Dienstag, 10. November 2009

Entschuldigung, haben Sie meine Authorität gesehen ...?

Heute war ein schwieriger Tag - und ich sag es gleich: es lag nicht an den Weihnachtsmännern. Die sind sehr süß und zum Teil sehr abstrakt geworden. In der 4to A sitzen lauter kleine Klees, Malewitschs und ja, George Braque sitzt in der ersten Reihe und heißt Gerson. Der Kreativität sind dabei keine Grenzen gesetzt: Anibal begnügte sich damit, meine Vorlage abzupausen, während andere Kinder gar nicht müde wurden, Schneeflocken und -männer und Glocken und Plätzchen und Bomben zu basteln.

Ja, richtig, Bomben.

Das war es dann mit dem Fest der Liebe, aber es war ja auch irgendwie klar, dass die Nicas nicht leise können: deshalb lassen sie das, was bei uns an Silvester explodiert, bereits an Weihnachten hochgehen. Wär ja auch sonst zu ruhig. Immerhin müssen die Nicas auch bis Mitternacht auf die Geschenke warten - und da braucht man ja was zu tun.

Der Rest des Tages war weniger erfreulich: Mary Lou rief mich zu ihr und erklärte mir, dass ich gestern zu lange unterrichtet hätte. Ich denk, mich trifft eine Kokosnuss, aber ja, sie hat das so gesagt. Sie hat mir auch gesagt, dass ich mich gegenüber den Kollegen durchsetzen muss - und dass keiner in dieser Schule so viel Authorität besitzt wie ich.

Moment mal, denke ich, das sah aber gestern oder Freitag anders aus. Und wenn die oberste Authoritätsperson eine Freiwillige ist, - was ist das für eine Hierarchie? Ich stelle es nicht weiter in Frage, zumindest so lange nicht, wie ich mit der 5to A auf dem Campo bin. Als ich die 4to B, meine ehemalige Lieblingsklasse, betrete, ist es mit dem Examen dahin; hier kann ich nicht Snape spielen, sogar Masupilami hat mehr Durchsetzungsvermögen als ich und ein bisschen säuerlich verteile ich die Zettel aus. No es trabajo en equipos, es trabajo individual.

Aha.
Ach, wirklich.

Kinder winken mich zu sich und wollen, dass ich ihnen helfe. Nach vier Wochen Frutas und verduras schaffen sie es immer noch nicht, den passenden Begriff für Banane zu finden. Nicht, weil sie dumm sind. Sondern weil das, was ich tue, was ich hier mache, für den Großteil von geringer Bedeutung ist. Margaritha will Stewardess werden, aber was ist mit dem Nino, der die Pulperia seines Vaters übernehmen wird; oder der Taxifahrer wird. Wozu braucht er da Bananen oder Knoblauch, zumal auf Englisch.
Den Höhepunkt stellt das Kreuzworträtsel dar, das sie mit spanischen Worten statt mit englischen füllen. Ich stehe an der Tafel, schreib Namen auf, verteile böse Striche und verliere mit jeder weiteren Minute meine Stimme.
Da ist sie.
So sieht die Person mit der größten Authorität in dieser Schule aus. Sicherlich habe das zu deutlich, zu wörtlich genommen.

Im Anschluss halte ich eine kleine Rede zum Thema Disrespecto und Profe Angela verkündet vor der versammelten Mannschaft, dass sie sich für ihre Klasse schäme.
Ein bisschen hilflos, ein bisschen verwirrt, ein bisschen niedergeschlagen gehe ich nach Haus. Ich weiß, dass die Kinder es nicht so meinen, dass sie ja eigentlich nur Spaß machen; und ich weiß, dass in der nächsten Stunde alles wieder gut ist. Aber das alles hilft mir nicht, wenn es gerade so enttäuschend ist.

Zu Hause werde ich von Mirte und Tim aufgebaut und letztlich kann ich diesen Tag doch verkraften. Es gehört dazu; ein Jahr ist nicht komplett Wahnsinn.
Und es ist irgendwo okay.

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Was es heißt, zu gehen

Mit knapp zwanzig Jahren Lebenserfahrung habe ich mich entschlossen, ab Sommer 2009 für ganze zwölf Monate nach Nicaragua zu gehen; dass es geklappt hat, hatte ich zwischendurch nicht wirklich gedacht; aber dass ich nun, Anfang Juli, so kurz vor der Ausreise stehe und meine Schulzeit einfach so an mir vorbei gegangen ist - das ist noch weniger zu begreifen. Ich werde natürlich an diesem Zustand nichts ändern können und freue mich tatsächlich wahnsinnig auf die Zeit in Mittelamerika. Bisher haben sich meine Auslandserfahrungen auf den europäischen Raum begrenzt; am 23. Juli geht es jedoch los in ein Land, von dessen Existenz ich zuvor zwar wusste, aber an das ich doch zugegeben wenig gedacht habe - und das ich geographisch als Abiturientin "drüben" eingeordnet habe.

Innerhalb eines Jahres werden sich mein Weltbild, meine geographischen und kulturellen Kenntnissen verschieben, neu ordnen. Ich werde einen Teil der Welt kennen lernen, der von Armut, Korruption, Drogen und der Hoffnung auf Besserung bestimmt wird, - aber genau so von Gastfreundlichkeit, Freude am Leben und an dem wenigen, das man hat.

Ich verlasse meine Heimat, ohne zu wissen, was Heimat eigentlich ist.

Natürlich werde ich wiederkommen - jedenfalls gehe ich stark davon aus -, aber die Entwicklung, die ich in diesem Jahr vollziehen werde, ist jetzt noch gar nicht abzusehen. Es fällt leicht, über all diese Dinge an einem warmen, geheizten Ort (im Winter) zu schreiben, wenn man von all dem umgeben ist, das man zum Leben braucht. Wie es tatsächlich in Nicaragua aussieht, was sich tatsächlich hinter dem Wort Armut verbirgt und was man als Europäer tun kann oder tun muss, werde ich erst in einem Jahr wissen. Dieser Blog ist daher zweierlei: einerseits eine Informationsstation, die allen, die es interessiert oder auch nur zufällig hierher stolpern, Eindrücke meines Lebens in Nicaragua schildern soll; andererseits eine Gedankenkiste, in der ich all das verarbeiten und mitteilen kann, was ich hier erlebe; im Großen und Ganzen ist es dabei auch ein Beitrag meinerseits, um eine Welt, die unglaublich verknüpft ist und die denkbar unvorstellbar von der Technik und dem Fortschritt profitiert, zu ermöglichen, die sich in all der Schnelllebigkeit auch noch gegenseitig versteht und zuhört.