Mittwoch, 4. November 2009
Planet Deutschland
Sprich: von den Orten, wo es gerne auch mal länger trüb und dieslig ist. Das Wetter an diesem Morgen ist recht deutsch: der Regen ist fies, besteht aus langen Fäden, die man eigentlich nicht spürt, aber sobald man ein Gebäude betreten muss, muss man durch so eine Wasserwand, weil es dann doch wie bekloppt von den Dächern kommt.
An einem solchen Morgen dösen wir. Oder stehen ratlos in einem Kopierladen, wo die gesamte Besatzung des kleinen Geschäftes ratlos vor dem Kopierer steht, der nur noch zerknitterte Blätter ausspucken will. Kopierer sehen hier übrigens aus wie kleine Panzer, wie hässliche Kücheninseln, auf denen man zwar keine Tomaten klein schneiden sollte, die dafür aber surren und auch in älteren Star Wars Filmen ein unbekanntes Flugobjekt hätten darstellen können.
Unbekannt bzw. sagenumwoben scheint auch Deutschland: Bei meiner Recherche für eben diesen Artikel lese ich mir mal genauer die Niederschlagsraten in Deutschland bei einem großen Internetwoxikon durch. Und stoße - das verwundert weniger - auf den Artikel: Klima in Deutschland. Gut, das ist logisch. Aber etwas weiter unten folgt der Artikel mit dem unmissverständlichen Missverständnisse erzeugenden Titel: Klima auf anderen Planeten
Das wundert mich dann doch.
Wäre es die englische Ausgabe dieses gesammelten Erdenwissens, könnte man ja noch Verständnis heischen: Ja, okay, die wohnen auf ner Insel, da kann man schon mal das rettende Festland mit anderen Himmelskörpern verwechseln. Aber warum eben dies in der deutschen Fassung passiert ... ist mir dann doch ein wenig unbegreiflich.
Sehen wir uns selbst als eigene Welt? Oder bin ich einfach so weit entfernt, dass es schon eine extra Wikiausgabe nur für mich gibt, die die Wahrheit verschleiert und mir eine zusammen gesponnene Realität wie in der Truman Show aufzwingen will, jedes Mal, wenn ich von Nicaragua mein Wissen schärfe und besagte Seite visuell betrete?
Fragen über Fragen.
Wirft übrigens auch web.de auf. Ein elektronisches Postfach ist eine feine Sache, vor allem, weil man so auch aus Nicaragua mit den Menschen in Europa und eigentlich in der ganzen Welt Kontakt aufnehmen kann.
Leider kommt man an den Menschen von web.de auch nicht vorbei.
Es ist womöglich ein Kompromiss, den man mit zunehmendem Alter eingehen muss, der zum Leben im Cyberspace und auf Straßen und Fußgängerzonen dazu gehört: dass man sich trotz Firewall nicht vor Schwachsinn schützen kann. Im konkreten Fall von web.de bedeutet das, dass ich mich medial verseucht fühle, ein jedes Mal, wenn ich den Schlüssel zu meinem Postfach suche.
Nicht, dass es nicht sowieso schon eine Sonderausgabe von Wikipedia gibt, die mich im fernen Nicaragua belügt und mir weiß machen will, dass Deutschland ein Planet ist: nein. Mir wird sogar der Zugang zu wirklich wichtigen Informationen versagt, dafür erhalte ich Basiswissen, mit dem ich sicherlich auf dem nächsten Wiener Opernball punkten kann: Heidi Klum liebt Halloween - und hat sich dieses Jahr etwas ganz besonderes einfallen lassen. Oder: Tragisch! Größter Hund der Welt ist tot. Dogge Berry war 1.60 m und erlag am vergangenen Sonntag einem Herzversagen.
Dogge Berrys Dahinschwinden fand übrigens zur Zeit des Tsunamis in Asien statt - von dem hab ich erst später erfahren. Aber der größte Hund der Welt stirbt ja auch nur einmal.
So oder so; ich bin mir nicht sicher, ob mich web.de bei einem möglichen Weltuntergang davon in Kenntnis setzen würde, oder ob Victoria Beckhams Modelinie nicht wichtiger wäre, oder - con permisso, liebe Männer - der Abstieg eines großen deutschen Fußballvereins.
Was es heißt, zu gehen
Mit knapp zwanzig Jahren Lebenserfahrung habe ich mich entschlossen, ab Sommer 2009 für ganze zwölf Monate nach Nicaragua zu gehen; dass es geklappt hat, hatte ich zwischendurch nicht wirklich gedacht; aber dass ich nun, Anfang Juli, so kurz vor der Ausreise stehe und meine Schulzeit einfach so an mir vorbei gegangen ist - das ist noch weniger zu begreifen. Ich werde natürlich an diesem Zustand nichts ändern können und freue mich tatsächlich wahnsinnig auf die Zeit in Mittelamerika. Bisher haben sich meine Auslandserfahrungen auf den europäischen Raum begrenzt; am 23. Juli geht es jedoch los in ein Land, von dessen Existenz ich zuvor zwar wusste, aber an das ich doch zugegeben wenig gedacht habe - und das ich geographisch als Abiturientin "drüben" eingeordnet habe.
Innerhalb eines Jahres werden sich mein Weltbild, meine geographischen und kulturellen Kenntnissen verschieben, neu ordnen. Ich werde einen Teil der Welt kennen lernen, der von Armut, Korruption, Drogen und der Hoffnung auf Besserung bestimmt wird, - aber genau so von Gastfreundlichkeit, Freude am Leben und an dem wenigen, das man hat.Ich verlasse meine Heimat, ohne zu wissen, was Heimat eigentlich ist.
Natürlich werde ich wiederkommen - jedenfalls gehe ich stark davon aus -, aber die Entwicklung, die ich in diesem Jahr vollziehen werde, ist jetzt noch gar nicht abzusehen. Es fällt leicht, über all diese Dinge an einem warmen, geheizten Ort (im Winter) zu schreiben, wenn man von all dem umgeben ist, das man zum Leben braucht. Wie es tatsächlich in Nicaragua aussieht, was sich tatsächlich hinter dem Wort Armut verbirgt und was man als Europäer tun kann oder tun muss, werde ich erst in einem Jahr wissen. Dieser Blog ist daher zweierlei: einerseits eine Informationsstation, die allen, die es interessiert oder auch nur zufällig hierher stolpern, Eindrücke meines Lebens in Nicaragua schildern soll; andererseits eine Gedankenkiste, in der ich all das verarbeiten und mitteilen kann, was ich hier erlebe; im Großen und Ganzen ist es dabei auch ein Beitrag meinerseits, um eine Welt, die unglaublich verknüpft ist und die denkbar unvorstellbar von der Technik und dem Fortschritt profitiert, zu ermöglichen, die sich in all der Schnelllebigkeit auch noch gegenseitig versteht und zuhört.
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