Dienstag, 29. Dezember 2009

El Rama - Bluefields - Corn Island - Little Corn Island

So sah unsere Reiseroute aus. Und sie war nicht weniger abenteuerlich. Denn als wir am Morgen des 23. Dezembers aus dem Bus steigen, drängen sich schon zahlreiche Nicas zum Fluss, der El Rama in den letzten Jahren bereits drei mal beinahe gänzlich von der Erdoberfläche gewischt hat. Die Häuseransammlung und den provisorischen Hafen kann man schlecht als Stadt bezeichnen, viel eher ist es ein Punkt, an dem sich viele Wege kreuzen. Nur deshalb gibt es hier Menschen.

Wenn man so will, ist El Rama das Ende vom Ende; die Gegend, in der wir uns befinden, besteht aus purem Urwald und Mangrovenwäldern, schwer zugänglich und den meisten Nicaraguanern, die nicht in der RAAS oder der RAAN leben, absolut unbegreiflich. Es ist ein anderes Land. Und es ist arm hier.

Gemeinsam mit viel zu vielen Leuten werden wir auf die Flusstaxis verteilt, die gefährlich schwanken, ein jedes Mal, wenn sich auch nur irgendjemand bewegt. Tobi, Lukas und ich müssen uns Plätze erkämpfen, aber die Nicas, die sich da mit uns auf die dünnen Bretter drücken, sind sehr freundlich und machen uns Platz.
Mit sagenhaften 250 PS rast unsere Lancha schließlich über den Fluss, es ist ein kühler Morgen, die Sonne geht gerade auf und taucht das Wasser und die Ufer des Flusses in ein sagenhaftes Licht. Einzelne Holzhäuser blicken vom Ufer zu uns hinüber, ihre Dächer sind aus getrockneten Palmenbündeln, sie stehen ca. 2 Meter über dem Boden auf Stelzen und alles wirkt unendlich friedlich - wäre da nicht der röhrende Motor unserer Lancha.
Ich hätte unsere Fahrt und die sagenhafte Aussicht womöglich noch besser genießen können, wäre da nicht diese schwarze Nicaraguanerin direkt vor mir, die sich sofort nach unserer Abfahrt mehrmals bekreuzigt und klagend und flehend zum Himmel blickt. Dann schnappe ich im Halbschlaf noch von irgendwo das Wort cocodrilo auf und meine Ruhe ist dahin.

Nach 1 1/2 Stunden wird der Flusslauf immer breiter und wir gelangen schließlich in die Lagune von Bluefields; kleine Inseln ragen aus dem Wasser, irgendwo ganz weit draußen können wir das offene Meer erkennen. Es ist halb acht und Fischer und kleine Holzboote treiben an uns vorbei oder winken uns zu.
Schließlich gelangen wir an den Hafen von Bluefields.
Und zu Bluefields kann man einiges erzählen: die Stadt ist hässlich und nach einem niederländischen Pirat namens Blauveldt benannt. Einen Zusammenhang gibt es nicht. Interessant ist aber noch die Tatsache, dass Bluefields eine beinahe offizielle Schmugglerzone ist; am liebsten schmuggeln Kolumbianer hier Kokain. Lukas erzählt mir von seinem nicaraguanischen Freund Albert aus Costa Rica, dessen Mutter neun Jahre kolumbianische Drogenhändler und ihre Ware von Bluefields über die Grenze fuhr. Irgendwann entschloss sie sich, aufzuhören, und nur noch dieses eine Mal ein krummes Ding zu drehen. Da wurde sie erwischt und nun sitzt sie im Gefängnis. Das Geld, das Albert in Costa Rica verdient, geht direkt an Mutters Anwalt.

Die Polizei in Bluefields ist relativ machtlos gegen die Machenschaften der Kolumbianer und es ist mehr als bekannt, dass jedes größere, jedes schönere Haus irgendwas mit Drogen zu tun hat.
Bis 2004 war dies alles jedoch nicht mehr als das bloße Gerücht, als das leise Wissen einer Hafenstadt, die nach außen hin wie El Rama als Verkehrsknotenpunkt für Passagiere nach Corn Island gilt. Aber in eben diesem Jahr stürmten einige Kolumbianer die Polizeistation in Bluefields und schnitten den vier Polizisten die Kehlen auf.

