Mittwoch, 4. November 2009
Vier Chinesen
Ich sitze nichtsahnend im Cafe Latino, weil unser Internet nicht wirklich zu Hause ist. Also eben hier. Ich kenne mittlerweile das gesamte Angebot plus Preise und entsprechendes Wechselgeld und trotzdem will mir die Bedienung alles aufzählen. Ich könnte ihr genau so gut erzählen, dass der Umsatz des Cafes um geschätzte 90 % gesunken ist, als wir unser Internet nach Hause verlegt bekamen und Tim, Mirte und ich uns nicht mehr mit Muffins, Granitas oder Schokoschlürfgenüssen die Erlaubnis zum Betreten des World Wide Webs erkaufen mussten.
Aber das weiß die Bedienung nicht, denn sie gehört zu den fünf neuen Angestellten, die jetzt in der vergangenen Woche einen Crash Kurs in How to be cafe latino gemacht haben.
Um meine Person als Stammkundin zu unterstreichen, betrete ich das Cafe mit einem lässigen buenas. Zack, fünf Köpfe heben das Haupthaar und braune Augen fixieren mich. Ein Kunde.
Was folgt, ist wohl trotz geübter Begrüßung nicht zu vermeiden:
Bedienung: Wir haben Muffins, Vanille oder Schokolade ...
Ich: Ich weiß, ich weiß. (Ich bemühe mich um einen möglichst wissenden, verständlichen Ton, so als würde sie mir erklären, dass es den Weihnachtsmann nicht gibt; dabei weiß ich das doch längst.)
Bedienung: Wir haben Kekse und Chips und gefüllte Teigtaschen ...
Ich: Ich möchte nur einen kalten Kaffee.
Bedienung: Wir haben Kaffe Americano, Fresa Suprema, Kaffe Chocolate, Chocolate Suprema ...
Ich: Danke, nur einen kalten Kaffe ...
Sie versucht es noch ein bisschen länger, während ich mehr stoische Ruhe ausstrahle als die Akropolis bei Nacht*; irgendwann kapituliert sie und muss mir meinen kalten Kaffee geben.
Vielleicht dämpfen Kunden wie ich ihre Euphorie, hier zu arbeiten. Vielleicht habe ich sie frustriert, denn ich war ja noch nicht mal bereit, mich von ihren kulinarischen Feinheiten bezierzen zu lassen. Da lernt sie schon die ganze Karte auswendig, und dann kommt so jemand wie ich, absolut beratungsresistent, kein bisschen risikobereit.
Es tut mir Leid und für einen Moment überlege ich, ob ich sie nicht noch einmal bitten soll, mir das Sortiment aufzuzählen. Aber das könnte sie auch falsch verstehen.
Wenig später geschieht etwas, was mir hier zum ersten Mal passiert, dabei bildete ich mir eben noch ein, ein Stammkunde, eine alte Häsin, zu sein, der im Cafe Latino nichts mehr passieren kann.
Und dann geschieht es doch: vier Chinesen, Japaner, nennen wir sie Asiaten, betreten das Cafe. Ich falle fast vom Stuhl. An schwarze Haare bin ich gewöhnt, aber nicht an diese Mandelaugen und das hohe, schnappende Lachen, von dem man nicht weiß, ob man sich wirklich gerade amüsiert oder tatsächlich keine Luft mehr kriegt.
Auf jeden Fall höre ich jetzt schingschangschong vom Nebentisch und bin doch ein bisschen konfus.
Ich meine das wirklich nicht böse, wenn ich sowas von meinen asiatischen Nachbarn sage; aber die fleischgewordene Erscheinung fernöstlicher Kultur habe ich hier nicht erwartet - das ist sogar für mich tropisch, exotisch. Dabei haben diese beiden wunderbaren Adjektive in der letzten Zeit einiges an Verständnis wegstecken müssen: denn für mich waren Mangos, Guallabas und Palmen recht tropisch. Jetzt ist es für mich normal. Vielleicht finden ja die Nicas Deutschland exotisch.
Der Begriff ist irreführend, je nachdem, wo man gerade auf der Welt umherbummelt: sein Urpsrung hingegen ist, wie so vieles, griechisch-lateinischer Natur und bedeutet das auswärtige, das fremde.
So gesehen ist das schöne Wort exotisch das freche Chamäleon in der Welt der Buchstaben. Es verändert, je nachdem, wo man gerade ist, das eigene Verständnis von eben diesem Begriff, es entdeckt sich quasi immer wieder neu, es ist die Madonna, die Maria Ciccone im Diccionario.
