Dienstag, 27. Oktober 2009
Mehr als ein Liebesbrief
Mittlerweile bin ich daran gewohnt, meinen Unterricht vorzubereiten, vergeblich deutsche Stille in überhitzten Klassenzimmern zu erzeugen, und ich muss selbst den Kopf schütteln - ich war heute Morgen noch davon ausgegangen, mit den Kindern Activity zu spielen. Das ist so, als ob man einem Kind mit ADS schwarzen Kaffee gibt.
Das Gefühl, nach einem solchen Tag nach Hause zu gehen, ist jedoch nicht schlecht: man ist kaputt, total fertig, und die Ohren klingeln immer noch: aber es ist in Ordnung.
Inzwischen habe ich zu jedem Grado eine ganz eigene Beziehung: die Kleinen der 4to A und B sind zum Knuddeln oder zum Aufregen, die Ninos der 5to A und B sind meine Kumpel, mit denen ich Scherze und konzentrierten Unterricht machen kann oder auch einfach auf dem Campo in der Sonne chille, die Alumnos der 6to A und 6to B sind noch etwas zwiegespalten: die einen freuen sich auf meinen Unterricht, fragen mich schon montags, wann ich wieder bei ihnen unterrichte (dabei ist mein Stundenplan gar nicht so kompliziert) und grüßen freundlich, die anderen scheinen sich mit der Tatsache abgefunden zu haben, dass ich nun mal existiere und dass man daran auf gewaltfreiem Wege nichts tun kann.
Noch immer kommen mich meine Schüler besuchen - und die Neugierde scheint nicht gestorben zu sein; allein Sonntag sahen fünf Schüler vorbei. Die einen kamen, um mit mir ein bisschen zu reden, die anderen sagten nur kurz hola und mit anderen wiederum kann ich einen Batido nebenan schlürfen; wir unterhalten uns (wobei gerade Brenda und Rosalinda so schüchtern sind, dass ich für den Moment das Gefühl hatte, sie seien teilzeitstumm). Die meiste Zeit kicherten sie in sich hinein, sagten: ay, profe!, weil ich anscheinend ganz unanständige Fragen und Gedanken hatte, so dass sie immer mehr in ihren Batidos verschwanden.
Heute wurde mir ein Briefchen zugesteckt: und dass ich mit 20 noch einen Liebesbrief bekomme, rührt mich beinahe zu Tränen (wobei es, glaube ich, mein erster ist). Als ich jedoch las, was die beiden mir da schrieben, da habe ich tatsächlich mit den Tränen kämpfen müssen:
Profesora Barbarita, wir möchten sagen, dass wir Sie sehr gern (muchisimo) haben und nicht wollen, dass Sie wieder gehen, wir wollen, dass Sie länger bleiben als die verbleibenden Monate. Sie sind sehr hübsch (muy bonita, aha), wir mögen Sie so gerne wie man eine Schwester mag und Sie sind wie eine Schwester für uns. Wir haben Sie gern.
Kann mir mal jemand sagen, warum ich noch studieren soll, wenn ich doch hier gerade mein Leben aufbaue?
Was es heißt, zu gehen
Mit knapp zwanzig Jahren Lebenserfahrung habe ich mich entschlossen, ab Sommer 2009 für ganze zwölf Monate nach Nicaragua zu gehen; dass es geklappt hat, hatte ich zwischendurch nicht wirklich gedacht; aber dass ich nun, Anfang Juli, so kurz vor der Ausreise stehe und meine Schulzeit einfach so an mir vorbei gegangen ist - das ist noch weniger zu begreifen. Ich werde natürlich an diesem Zustand nichts ändern können und freue mich tatsächlich wahnsinnig auf die Zeit in Mittelamerika. Bisher haben sich meine Auslandserfahrungen auf den europäischen Raum begrenzt; am 23. Juli geht es jedoch los in ein Land, von dessen Existenz ich zuvor zwar wusste, aber an das ich doch zugegeben wenig gedacht habe - und das ich geographisch als Abiturientin "drüben" eingeordnet habe.
Innerhalb eines Jahres werden sich mein Weltbild, meine geographischen und kulturellen Kenntnissen verschieben, neu ordnen. Ich werde einen Teil der Welt kennen lernen, der von Armut, Korruption, Drogen und der Hoffnung auf Besserung bestimmt wird, - aber genau so von Gastfreundlichkeit, Freude am Leben und an dem wenigen, das man hat.Ich verlasse meine Heimat, ohne zu wissen, was Heimat eigentlich ist.
Natürlich werde ich wiederkommen - jedenfalls gehe ich stark davon aus -, aber die Entwicklung, die ich in diesem Jahr vollziehen werde, ist jetzt noch gar nicht abzusehen. Es fällt leicht, über all diese Dinge an einem warmen, geheizten Ort (im Winter) zu schreiben, wenn man von all dem umgeben ist, das man zum Leben braucht. Wie es tatsächlich in Nicaragua aussieht, was sich tatsächlich hinter dem Wort Armut verbirgt und was man als Europäer tun kann oder tun muss, werde ich erst in einem Jahr wissen. Dieser Blog ist daher zweierlei: einerseits eine Informationsstation, die allen, die es interessiert oder auch nur zufällig hierher stolpern, Eindrücke meines Lebens in Nicaragua schildern soll; andererseits eine Gedankenkiste, in der ich all das verarbeiten und mitteilen kann, was ich hier erlebe; im Großen und Ganzen ist es dabei auch ein Beitrag meinerseits, um eine Welt, die unglaublich verknüpft ist und die denkbar unvorstellbar von der Technik und dem Fortschritt profitiert, zu ermöglichen, die sich in all der Schnelllebigkeit auch noch gegenseitig versteht und zuhört.
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