Dienstag, 10. November 2009

Christmas Special

Ich tue etwas, was ich in Deutschland stets verabscheute; dieses verfrühte Einkehren des Weihnachtsfestes beginnt meistens im August mit heimtückischen Spekulatius, die sich unbemerkt in die Supermärkte zusammen mit Dominosteinen und Lebkuchen schmuggeln. Spätestens im Oktober teilen sich schreiende Kürbisse und gruselnde Geister ganze Regalreihen mit Weihnachtssternen und Duftkerzen, naja, und im November ist es dann ja eigentlich auch nicht mehr lange.

Etwas ähnliches konnten wir auch hier in Nicaragua beobachten: auf der Schokolade sind nun Nussknacker und Schneemänner abgebildet, im Pali gibt es bereits geschmückte Plastikweihnachtsbäume zu kaufen und aus einigen Schaufenstern lachen uns nackte Weihnachtsmänner entgegen. Nicaragua ist ein verrücktes Land.
Aber noch verrückter als dieses praeweihnachtliche Verhaltensmuster ist die Tatsache, dass es immer noch recht warm ist. Immer dann, wenn wir glauben, dass der Winter kommt und von Pullovern und unglaublich eisigen 20 Grad schreiben, kommt am nächsten Tag die Sonne raus und beginnt, uns in gewohnter Grausamkeit zu grillen.

Das Schuljahr endet in unglaublichen eineinhalb Wochen - zum 20. November habe ich frei. Und somit habe ich mich dazu entschieden - da der Winter eh nie kommen wird -, mit meinen Ninos heute Weihnachtsbilder zu malen: ich habe mal wieder die Materialien dazu gekauft, weil die Schule über nicht genügend Buntstifte verfügt.

Das, was ich heute plane, wird eine kleine Gesellschaftsstudie: denn die Nicas kennen keinen Schnee und lachen sich scheckich bei dem Gedanken, dass man in Europa echte Bäume in die Wohnzimmer holt. Verrückte Europäer. Von daher bin ich doch mal sehr gespannt, was sie überhaupt malen werden.
Ich rede mir im Übrigen ein, dass dieses Christmas Special unvermeidbar ist, denn auch, wenn es weder klimatisch noch emotional die Zeit zu sein scheint, in der man von Weihnachtsmännern und Hasen im Schnee spricht, gibt es in diesem Jahr vermutlich keinen anderen Zeitpunkt, in dem es sich anbietet, über Schneeflocken zu sprechen.
Und letztlich könnte ich es nicht verantworten, wenn meinen Ninos im Nachhinein derartige Vokabeln fehlten.

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Was es heißt, zu gehen

Mit knapp zwanzig Jahren Lebenserfahrung habe ich mich entschlossen, ab Sommer 2009 für ganze zwölf Monate nach Nicaragua zu gehen; dass es geklappt hat, hatte ich zwischendurch nicht wirklich gedacht; aber dass ich nun, Anfang Juli, so kurz vor der Ausreise stehe und meine Schulzeit einfach so an mir vorbei gegangen ist - das ist noch weniger zu begreifen. Ich werde natürlich an diesem Zustand nichts ändern können und freue mich tatsächlich wahnsinnig auf die Zeit in Mittelamerika. Bisher haben sich meine Auslandserfahrungen auf den europäischen Raum begrenzt; am 23. Juli geht es jedoch los in ein Land, von dessen Existenz ich zuvor zwar wusste, aber an das ich doch zugegeben wenig gedacht habe - und das ich geographisch als Abiturientin "drüben" eingeordnet habe.

Innerhalb eines Jahres werden sich mein Weltbild, meine geographischen und kulturellen Kenntnissen verschieben, neu ordnen. Ich werde einen Teil der Welt kennen lernen, der von Armut, Korruption, Drogen und der Hoffnung auf Besserung bestimmt wird, - aber genau so von Gastfreundlichkeit, Freude am Leben und an dem wenigen, das man hat.

Ich verlasse meine Heimat, ohne zu wissen, was Heimat eigentlich ist.

Natürlich werde ich wiederkommen - jedenfalls gehe ich stark davon aus -, aber die Entwicklung, die ich in diesem Jahr vollziehen werde, ist jetzt noch gar nicht abzusehen. Es fällt leicht, über all diese Dinge an einem warmen, geheizten Ort (im Winter) zu schreiben, wenn man von all dem umgeben ist, das man zum Leben braucht. Wie es tatsächlich in Nicaragua aussieht, was sich tatsächlich hinter dem Wort Armut verbirgt und was man als Europäer tun kann oder tun muss, werde ich erst in einem Jahr wissen. Dieser Blog ist daher zweierlei: einerseits eine Informationsstation, die allen, die es interessiert oder auch nur zufällig hierher stolpern, Eindrücke meines Lebens in Nicaragua schildern soll; andererseits eine Gedankenkiste, in der ich all das verarbeiten und mitteilen kann, was ich hier erlebe; im Großen und Ganzen ist es dabei auch ein Beitrag meinerseits, um eine Welt, die unglaublich verknüpft ist und die denkbar unvorstellbar von der Technik und dem Fortschritt profitiert, zu ermöglichen, die sich in all der Schnelllebigkeit auch noch gegenseitig versteht und zuhört.