Ein wenig eingeschüchtert von diesen Geschichten, die uns Lukas oder unser Reiseführer erzählen, durchqueren wir Bluefields Hafenanlagen nur mit den Händen in den Hosentaschen, steif wie ein Stock. Es ist ein anderes Nicaragua, in dem wir hier gelandet sind.
Und doch passiert uns nichts. Ganz bequem können wir unsere Karten für Captain D kaufen - die Fähre, die um zehn Uhr ablegt und die uns sechs Stunden über die karibische See schippert, bis wir endlich um halb fünf auf Big Corn Island anlegen. Palmen wehen im Wind, Kinder springen von der Mole direkt ins kristallblaue Wasser, Waren werden abgeladen und als wir in der Lancha sitzen, die uns nach Little Corn Island bringt, beobachten wir ein wenig ungläubig die Kästen und Frachten, die nun auf die Insel gelangen. Irgendwo da, sagt Louisa, eine Deutsche, die wir auf der Schifffahrt kennen gelernt haben, irgendwo da ist Koks.

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Was es heißt, zu gehen

Mit knapp zwanzig Jahren Lebenserfahrung habe ich mich entschlossen, ab Sommer 2009 für ganze zwölf Monate nach Nicaragua zu gehen; dass es geklappt hat, hatte ich zwischendurch nicht wirklich gedacht; aber dass ich nun, Anfang Juli, so kurz vor der Ausreise stehe und meine Schulzeit einfach so an mir vorbei gegangen ist - das ist noch weniger zu begreifen. Ich werde natürlich an diesem Zustand nichts ändern können und freue mich tatsächlich wahnsinnig auf die Zeit in Mittelamerika. Bisher haben sich meine Auslandserfahrungen auf den europäischen Raum begrenzt; am 23. Juli geht es jedoch los in ein Land, von dessen Existenz ich zuvor zwar wusste, aber an das ich doch zugegeben wenig gedacht habe - und das ich geographisch als Abiturientin "drüben" eingeordnet habe.

Innerhalb eines Jahres werden sich mein Weltbild, meine geographischen und kulturellen Kenntnissen verschieben, neu ordnen. Ich werde einen Teil der Welt kennen lernen, der von Armut, Korruption, Drogen und der Hoffnung auf Besserung bestimmt wird, - aber genau so von Gastfreundlichkeit, Freude am Leben und an dem wenigen, das man hat.

Ich verlasse meine Heimat, ohne zu wissen, was Heimat eigentlich ist.

Natürlich werde ich wiederkommen - jedenfalls gehe ich stark davon aus -, aber die Entwicklung, die ich in diesem Jahr vollziehen werde, ist jetzt noch gar nicht abzusehen. Es fällt leicht, über all diese Dinge an einem warmen, geheizten Ort (im Winter) zu schreiben, wenn man von all dem umgeben ist, das man zum Leben braucht. Wie es tatsächlich in Nicaragua aussieht, was sich tatsächlich hinter dem Wort Armut verbirgt und was man als Europäer tun kann oder tun muss, werde ich erst in einem Jahr wissen. Dieser Blog ist daher zweierlei: einerseits eine Informationsstation, die allen, die es interessiert oder auch nur zufällig hierher stolpern, Eindrücke meines Lebens in Nicaragua schildern soll; andererseits eine Gedankenkiste, in der ich all das verarbeiten und mitteilen kann, was ich hier erlebe; im Großen und Ganzen ist es dabei auch ein Beitrag meinerseits, um eine Welt, die unglaublich verknüpft ist und die denkbar unvorstellbar von der Technik und dem Fortschritt profitiert, zu ermöglichen, die sich in all der Schnelllebigkeit auch noch gegenseitig versteht und zuhört.