Dienstag, 22. September 2009

Ein schlechter Tag, ein verrückter Mixer und die Jungfrau Maria

Heute war nicht mein Tag; es begann damit, dass ich auf dem Weg in die Stadt vermehrt über meine Füße stolperte - und ich meine, mittlerweile behaupten zu können, dass es mir in den ersten zwei Monaten gelang, äußerst graziös auf kaputten FlipFlops durch die Straßen zu hopsen.
FlipFlops sind sowieso so eine Sache: unpraktisch, sperrig, schlecht für die Füße und zudem so schrecklich westlich. Deshalb trage ich auch hangemachte Sandaletten - so heißt das dann; ist immer noch unpraktisch und hat wenig mit Schuhen zu tun, aber es steht groß NICARAGUA drauf, und so viel Solidarität will man ja dann doch zeigen.

Ich stolperte also durch die Straßen dieser wunderschönen Stadt, während die Berge, die uns umgeben, in einem wunderbaren Licht einen heißen Tag begrüßten. Freddy, einer meiner Schüler bei Matagalpa Tours, erklärte mir letztens, dass jetzt der Winter kommt. Alles klar, denke ich mir, dann wollen wir mal nicht vom Sommer sprechen.
Als ich das Cafe Latino betrat, begrüßte mich eine der freundlichen Bedienungen, und sie strahlte mich geradezu an; als ich meinen Kaffee in der Hand hielt, wusste ich auch, warum - und warum das Cafe so sonderlich leer war; es gab kein Internet, Stromausfall. Einzig am hellichten Tag ist das ja nicht so schlimm, aber warum muss das Internet, das Tor zur westlichen Welt und meine vermutlich einzige schamhafte Sucht ausgerechnet dann ausfallen, wenn ich den ganzen Morgen nichts zu tun habe?
Ich gab also vor, noch einkaufen zu müssen und taperte erneut über das Pflaster, fiel über meine eigenen Schuhe und machte alles in allem den Anschein einer aufgeschmissenen Europäerin, die mit der Abgeschiedenheit der eigenen Kultur und dem Neueinstieg in eine ferne Zivilisation große Probleme hat. Und das stört mich: denn es ist nicht wahr.

Und trotz allem verstehen es die Nicas, uns jeden Tag zu beeindrucken. So waren unsere Nachbarn gestern extrem flink im Altar-bauen. Ja. In Windeseile wurden geschmacklose Tische, Fähnchen und Stofffetzen, gemeinsam mit einer recht unglücklich dreinschauenden Mutter Gottes und einer nervös blinkenden Lichterkette auf die Straße gepflanzt; und dann kam auch schon die Parade für die Jungfrau Maria. Tim, unser angehender Theologe und Weltenbummler, ließ es sich nicht nehmen und marschierte in Windeseile auf die andere Straßenseite und stellte unsere Nachbarn zur Rede. Was wir erfuhren, konnten wir auch sehen: es wurde eine Parade zur Mutter Gottes abgehalten. Und irgendwie können die Nicas nicht ohne viel Tamtam und nackte Haut - wir hingegen wissen nun, dass wir in der besten Straße Matagalpas leben: denn Donnerstag und Samstag werden wieder Paraden sein, und näher am Geschehen geht es eigentlich nicht.

Als ich mich jedoch heute nach geschlagenen zwei Stunden im Cafe Latino - ohne Internet - nach Hause begab, hatte ich das Gefühl, an meinem eigenen Frust zu ersticken; irgendwie war es deutlich zu spüren, dass dieser Tag nicht gut gehen würde.
So kam es auch.
Allerdings hatten diese üblen Vorzeichen keinen Einfluss auf meine Kochshow, die ich gegen Mittag abhielt; denn Mirte, Tim und ich sind überein gekommen, dass jeden Tag jemand anderes kochen wird. Woraufhin Tim anscheinend überrascht war, dass ich überhaupt kochen könne.
Nun, das Gericht meiner Wahl - oder auch die Resteverwertung - waren indische Reisbällchen auf einem (zugegeben zufällig) flambierten Bohnenmus in einem Bad aus marokkanischen Möhren und Tomatensalad (letzteres eine Inspiration durch diesen Industriearchäologen, der mir einfach nicht mehr aus dem Kopf will).
Meine Ehre hatte ich also wieder, denn meinen deutschen Mitbewohner habe ich wohl nach meinem handwerklichen Versagen mit diesem Mal besänftigt; ich bin nun wieder vollwertiges Mitglied der hiesigen Hausverwaltung. Als mich meine Schritte jedoch in die Escuela Publica Wuppertal führten, musste ich fest stellen, dass die Horrorklasse 4to A keinen Respekt für mich vorsieht. Natürlich, ich begehe einen Fehler: als Lehrerin, als Englischlehrerin, habe ich schon fast alles falsch gemacht, was man falsch machen kann, denn ich unterrichte keinen Sport, - zumindest nicht heute. Also versuchte ich, zu kooperieren. Das ging allerdings mächtig in die Hose, und es lag dieses Mal nicht am Spanisch (und ich weiß nicht, ob das gut oder schlecht ist).

