Freitag, 30. Oktober 2009
Das perfekte Dinner ... sieht anders aus
Nein, falsch.
Mittwoch kamen alle meine Lehrer, die meiner Einladung folgten, mich doch mal in meinem grellorangenen Haus zu besuchen. Es war der typisch deutsche Ausgangspunkt einer Einladung und es war die typisch zentralamerikanische Antwort, an die ich mich wohl noch immer nicht gewöhnt habe: 16:30 Uhr war abgemacht. 17:15 Uhr wurde seitens der Nicas angepeilt.
Aber, kein Ding; Tranquillo, denke ich mir, und lass die Nudeln eben kalt werden. Vormittags erähle ich Kathi noch, welche kulinarischen Leckerbissen mir vorschweben - und Kathis Kommentar: Das ist ja wie beim perfekten Dinner -, nachmittags ist noch vor Kommen der Lehrer klar, dass es ein perfektes Dinner in diesem Haus zumindest nicht heute geben wird: in meiner grenzenlosen Weisheit hatte ich den andalusischen Salat mit angebratenem Schafskäse und flambierten Äpfeln ein bisschen zu früh gemacht. Ende vom Lied: Es sah noch nicht einmal lecker aus.
Okay, zwei Gänge reichen auch, - weiß ja keiner (außer Tim), dass mal drei angedacht waren. Das dachten sich wohl auch die Nicas, die vielleicht deshalb in weiser Voraussicht einfach ein bisschen zu spät kamen. u spät und unvollständig, denn statt der sechs Lehrer meiner Schule kamen nur drei. Dafür brachte die eine noch ihren Sohn mit. (Profe Pedro erschien übrigens lautstark auf einem Supermofa, um das ihn Nightrider und MacGyver sicherlich beneidet hätten.)
Wir saßen also gemütlich in unserer Küche, unterhielten uns und ich erhielt sogar ein kleines Geburtstagsgeschenk der ganzen Schule: ein T-Shirt mit glitzernden Schmetterlingen. El gesto vale, sagt Norma und strahlt mich an. Wenn es mir nicht gefällt, kann ich es umtauschen.
In diesem Moment bin ich so sehr Gastgeberin, dass meine einzigen Gedanken den Nudeln gelten, die langsam kalt und traurig werden. Also fangen wir mit dem Festschmaus an. Da für viel zu viele Gäste gedeckt ist, nutzt Profe Pedro diesen Luxus und setzt sich kurzerhand allein an den zweiten Tisch, überblickt dabei aus einem unserer Königsstühle das Geschehen und genießt sein Dasein.
Norma, Profe Darling, Profe Olga, Tim und ich unterhalten uns und es wird ein wirklich schöner Abend.
Wie beim perfekten Dinner begutachten meine Gäste zwischen den Gängen unsere Zimmer und spionieren unserem alten Leben nach. Ah, ella es tu mama, y tu padre? tienes una foto de tu padre? El es tu hermano, ah, que bueno, parece mucho a ti, ah, que buon cuarto y mira la guitarra y la mandolina. Olga, has visto la mandolina de la Barbara? Que guapas chappas ... ah, todas esas fotos son de ti?
Während sich seine Kolleginnen für eine Schlossführung unter Tims Leitung entschließen, residiert König Pedro in unserem Porche und überwacht die Straße. Ein zufriedenes Lächeln liegt auf seinem Gesicht und er strahlt eine Ruhe aus, um die unsere Neonlampen ihn beneiden. Wir unterhalten uns ein bisschen und mal wieder wird mir klar: Profe Pedro ist ein Freund fürs Leben.
Irgendwann hören wir eine gellende Frauenstimme direkt vor der Tür und als wir uns, schon das schlimmste befürchtend, umdrehen, sehen wir Mary Lou, die wie ein kleines Kind ungeduldig vor der Eisentür steht, daneben einer ihrer, einer meiner
Schüler.
Hola mi amor como estas?, hallt es durch unsere Straße und sie drückt mich an mich und kommt genau richtig zum Nachtisch: Pfannekuchen - die Tim für mich zauberte und die er später als mein Werk präsentierte - mit Eis und Schokosoße. Mit Mary Lou im Haus kommt frischer Wind in die Zimmer und die zurücklehnende Ruhe unserer Verdauungstrackte verfliegt. Ich zeige ihr den Brief von Rosalinda und Brenda und sie drückt so fest mein Handgelenk, dass ich alle ihre Ringe spüren kann. Dabei strahlt sie mich an und verkündet: los ninos te quieren mucho, mi amor. Que bueno. Por que no quedarte?
