Montag, 5. Oktober 2009

Das singende Gürteltier

Wenn man ein ganzes Jahr nicht in seinem Zimmer ist, dann entdeckt man - manchmal auf schmerzliche Art und Weise -, was man wirklich braucht. Unser europäischer Lebenswandel mag in vielen Dingen, die wir wirklich wirklich sehr sehr sehr zum Leben brauchen, übertrieben sein.

Als Beispiel: Nesquik Kakao ist eine tolle Sache, aber nicht lebensnotwendig; zwei Liter Wasser schmecken regelrecht bescheiden im Vergleich zu Nesquik, die regelmäßige Einnahme sei trotzdem geraten.
Natürlich relativieren sich diese Dinge, wenn man davon ausgeht, dass der Mensch knappe drei Tage ohne Wasser und etwa fünf Tage ohne feste Nahrung auskommen kann; wenn man davon ausgeht, dass eine Frau am Tag ca. 2000 Kalorien verdrücken kann, ein Mann etwa 2500 bis 3000.

Getreu diesem Ausgangspunkt fällt es leicht, zu glauben, musikalischer Genuss werde gänzlich überbewertet, sei ergo nicht lebensnotwendig.
Die Mandoline an sich hat keine Kalorien; und ist für mich doch lebensnotwendig. Das habe ich hier gemerkt. Sie ist nicht zu ersetzen mit einer Gitarre; denn ich muss zugeben, dass ich sehr gerne Gitarrenmusik höre, allerdings befürworte ich es, wenn dies andere in die Tat umsetzen - ich selbst stellte mich als recht unbeholfen im Erlernen der Gitarre heraus. Vielleicht mangelte es mir an Einsatz oder an Liebe für dieses Instrument; denn eigentlich suchte ich doch eine Mandoline.

Seit Samstag habe ich also eine Mandoline, für die auch noch ein unwissendes Gürteltier sterben musste; dafür summt in dessen Rücken (für Zupffreunde: im Bauch der Mandoline) nun eine Symphonie von Klängen. Zugegeben: ich bin immer noch in der Findungsphase, d.h. dass ich ständig stimmen muss, dass ich das Instrument regelmäßig einspielen muss, und dass es trotzdem noch immer auffallend orientalisch klingt, sobald ich ein paar Töne zupfe.
Aber es macht mich so sehr glücklich, dieses Instrument zu spielen; und ich kann wohl nichts dagegen tun (und will es auch gar nicht), dass dieses Instrument zu einem Teil von mir geworden ist. Lebensnotwendig also.

Und die Nicas? Die wechseln ganz besorgt die Straßenseite.

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Was es heißt, zu gehen

Mit knapp zwanzig Jahren Lebenserfahrung habe ich mich entschlossen, ab Sommer 2009 für ganze zwölf Monate nach Nicaragua zu gehen; dass es geklappt hat, hatte ich zwischendurch nicht wirklich gedacht; aber dass ich nun, Anfang Juli, so kurz vor der Ausreise stehe und meine Schulzeit einfach so an mir vorbei gegangen ist - das ist noch weniger zu begreifen. Ich werde natürlich an diesem Zustand nichts ändern können und freue mich tatsächlich wahnsinnig auf die Zeit in Mittelamerika. Bisher haben sich meine Auslandserfahrungen auf den europäischen Raum begrenzt; am 23. Juli geht es jedoch los in ein Land, von dessen Existenz ich zuvor zwar wusste, aber an das ich doch zugegeben wenig gedacht habe - und das ich geographisch als Abiturientin "drüben" eingeordnet habe.

Innerhalb eines Jahres werden sich mein Weltbild, meine geographischen und kulturellen Kenntnissen verschieben, neu ordnen. Ich werde einen Teil der Welt kennen lernen, der von Armut, Korruption, Drogen und der Hoffnung auf Besserung bestimmt wird, - aber genau so von Gastfreundlichkeit, Freude am Leben und an dem wenigen, das man hat.

Ich verlasse meine Heimat, ohne zu wissen, was Heimat eigentlich ist.

Natürlich werde ich wiederkommen - jedenfalls gehe ich stark davon aus -, aber die Entwicklung, die ich in diesem Jahr vollziehen werde, ist jetzt noch gar nicht abzusehen. Es fällt leicht, über all diese Dinge an einem warmen, geheizten Ort (im Winter) zu schreiben, wenn man von all dem umgeben ist, das man zum Leben braucht. Wie es tatsächlich in Nicaragua aussieht, was sich tatsächlich hinter dem Wort Armut verbirgt und was man als Europäer tun kann oder tun muss, werde ich erst in einem Jahr wissen. Dieser Blog ist daher zweierlei: einerseits eine Informationsstation, die allen, die es interessiert oder auch nur zufällig hierher stolpern, Eindrücke meines Lebens in Nicaragua schildern soll; andererseits eine Gedankenkiste, in der ich all das verarbeiten und mitteilen kann, was ich hier erlebe; im Großen und Ganzen ist es dabei auch ein Beitrag meinerseits, um eine Welt, die unglaublich verknüpft ist und die denkbar unvorstellbar von der Technik und dem Fortschritt profitiert, zu ermöglichen, die sich in all der Schnelllebigkeit auch noch gegenseitig versteht und zuhört.