Auf jeden Fall packte ich nach kurzer Zeit und unzähligen Versuchen meine Tasche und stapfte zur Directora, dieses Mal, ohne zu stolpern. Ich erklärte, dass ich gerne Englisch unterrichte, aber die Kinder müssten zuhören. Ich würde gerne auf sie zugehen, aber dafür müssen sie mit mir reden.
Ich hatte gedacht, dass nun die Directora, la profe Judith und ich Kriesgrat halten würden. Stattdessen hielt Directora Norma eine Ansprache, in der ich über den grünen Klee hinaus gelobt wurde, in der den Kindern meine Situation bewusst werden sollte - und nach der ich beinahe mit mir selbst Mitleid hatte.
Es war zwar nicht meine Intention, einen derartigen Sturm auszulösen, aber zum ersten Mal war die Klasse ruhig - sogar Profe Judith war begeistert - und David, einer der wirklich süßen, einer der wirklich leisen Schüler stand auf und entschuldigte sich bei mir. Jetzt mache ich die gleichen Erfahrungen, die zuvor meine Lehrer machten: dass zumindest meistens immer die gleichen Kinder, die braven Kinder, sich entschuldigen. Gerson beispielsweise fand mit einem Male die Wand sehr interessant.

Das Ende vom Lied: Ich habe nun vierundzwanzig kleine Feinde, die es mir womöglich schwer machen werden. Dafür bin ich nun ein vollständiger Teil des Kollegiums: keine Profe Barbara mehr, sondern eine maestra, die es den Kindern schwer macht. Im Anschluss an ihre Blitz- und Donnerrede unterhielt ich mich nämlich noch vollkommen entspannt mit Norma und der Profe Judith, die plötzlich anfingen, an meinen Sachen zu zupfen und mich mt Küsschen-rechts verabschiedeten. Vielleicht musste ich die 4to A für diesen Schritt in Richtung Autorität opfern; vielleicht ist das aber auch nur eine gute, vordergründige Ausrede, um meine eigene Inkompetenz nicht in Frage zu stellen. Müsste ich meine Situation im Moment beschreiben - ich würde verlegen am Daumen knabbern.

Das Harmonische, Interkulturelle, was zuvor zu spüren war, existiert wohl zwischen der 4to A und mir nicht mehr; aber zugegeben: es war nicht viel. Vermutlich ist es so, wenn man Lehrer ist: Es gibt nette Klassen und es gibt chaotische Klassen, die einem jeden Nerv rauben.
Ich weiß, dass die Kinder der 4to B anders auf mich reagieren, dass sie mit mir lernen wollen und wie zum Beweis kamen Brenda und Rosalinda nach der Schule bei mir vorbei, um mich aufzuheitern. Gemeinsam quatschten wir und als hätte es der Zufall gewollt, rollten wieder zwei Paraden durch die Straße. Unsere Straße ist verrückt. Nicaragua ist verrückt. Und der Mixxer, den Mirte als Einzugsgeschenk für uns gekauft hat, ist auch ein bisschen verrückt; denn er mixxt, wenn auch nichts zum Mixxen da ist.
Aber so ist das wohl.

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Was es heißt, zu gehen

Mit knapp zwanzig Jahren Lebenserfahrung habe ich mich entschlossen, ab Sommer 2009 für ganze zwölf Monate nach Nicaragua zu gehen; dass es geklappt hat, hatte ich zwischendurch nicht wirklich gedacht; aber dass ich nun, Anfang Juli, so kurz vor der Ausreise stehe und meine Schulzeit einfach so an mir vorbei gegangen ist - das ist noch weniger zu begreifen. Ich werde natürlich an diesem Zustand nichts ändern können und freue mich tatsächlich wahnsinnig auf die Zeit in Mittelamerika. Bisher haben sich meine Auslandserfahrungen auf den europäischen Raum begrenzt; am 23. Juli geht es jedoch los in ein Land, von dessen Existenz ich zuvor zwar wusste, aber an das ich doch zugegeben wenig gedacht habe - und das ich geographisch als Abiturientin "drüben" eingeordnet habe.

Innerhalb eines Jahres werden sich mein Weltbild, meine geographischen und kulturellen Kenntnissen verschieben, neu ordnen. Ich werde einen Teil der Welt kennen lernen, der von Armut, Korruption, Drogen und der Hoffnung auf Besserung bestimmt wird, - aber genau so von Gastfreundlichkeit, Freude am Leben und an dem wenigen, das man hat.

Ich verlasse meine Heimat, ohne zu wissen, was Heimat eigentlich ist.

Natürlich werde ich wiederkommen - jedenfalls gehe ich stark davon aus -, aber die Entwicklung, die ich in diesem Jahr vollziehen werde, ist jetzt noch gar nicht abzusehen. Es fällt leicht, über all diese Dinge an einem warmen, geheizten Ort (im Winter) zu schreiben, wenn man von all dem umgeben ist, das man zum Leben braucht. Wie es tatsächlich in Nicaragua aussieht, was sich tatsächlich hinter dem Wort Armut verbirgt und was man als Europäer tun kann oder tun muss, werde ich erst in einem Jahr wissen. Dieser Blog ist daher zweierlei: einerseits eine Informationsstation, die allen, die es interessiert oder auch nur zufällig hierher stolpern, Eindrücke meines Lebens in Nicaragua schildern soll; andererseits eine Gedankenkiste, in der ich all das verarbeiten und mitteilen kann, was ich hier erlebe; im Großen und Ganzen ist es dabei auch ein Beitrag meinerseits, um eine Welt, die unglaublich verknüpft ist und die denkbar unvorstellbar von der Technik und dem Fortschritt profitiert, zu ermöglichen, die sich in all der Schnelllebigkeit auch noch gegenseitig versteht und zuhört.