Während wir an unseren Pfannkuchen löffeln, zieht Matagalpa an unserem Haus vorbei: und wie das nun mal so ist, wenn man Nicas im Haus hat - ob man nun mit Norma und Mary Lou in der Küche sitzt oder mit unseren Nachbarn im Porche - ständig kommen Leute vorbei, die unsere Gäste kennen. Que honda, profe? Ah, la Norma! Que bonito encontrarte aqui! Que haces?
Ein bisschen ungläubig verfolge ich, wie Norma und Profe Olga alle einladen und schließlich sind die zwölf Pfannekuchen, die wir auf fünf Personen verteilen mussten, auch weg. Zwischendurch schaut sogar Profe Pedros Frau vorbei, von der er steif und fest behauptet, dass sie seine Cousine sei. Ich frage nicht nach.
Gegen sieben sitzen nur noch Pedro, seine Frau oder Cousine - oder vielleicht ja auch beides -, Mary Lou, Norma, Tim und ich in der Küche.
Mary Lous Augen weiten sich, als sie erzählt, dass sie bald nach Brasilien fliegt.
Ich habe zu Gott gesagt: Gott, wenn es dich gibt, und ich weiß, dass es dich gibt, dann lass mich ein Land sehen, das ich noch nicht gesehen habe. Es ist mir egal, wohin du mich schickst, aber ich glaube an dich und ich vertraue dir.
Dann guckt sie mich vielsagend an und sagt diesen einen Satz, den ich nie vergessen werde: Dios sabe que soy una principesa. Gott weiß, dass ich eine Prinzessin bin.
Mit diesen Worten hat Mary Lou mich endgültig erobert. Zum Abschied drückt sie mich wieder ganz fest an sich und verkündet mir, dass sie für mich beten wird. Ob das Essen nun so schlecht war, ob ich einen so verzweifelten Eindruck mache - oder ob Mary Lou einfach gern mit Gott spricht, der ja weiß, dass sie eine Prinzessin ist, ... ich weiß es nicht; aber ich liebe meine Arbeitgeber mit jedem Tag ein bisschen mehr.
Was es heißt, zu gehen
Mit knapp zwanzig Jahren Lebenserfahrung habe ich mich entschlossen, ab Sommer 2009 für ganze zwölf Monate nach Nicaragua zu gehen; dass es geklappt hat, hatte ich zwischendurch nicht wirklich gedacht; aber dass ich nun, Anfang Juli, so kurz vor der Ausreise stehe und meine Schulzeit einfach so an mir vorbei gegangen ist - das ist noch weniger zu begreifen. Ich werde natürlich an diesem Zustand nichts ändern können und freue mich tatsächlich wahnsinnig auf die Zeit in Mittelamerika. Bisher haben sich meine Auslandserfahrungen auf den europäischen Raum begrenzt; am 23. Juli geht es jedoch los in ein Land, von dessen Existenz ich zuvor zwar wusste, aber an das ich doch zugegeben wenig gedacht habe - und das ich geographisch als Abiturientin "drüben" eingeordnet habe.
Innerhalb eines Jahres werden sich mein Weltbild, meine geographischen und kulturellen Kenntnissen verschieben, neu ordnen. Ich werde einen Teil der Welt kennen lernen, der von Armut, Korruption, Drogen und der Hoffnung auf Besserung bestimmt wird, - aber genau so von Gastfreundlichkeit, Freude am Leben und an dem wenigen, das man hat.Ich verlasse meine Heimat, ohne zu wissen, was Heimat eigentlich ist.
Natürlich werde ich wiederkommen - jedenfalls gehe ich stark davon aus -, aber die Entwicklung, die ich in diesem Jahr vollziehen werde, ist jetzt noch gar nicht abzusehen. Es fällt leicht, über all diese Dinge an einem warmen, geheizten Ort (im Winter) zu schreiben, wenn man von all dem umgeben ist, das man zum Leben braucht. Wie es tatsächlich in Nicaragua aussieht, was sich tatsächlich hinter dem Wort Armut verbirgt und was man als Europäer tun kann oder tun muss, werde ich erst in einem Jahr wissen. Dieser Blog ist daher zweierlei: einerseits eine Informationsstation, die allen, die es interessiert oder auch nur zufällig hierher stolpern, Eindrücke meines Lebens in Nicaragua schildern soll; andererseits eine Gedankenkiste, in der ich all das verarbeiten und mitteilen kann, was ich hier erlebe; im Großen und Ganzen ist es dabei auch ein Beitrag meinerseits, um eine Welt, die unglaublich verknüpft ist und die denkbar unvorstellbar von der Technik und dem Fortschritt profitiert, zu ermöglichen, die sich in all der Schnelllebigkeit auch noch gegenseitig versteht und zuhört.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen