Donnerstag, 7. Januar 2010
Ein Tag an der Grenze - ein Tag am Limit
Als wir um halb zehn die Grenzregion Penas Blancas erreichen, wird uns die Armut, die im nicaraguanischen Regierungsbezirk Rivas jenseits der Meereskuesten herrscht, furchtbar bewusst. Holzhaueser, die sonstwie zusammen gehalten werden, stehen am Strassenrand, Feuerchen kohlen vor sich her, fliessend Wasser und vernuenftige Toiletten sind eine Erfindung des Westens.
Das Taxi spuckt uns aus und sofort rasen Maenner auf uns zu, die Colones und Cordobas tauschen wollen, sie bieten uns sonstwas an und wir lehnen kategorisch alles ab. Es regnet, wir stehen im Matsch und wollen eigentlich nur bald in Costa Rica sein.
Knappe achthundert Meter sind es bis dorthin, aber wir brauchen fast fuenf Stunden, um sie zurueck zu legen: denn wir rechneten nicht mit den liebenden Behoerden unserer neuen Heimat. Nicaragua liess uns nicht ausreisen, oder wollte es uns zumindest so lange ausreden, bis wir selbst aufgaben. Doch wir gaben nicht auf: auf die erste einstuendige Schlange folgte die zweite dreistuendige Schlange, zu deren Ende hin wir alle einen Stempel in den Passaporte erhielten. Alle, ausser mir. Aber das wussten wir da noch nicht.
Nichtsahnend liefen wir also zum Grenzbezirk, wo ein netter Grenzbeamter mir erklaerte, ich braeuchte den Stempel.
Den Stempel, Mann.
Fuer den wir drei Stunden anstanden.
Dafuer musst du dich in die Schlange stellen.
Aha. Ja. Achso.
Ich laufe zurueck und hole mir diesen beknackten Stempel, fuer den die Nicaraguaner wirklich ganze fuenf Minuten brauchen. Die Nicas, die in der Schlange stehen, gucken ein bisschen sauer, immerhin bin ich frech an ihnen vorbei. Aber weitere drei Stunden habe ich fuer den nicaraguanischen Grenzbezirk nicht; die brauche ich fuer den costaricanischen Grenzbezirk.
Denn als wir dort ankommen, sehen wir eine weitere Schlange, und sie ist lang.
Wir fargen einen Grenzbeamten, wie lange diese Schlange sich wohl hinzieht.
Och, sagt er und ziwnkert in die Mittagssonne, och, so ein Stuendchen.
Aha. Ein Stuendchen. Nicht so schlimm, denken wir uns.
Hey, pst - kommt es von nebenan. Wenn ihr nicht in dieser dreistuendigen Schlange stehen wollt, cheles, dann kann ich dafuer sorgen, dass ihr schneller die Grenze passiert.
Ein schmieriger Kerl im viel zu engen Streifenhemd steht ziemlich nah neben uns und verkuendet uns: fuer 10 Dollar pro Person schleust er uns an der Schlange vorbei.
Nene, floetet Lina, das dauert nur eine Stunde.
Tim setzt sich in den Schatten und passt auf unser Gepaeck auf, waehrend wir uns in die Schlange einreihen. Aber irgendwie haben wir keine Lust; die Sonne steht hoch und die Nicas und Ticas und alle diejenigen, die ueber die Grenze wollen, draengeln.
Da kommt der Schmiertypie wieder: hey, fuer acht Dollar bringe ich euch in zwanzig Minuten nach Costa Rica.
Ich lasse mich neben Tim auf die Erde plumpsen. Fuer sieben, sagen wir, fuer sieben Dollar machen wirs.
Nene, sieben Dollar, nene, er schuettelt entruestet den Kopf. So als haetten wir uns eine Riesenfrechheit erlaubt.
Fuenf Minuten spaeter stehen wir gemeinsam an der Tuer zum Grenzhaus, es ist ein grosses Haus, wir stehen zum Glueck im Schatten, zahlreiche Frauen mit Kleinkindern auf den Armen stehen neben uns. Sie haben keine sieben Dollar gezahlt. Auch keine zehn. Sie stehen seit Stunden in der Schlange und sind selbst zum Aufregen zu muede.
Wir warten zwanzig MInuten, aber noch immer sind wir keinen Schritt weiter. Unser Grenzvermittler steht mit einem Bein in der Cafeteria.
Warum passiert nichts?, fragt Selina ihn.
Er beugt sich ein bisschen vor, so dass wir uns anstrengen muessen, um ihn zu verstehen.
Seht ihr die Frau in dem rosanen T-Shirt? Sie darf uns nicht sehen. Der Polizist dort gibt euch ein Zeichen, dann koennt ihr rein.
