Dienstag, 29. Dezember 2009
Bluefields: Are you alive, KLAUS?
Wobei es eigentlich ein Witz ist, dass wir für die fünf Stunden, die wir im Hotel Los 4 Vientos verbringen, überhaupt etwas bezahlen müssen. Eigentlich müsste man uns etwas zahlen.
Ich habe noch nie ein so hässliches Hotel gesehen. Eigentlich ist es kein Hotel. Es ist viel eher ... eine Ansammlung aus Wellblech. Alles ist hier aus Wellblech: Das Dach, die Wand, die Tür. Es ist ein Wunder, dass der Besitzer nicht aus Wellblech ist.
Überall stinkt es, dafür stinkt es unterschiedlich.
Wir wissen bereits sehr schnell - ohne uns abzusprechen -, dass wir hier nicht länger als nötig bleiben wollen. Und es ist ein Wink des Schicksals (ein Nicaragauner würde sagen, dass es Gott war), dass wir Arthur und Klaus treffen.
Arthur ist Engländer, er kommt aus Manchester und spricht ein sehr schönes Englisch.
Klaus ist Deutscher, ich habe keine Ahnung, wo er herkommt, aber jedes Jahr macht er für sechs Monate Urlaub. Das ist ja auch nicht schlecht.
Gemeinsam gehen wir mit den beiden Herrschaften in ein nettes Restaurant, wo die Musik so laut spielt, dass wir schreien müssen. Aber es ist lustig und Arthur ist derjenige, der die Konversation aufrecht hält; dabei ist er ein Engländer unter vier Deutschen, was für viele seiner Inselgenossen sicherlich ein Problem dargestellt hätte.
I met Klaus at the beginning of my journey. I tried to get rid of him, but he really sticks to me, erklärt er. His mum told me to care about him.
Klaus sagt dazu nichts. Eigentlich sagt er gar nichts. Die ganze Zeit ist er recht still, raucht die ein oder anderen Zigarette, trinkt ein Bier mit unserem englischen Lord, der pro weiterem Bier immer mehr von seiner Lordschaft verliert, dafür beginnen seine Augen zu glänzen. Die Musik wird leiser und wir werden alle ein bisschen lauter. Wir reden über Manchester, über Morrissey, über United, über Charles Dickens und Oscar Wilde und wir tauschen Zitate aus. Es ist lustig.
Nur Klaus ist ein bisschen abwesend. Einzig und allein, wenn es ums Fischen geht, blüht er vollkommen auf. Aber leider ist keiner von uns restlichen vier leidenschaftlicher Angler und so ist sein Redefluss nur von kurzer Dauer.
Schließlich ist er so still, dass Arthur sich zu ihm vornüberbeugt und ruft: ARE YOU ALIVE, KLAUS?
Klaus reagiert mit einem leichten Zucken und das ist genug Beweis für Arthur.
Lukas, Tobi und ich haben unseren Spaß und doch werden auch wir mit der Zeit immer stiller, müder - wir verbringen nur einen Abend mit Arthur. Klaus ist bereits seit einiger Zeit mit dem Engländer unterwegs und letztlich ist es kein Wunder, dass er die Sprachgewalt einer Wanderdüne besitzt. Er raucht noch ein bisschen, Arthur trinkt noch ein bisschen, dann verlassen wir die Bar, obwohl wir eigentlich nicht zurück in unser Hotel wollen, das so aussieht wie von vier Winden durchgeschüttelt.
Die Nacht ist kurz und doch zu lang. Ich habe den Luxus eines Einzelbettes, während die Jungs sich auf einem Doppelbett wie zwei Sardinen gegen die Wand drücken.
Immer wieder werde ich wach und ich habe das Gefühl, dass tausend kleine Tiere auf meinem Bett krabbeln. Ich kann sie zwar nicht sehen, aber ich weiß, dass mindestens irgendwas in meiner Matratze leben wird.
