Dienstag, 10. November 2009
Ungewohnter Tiefgang
Verübeln kann ich es ihnen nicht, immerhin war ich früher auch eine von ihnen.
Wir sitzen also zusammen da und unterhalten uns ein bisschen, da fragt mich so ein Stöpsel von zehn Jahren: Profe, was wirst du mit deinem Leben anfangen?
Hups. Damit rechnet man nicht an einem Montagnachmittag.
Naja, sage ich, ich werde wohl studieren.
In Spanien?
Nein, warum in Spanien?
Kommst du nicht aus Spanien, Profe?
Eh, nein. Aber danke, denke ich mir, denn anscheinend ist mein Espanol so spanisch, dass man es nicht merkt. Oder vielleicht verstehen einige Ninos einfach nicht, was ich hier tue. Viele sind der Ansicht, dass ich auch Lehrerin in Deutschland bin, genau so, wie sie denken, dass ich dreißig bin. Beides muss ich verneinen.
Was willst du denn mal machen, Profe?
Oh, ich wäre gerne Schriftstellerin, sage ich.
Oh, sagt Margarita, und strahlt mich an. Überleg mal, Profe, wie toll das wäre, wenn du so schreiben würdest wie Ruben Darío. Er hat ganz viele Gedichte geschrieben.
Ja, sag ich, das wäre schön, und nehme sie in den Arm, dafür, dass sie mir das Potenzial unterstellt, das dem inoffiziellen nicaraguanischen Nationalhelden zugeschrieben wird.
Und was willst du machen, frage ich sie.
Margaritha guckt in den Himmel und zeigt auf einen Vogel. Ich werde fliegen, Profe, wie ein Vogel. In einem Flugzeug. Ich werde Stewardess und dann kann ich über den Wolken Kaffee verteilen, und ich werde ganz Zentralamerika sehen und eines Tages, Profe, eines Tages komme ich auch in dein Land.
Was es heißt, zu gehen
Mit knapp zwanzig Jahren Lebenserfahrung habe ich mich entschlossen, ab Sommer 2009 für ganze zwölf Monate nach Nicaragua zu gehen; dass es geklappt hat, hatte ich zwischendurch nicht wirklich gedacht; aber dass ich nun, Anfang Juli, so kurz vor der Ausreise stehe und meine Schulzeit einfach so an mir vorbei gegangen ist - das ist noch weniger zu begreifen. Ich werde natürlich an diesem Zustand nichts ändern können und freue mich tatsächlich wahnsinnig auf die Zeit in Mittelamerika. Bisher haben sich meine Auslandserfahrungen auf den europäischen Raum begrenzt; am 23. Juli geht es jedoch los in ein Land, von dessen Existenz ich zuvor zwar wusste, aber an das ich doch zugegeben wenig gedacht habe - und das ich geographisch als Abiturientin "drüben" eingeordnet habe.
Innerhalb eines Jahres werden sich mein Weltbild, meine geographischen und kulturellen Kenntnissen verschieben, neu ordnen. Ich werde einen Teil der Welt kennen lernen, der von Armut, Korruption, Drogen und der Hoffnung auf Besserung bestimmt wird, - aber genau so von Gastfreundlichkeit, Freude am Leben und an dem wenigen, das man hat.Ich verlasse meine Heimat, ohne zu wissen, was Heimat eigentlich ist.
Natürlich werde ich wiederkommen - jedenfalls gehe ich stark davon aus -, aber die Entwicklung, die ich in diesem Jahr vollziehen werde, ist jetzt noch gar nicht abzusehen. Es fällt leicht, über all diese Dinge an einem warmen, geheizten Ort (im Winter) zu schreiben, wenn man von all dem umgeben ist, das man zum Leben braucht. Wie es tatsächlich in Nicaragua aussieht, was sich tatsächlich hinter dem Wort Armut verbirgt und was man als Europäer tun kann oder tun muss, werde ich erst in einem Jahr wissen. Dieser Blog ist daher zweierlei: einerseits eine Informationsstation, die allen, die es interessiert oder auch nur zufällig hierher stolpern, Eindrücke meines Lebens in Nicaragua schildern soll; andererseits eine Gedankenkiste, in der ich all das verarbeiten und mitteilen kann, was ich hier erlebe; im Großen und Ganzen ist es dabei auch ein Beitrag meinerseits, um eine Welt, die unglaublich verknüpft ist und die denkbar unvorstellbar von der Technik und dem Fortschritt profitiert, zu ermöglichen, die sich in all der Schnelllebigkeit auch noch gegenseitig versteht und zuhört.
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