Und so geschieht es auch: innerhalb der naechsten fuenf MInuten haben wir unseren Costa Rica Stempel und fluten mitsamt zahlreicher anderer Nicas und Ticas in Richtung Atemfreiheit. Es ist halb drei und wir sind muede.
Jetzt haetten wir gerne einen Bus, der uns direkt nach Tilaran faehrt. Tilaran. Nicht Teheran. Den nahen Osten sparen wir uns fuer einen anderen Tag, fuer ein anderes Jahr auf.
Von Tilaran muessen wir naemlich nach San Louis, dort ist die Finca von Freunden von Lina, wo wir fuer ein paar Tage unterkommen duerfen. Eine Finca ist jetzt genau das richtige, genau das, was wir brauchen. Aber einen Direktbus nach Tilaran gibt es nicht, auch nicht in das noch viel kleinere San Louis, - warum auch? -, und so muessen wir uns mit einem Bus nach San Jose begnuegen, der in Canas haelt. Das bedeutet eine weitere Stunde Wartezeit fuer einen Platz im Bus, den wir uns muehsam erkaempfen muessen. Aber wir schaffen es und schliesslich fahren wir durch Costa Rica.
Und was ist da so los?
Ich bin entsetzt. Ab den ersten fuenfhundert Metern jenseits des Grenzbezirks bin ich entsetzt; dieses Land ist reich. Es gibt Haeuser mit richtigen Glasfenstern, es gibt Gaerten, es gibt Gras.
Gras.
Das klingt deutlich unspektakulaer, aber in Matagalpa gibt es nicht eine Wiese; nur Urwald, oder verdoerrtes Land. Costa Rica besteht wie Nicaragua aus Vulkanen, aus Seen, aus Bergen, aus Waeldern; aber es ist noch etwas da, was in Nicaragua so entsetzlich fehlt und was mir vorher nie so tatsaechlich auffiel: Geld.
Was es heißt, zu gehen
Mit knapp zwanzig Jahren Lebenserfahrung habe ich mich entschlossen, ab Sommer 2009 für ganze zwölf Monate nach Nicaragua zu gehen; dass es geklappt hat, hatte ich zwischendurch nicht wirklich gedacht; aber dass ich nun, Anfang Juli, so kurz vor der Ausreise stehe und meine Schulzeit einfach so an mir vorbei gegangen ist - das ist noch weniger zu begreifen. Ich werde natürlich an diesem Zustand nichts ändern können und freue mich tatsächlich wahnsinnig auf die Zeit in Mittelamerika. Bisher haben sich meine Auslandserfahrungen auf den europäischen Raum begrenzt; am 23. Juli geht es jedoch los in ein Land, von dessen Existenz ich zuvor zwar wusste, aber an das ich doch zugegeben wenig gedacht habe - und das ich geographisch als Abiturientin "drüben" eingeordnet habe.
Innerhalb eines Jahres werden sich mein Weltbild, meine geographischen und kulturellen Kenntnissen verschieben, neu ordnen. Ich werde einen Teil der Welt kennen lernen, der von Armut, Korruption, Drogen und der Hoffnung auf Besserung bestimmt wird, - aber genau so von Gastfreundlichkeit, Freude am Leben und an dem wenigen, das man hat.Ich verlasse meine Heimat, ohne zu wissen, was Heimat eigentlich ist.
Natürlich werde ich wiederkommen - jedenfalls gehe ich stark davon aus -, aber die Entwicklung, die ich in diesem Jahr vollziehen werde, ist jetzt noch gar nicht abzusehen. Es fällt leicht, über all diese Dinge an einem warmen, geheizten Ort (im Winter) zu schreiben, wenn man von all dem umgeben ist, das man zum Leben braucht. Wie es tatsächlich in Nicaragua aussieht, was sich tatsächlich hinter dem Wort Armut verbirgt und was man als Europäer tun kann oder tun muss, werde ich erst in einem Jahr wissen. Dieser Blog ist daher zweierlei: einerseits eine Informationsstation, die allen, die es interessiert oder auch nur zufällig hierher stolpern, Eindrücke meines Lebens in Nicaragua schildern soll; andererseits eine Gedankenkiste, in der ich all das verarbeiten und mitteilen kann, was ich hier erlebe; im Großen und Ganzen ist es dabei auch ein Beitrag meinerseits, um eine Welt, die unglaublich verknüpft ist und die denkbar unvorstellbar von der Technik und dem Fortschritt profitiert, zu ermöglichen, die sich in all der Schnelllebigkeit auch noch gegenseitig versteht und zuhört.
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