In der Nacht laufen irgendwelche Katzen oder vielleicht auch Menschen über das Dach des Hotels, wir hören Menschen aus den Zimmern nebenan oder vom Ende des Flures husten und irgendwie ist alles furchtbar eng und stickig.
Um halb fünf machen wir uns auf den Weg zum Hafen und als wir schließlich in der Lancha nach Rama sitzen, kann ich es kaum glauben, dass wir endlich aus Bluefields raus sind.
Die Fahrt über den Fluss ist schön; es ist ein wenig neblig. Denke ich zumindest. Der Nebel liegt aber an meiner Brille, die total beschlagen ist.
Um halb acht kommen wir endlich in El Rama an. Dort steigen wir in den Express nach Managua und um zwei sind wir dort. Dass wir überhaupt von dieser Insel runtergekommen sind, dass wir überhaupt Bliefields verlassen haben, dass wir festen, zivilisierten Großstadtboden unter den Füßen haben ... das ist Wahnsinn.
Um fünf bin ich in Matagalpa und unendlich glücklich. Bis ich merke, dass mein Joghurt im Rucksack ausgelaufen ist. Im ganzen Rucksack.
Egal: schließlich habe ich ein tolles Bett und eine Dusche, die mich erstmal vom Dreck aus Bluefield befreit.
Was es heißt, zu gehen
Mit knapp zwanzig Jahren Lebenserfahrung habe ich mich entschlossen, ab Sommer 2009 für ganze zwölf Monate nach Nicaragua zu gehen; dass es geklappt hat, hatte ich zwischendurch nicht wirklich gedacht; aber dass ich nun, Anfang Juli, so kurz vor der Ausreise stehe und meine Schulzeit einfach so an mir vorbei gegangen ist - das ist noch weniger zu begreifen. Ich werde natürlich an diesem Zustand nichts ändern können und freue mich tatsächlich wahnsinnig auf die Zeit in Mittelamerika. Bisher haben sich meine Auslandserfahrungen auf den europäischen Raum begrenzt; am 23. Juli geht es jedoch los in ein Land, von dessen Existenz ich zuvor zwar wusste, aber an das ich doch zugegeben wenig gedacht habe - und das ich geographisch als Abiturientin "drüben" eingeordnet habe.
Innerhalb eines Jahres werden sich mein Weltbild, meine geographischen und kulturellen Kenntnissen verschieben, neu ordnen. Ich werde einen Teil der Welt kennen lernen, der von Armut, Korruption, Drogen und der Hoffnung auf Besserung bestimmt wird, - aber genau so von Gastfreundlichkeit, Freude am Leben und an dem wenigen, das man hat.Ich verlasse meine Heimat, ohne zu wissen, was Heimat eigentlich ist.
Natürlich werde ich wiederkommen - jedenfalls gehe ich stark davon aus -, aber die Entwicklung, die ich in diesem Jahr vollziehen werde, ist jetzt noch gar nicht abzusehen. Es fällt leicht, über all diese Dinge an einem warmen, geheizten Ort (im Winter) zu schreiben, wenn man von all dem umgeben ist, das man zum Leben braucht. Wie es tatsächlich in Nicaragua aussieht, was sich tatsächlich hinter dem Wort Armut verbirgt und was man als Europäer tun kann oder tun muss, werde ich erst in einem Jahr wissen. Dieser Blog ist daher zweierlei: einerseits eine Informationsstation, die allen, die es interessiert oder auch nur zufällig hierher stolpern, Eindrücke meines Lebens in Nicaragua schildern soll; andererseits eine Gedankenkiste, in der ich all das verarbeiten und mitteilen kann, was ich hier erlebe; im Großen und Ganzen ist es dabei auch ein Beitrag meinerseits, um eine Welt, die unglaublich verknüpft ist und die denkbar unvorstellbar von der Technik und dem Fortschritt profitiert, zu ermöglichen, die sich in all der Schnelllebigkeit auch noch gegenseitig versteht und zuhört.
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