedoch los in ein Land, von dessen Existenz ich zuvor zwar wusste, aber an das ich doch zugegeben wenig gedacht habe - und das ich geographisch als Abiturientin "drüben" eingeordnet habe.

Innerhalb eines Jahres werden sich mein Weltbild, meine geographischen und kulturellen Kenntnissen verschieben, neu ordnen. Ich werde einen Teil der Welt kennen lernen, der von Armut, Korruption, Drogen und der Hoffnung auf Besserung bestimmt wird, - aber genau so von Gastfreundlichkeit, Freude am Leben und an dem wenigen, das man hat.

Ich verlasse meine Heimat, ohne zu wissen, was Heimat eigentlich ist.

Natürlich werde ich wiederkommen - jedenfalls gehe ich stark davon aus -, aber die Entwicklung, die ich in diesem Jahr vollziehen werde, ist jetzt noch gar nicht abzusehen. Es fällt leicht, über all diese Dinge an einem warmen, geheizten Ort (im Winter) zu schreiben, wenn man von all dem umgeben ist, das man zum Leben braucht. Wie es tatsächlich in Nicaragua aussieht, was sich tatsächlich hinter dem Wort Armut verbirgt und was man als Europäer tun kann oder tun muss, werde ich erst in einem Jahr wissen. Dieser Blog ist daher zweierlei: einerseits eine Informationsstation, die allen, die es interessiert oder auch nur zufällig hierher stolpern, Eindrücke meines Lebens in Nicaragua schildern soll; andererseits eine Gedankenkiste, in der ich all das verarbeiten und mitteilen kann, was ich hier erlebe; im Großen und Ganzen ist es dabei auch ein Beitrag meinerseits, um eine Welt, die unglaublich verknüpft ist und die denkbar unvorstellbar von der Technik und dem Fortschritt profitiert, zu ermöglichen, die sich in all der Schnelllebigkeit auch noch gegenseitig versteht und zuhört.