Zurück an den Nebentisch. Dort sitzen jetzt vier Herrschaften älteren Alters und sie scheinen sich immer noch ganz wohl zu fühlen. Was die hier wollen, frage ich mich. Junge Leute, meistens Amerikaner oder Europäer, sieht man viele auf der Straße; dabei sind die vier nebenan die ersten Japaner oder Chinesen oder Vietnamesen, die mir hier begegnen. Vielleicht sollte ich mich kurz vorstellen und ihnen das sagen, um ihnen zu gratulieren. Ich verwerfe diesen Gedanken; aber neugierig bin ich doch
Sie wollen nämlich so gar nicht in das Cafe Latino und in dieses zentralamerikanische Bild passen.
Dann habe ich einen bösen Gedanken, aber ich schreibe ihn auf, denn es handelt sich um einen Augenzeugenbericht, und die sind immer subjektiv: mir fallen die vielen Hunde ein, die es auf Matagalpas Straßen gibt. Würde man in Asien vermehrt Tauben essen, säßen diese vier Lachnudeln jetzt vielleicht in Bochum in der Fußgängerzone.
Die junge Bedienung, die mich noch eben zum kopflosen Geldausgeben mit dem endlosen Angebot des Cafe Latinos verführen wollte, steckt den Kulturschock besser weg als ich. Sie ist ganz ruhig und spricht ganz langsam, wiederholt ganz langsam das Warenparadies des Cafes.
*Stoisch ging es in der Akropolis eigentlich gar nicht zu. Das ist ein Trick, damit mein Stil gewitzt klingt; denn Akropolis klingt besser als Agora. Agora, das ist der Ort, wo man im antiken Athen eigentlich so richtig stoisch sein konnte. Man verzeihe mir dieses stilistische Unwissen.
Was es heißt, zu gehen
Mit knapp zwanzig Jahren Lebenserfahrung habe ich mich entschlossen, ab Sommer 2009 für ganze zwölf Monate nach Nicaragua zu gehen; dass es geklappt hat, hatte ich zwischendurch nicht wirklich gedacht; aber dass ich nun, Anfang Juli, so kurz vor der Ausreise stehe und meine Schulzeit einfach so an mir vorbei gegangen ist - das ist noch weniger zu begreifen. Ich werde natürlich an diesem Zustand nichts ändern können und freue mich tatsächlich wahnsinnig auf die Zeit in Mittelamerika. Bisher haben sich meine Auslandserfahrungen auf den europäischen Raum begrenzt; am 23. Juli geht es jedoch los in ein Land, von dessen Existenz ich zuvor zwar wusste, aber an das ich doch zugegeben wenig gedacht habe - und das ich geographisch als Abiturientin "drüben" eingeordnet habe.
Innerhalb eines Jahres werden sich mein Weltbild, meine geographischen und kulturellen Kenntnissen verschieben, neu ordnen. Ich werde einen Teil der Welt kennen lernen, der von Armut, Korruption, Drogen und der Hoffnung auf Besserung bestimmt wird, - aber genau so von Gastfreundlichkeit, Freude am Leben und an dem wenigen, das man hat.Ich verlasse meine Heimat, ohne zu wissen, was Heimat eigentlich ist.
Natürlich werde ich wiederkommen - jedenfalls gehe ich stark davon aus -, aber die Entwicklung, die ich in diesem Jahr vollziehen werde, ist jetzt noch gar nicht abzusehen. Es fällt leicht, über all diese Dinge an einem warmen, geheizten Ort (im Winter) zu schreiben, wenn man von all dem umgeben ist, das man zum Leben braucht. Wie es tatsächlich in Nicaragua aussieht, was sich tatsächlich hinter dem Wort Armut verbirgt und was man als Europäer tun kann oder tun muss, werde ich erst in einem Jahr wissen. Dieser Blog ist daher zweierlei: einerseits eine Informationsstation, die allen, die es interessiert oder auch nur zufällig hierher stolpern, Eindrücke meines Lebens in Nicaragua schildern soll; andererseits eine Gedankenkiste, in der ich all das verarbeiten und mitteilen kann, was ich hier erlebe; im Großen und Ganzen ist es dabei auch ein Beitrag meinerseits, um eine Welt, die unglaublich verknüpft ist und die denkbar unvorstellbar von der Technik und dem Fortschritt profitiert, zu ermöglichen, die sich in all der Schnelllebigkeit auch noch gegenseitig versteht und zuhört.
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