Donnerstag, 24. Dezember 2009

Antonio auf Abwegen

Waehrend Tim und Selina sich dazu entschlossen, nach Corn Island zu fliegen, hatten Tobi, Lukas und ich den gesamten Tag Zeit, um uns die Zeit zu vertreiben; denn unser Bus nach el Rama fuhr erst gegen neun Uhr abends.
Wir haetten uns wahrscheinlich im Smog Managuas gelangweilt, wenn da nicht Antonio gewesen waere; der kleine dicke Taxifahrer machte eher den Anschein eines gemuetlichen Nicaraguaners, aber hinter dem kugelrunden Bauch und den seidenen Silbershorts steckte ein knallharter Geschaeftsmann, der uns fuer zehn Dollar nach Granada fuhr. Nicht nur uns, sondern auch zwei Schweizer, die er am Flughafen anquatscht.
Zu sechst sitzen wir also im Auto, es ist mehr als kuschelig. Mehrere Polizisten halten uns an, und doch fragt Antonio sie jedes Mal ganz selbstbewusst, ob sie wissen, wo es Kaffee gibt, er muesste unbedingt etwas trinken. Sie sagen nichts, weisen usn nicht darauf hin, dass die Sitzkonstellation, die wir da ausprobieren, mehr als gefaehrlich ist, sondern winken ihn weiter.
In Granada angekommen, besuchen wir die Kirche, den See, essen eine Pizza und es ist eine ganz willkommene Abwechslung zu den breiten, heissen Strassen Managuas, die allesamt einem grossen Einkaufszentrum gleichen.
Als wir um fuenf zurueck zum Taxi kommen, schlaeft Antonio wie ein Weltmeister. Die Taxifahrer Granadas stehen um sein Auto und lachen. Tatsaechlich sah ich selten jemanden so intensiv schlafen.
Gemeinsam fahren wir zurueck, Antonio ist noch etwas muede und schlaeft kurz auf dem Highway nach Managua ein; dabei fahert er zum Glueck langsamer als schneller.

Puenktlich um acht stehen wir vor dem Bus nach El Rama, der uns um zwei Uhr in der Stadt der Regiona autonomia atlantica del Sur (RAAS) abladen wird. Antonio verabschiedet sich, er zieht uns ordentlich das Geld aus den Taschen und duest vergnuegt von dannen.
Der Bus, in dem wir sitzen, ist voll mit Menschen, die so anders sind als die ueblichen Nicaraguaner. Ihre Haut ist dunkel, fast kohlrabenschwarz, ihre Sprache ist Englisch, und zwar ein Slang, der so merkwuerdig daher kommt und zugleich so kontraer zum Spanischen wirkt.
Als wir um zwei Uhr nachts in El Rama ankommen, entlaed sich der Bus. All die schwarzen Nicas streunen zur Passkontrolle, wir genau so. Eine Unterkunft brauchen wir, fuer die naechsten drei Stunden, denn dann geht das Boot nach Bluefields.
unser Busfahrer sagt, wir koennen es uns im leeren Bus bequem machen, wo er sich schon zwischen den Gepaeckablagen eine Haengematte aufgespannt hat.
Wir sind dankbar und sicher bis zum Morgengraeun.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Was es heißt, zu gehen

Mit knapp zwanzig Jahren Lebenserfahrung habe ich mich entschlossen, ab Sommer 2009 für ganze zwölf Monate nach Nicaragua zu gehen; dass es geklappt hat, hatte ich zwischendurch nicht wirklich gedacht; aber dass ich nun, Anfang Juli, so kurz vor der Ausreise stehe und meine Schulzeit einfach so an mir vorbei gegangen ist - das ist noch weniger zu begreifen. Ich werde natürlich an diesem Zustand nichts ändern können und freue mich tatsächlich wahnsinnig auf die Zeit in Mittelamerika. Bisher haben sich meine Auslandserfahrungen auf den europäischen Raum begrenzt; am 23. Juli geht es jedoch los in ein Land, von dessen Existenz ich zuvor zwar wusste, aber an das ich doch zugegeben wenig gedacht habe - und das ich geographisch als Abiturientin "drüben" eingeordnet habe.

Innerhalb eines Jahres werden sich mein Weltbild, meine geographischen und kulturellen Kenntnissen verschieben, neu ordnen. Ich werde einen Teil der Welt kennen lernen, der von Armut, Korruption, Drogen und der Hoffnung auf Besserung bestimmt wird, - aber genau so von Gastfreundlichkeit, Freude am Leben und an dem wenigen, das man hat.

Ich verlasse meine Heimat, ohne zu wissen, was Heimat eigentlich ist.

Natürlich werde ich wiederkommen - jedenfalls gehe ich stark davon aus -, aber die Entwicklung, die ich in diesem Jahr vollziehen werde, ist jetzt noch gar nicht abzusehen. Es fällt leicht, über all diese Dinge an einem warmen, geheizten Ort (im Winter) zu schreiben, wenn man von all dem umgeben ist, das man zum Leben braucht. Wie es tatsächlich in Nicaragua aussieht, was sich tatsächlich hinter dem Wort Armut verbirgt und was man als Europäer tun kann oder tun muss, werde ich erst in einem Jahr wissen. Dieser Blog ist daher zweierlei: einerseits eine Informationsstation, die allen, die es interessiert oder auch nur zufällig hierher stolpern, Eindrücke meines Lebens in Nicaragua schildern soll; andererseits eine Gedankenkiste, in der ich all das verarbeiten und mitteilen kann, was ich hier erlebe; im Großen und Ganzen ist es dabei auch ein Beitrag meinerseits, um eine Welt, die unglaublich verknüpft ist und die denkbar unvorstellbar von der Technik und dem Fortschritt profitiert, zu ermöglichen, die sich in all der Schnelllebigkeit auch noch gegenseitig versteht und zuhört.