Montag, 14. Dezember 2009
Hoch gepokert
Entgegen jeglichen nicaraguanischen Gesetzen waren sie pünktlich. Und wieder standen sie kichernd vor der Tür. Als ich sie bat, einzutreten, verhielten sie sich auffallend anders als Brenda und Rosalinda, die bei diversen Besuchen in meinen bescheidenen vier gelben Wänden immer wieder den Verdacht erweckten, als wären sie diejenigen, die kein Espanol verständen bzw. beherrschten.
Kaum hatten die zwei hombrecitos ihre zarten Füßchen in den Porche gesetzt, da standen sie auch schon im Patio, plapperten mich voll und fragten mich aus und alles in allem war es mehr als aufregend, ihnen gerecht zu werden.
Über Alemania haben wir geredet. Dann haben wir uns die Weltkarte angeguckt. Dann standen sie plötzlich in meinem Zimmer und entdeckten Monopolio. In den folgenden zwei Stunden kauften wir Straßen, bauten Häuser und um ihnen eine Chance zu geben, ging ich nach mehr oder weniger sechs Zügen ins Gefängnis, wo ich bis zum Spielende verharrte ... oder so.
Die zwei hatten den größten Spaß ihres Lebens.
Die anfängliche Verwirrung über all die Regeln und Geldfragen (um sicher zu gehen übernahm ich die Bank) war recht schnell vergessen, bis auf dieses einzige Problem, das das Spiel immer wieder zu einem Wechselkurskampf mutieren ließ: 1 Dollar sind etwa 20 Cordobas, und unbewusst oder schlitzohrig wie er eben ist, ließ David es sich nicht nehmen, Straßen für 160 Dollar mit 100 Dollar und 3 Eindollarscheinen zu bezahlen - immerhin sind das ja umgerechnet 60 Pesos. Anibal wurde daraufhin ab und an ein wenig ungemütlich. Und doch war es ein sehr schönes Gefühl, mit den zweien da zu sitzen und Monopolio zu spielen.
Das beste kam aber gegen Ende des Spiels; denn gerade so richtig in Fahrt, kam Mary Lou vorbei. Unangekündigt.
Ich muss gestehen, dass ich jedes Mal ein schlechtes Gewissen bekomme, wenn sie einfach so vorbeischaut oder mich sprechen will. Ich habe irgendwie Angst, dass sie mir sagen will, dass ich mich aber ordentlich verkalkuliert habe mit meiner Arbeit hier oder was auch immer ...
Dieses Mal sagte sie auch nichts über mein Avocadohaar, dafür setzte sie sich zu uns und beobachtete uns drei, wie wir da saßen und spielten.
Kann es eine bessere Schleichwerbung geben?
Als Anibal kein Geld mehr hatte und Mary Lou sich zu einer Freundin begeben hatte, beschloss David, dass es Zeit sei, ein bisschen zu malen und gemeinsam setzten wir uns also an den Tisch, malten und pünktlich zu Navidad habe ich nun vier schöne Bilder. Ich selbst kann von mir behaupten, dass ich mich vollkommen gehen ließ und ein so hässliches Bild malte, dass die beiden zum Ende hin ein wenig eingeschüchtert zu fragen wagten, was es denn sei, dieses grün-bläuliche.
Eine andere Frage hingegen ging ihnen wesentlich schneller über die flinken Lippen. Und so kommen sie Donnerstag wieder. Was auch immer wir dann tun werden.
Was es heißt, zu gehen
Mit knapp zwanzig Jahren Lebenserfahrung habe ich mich entschlossen, ab Sommer 2009 für ganze zwölf Monate nach Nicaragua zu gehen; dass es geklappt hat, hatte ich zwischendurch nicht wirklich gedacht; aber dass ich nun, Anfang Juli, so kurz vor der Ausreise stehe und meine Schulzeit einfach so an mir vorbei gegangen ist - das ist noch weniger zu begreifen. Ich werde natürlich an diesem Zustand nichts ändern können und freue mich tatsächlich wahnsinnig auf die Zeit in Mittelamerika. Bisher haben sich meine Auslandserfahrungen auf den europäischen Raum begrenzt; am 23. Juli geht es jedoch los in ein Land, von dessen Existenz ich zuvor zwar wusste, aber an das ich doch zugegeben wenig gedacht habe - und das ich geographisch als Abiturientin "drüben" eingeordnet habe.
Innerhalb eines Jahres werden sich mein Weltbild, meine geographischen und kulturellen Kenntnissen verschieben, neu ordnen. Ich werde einen Teil der Welt kennen lernen, der von Armut, Korruption, Drogen und der Hoffnung auf Besserung bestimmt wird, - aber genau so von Gastfreundlichkeit, Freude am Leben und an dem wenigen, das man hat.Ich verlasse meine Heimat, ohne zu wissen, was Heimat eigentlich ist.
Natürlich werde ich wiederkommen - jedenfalls gehe ich stark davon aus -, aber die Entwicklung, die ich in diesem Jahr vollziehen werde, ist jetzt noch gar nicht abzusehen. Es fällt leicht, über all diese Dinge an einem warmen, geheizten Ort (im Winter) zu schreiben, wenn man von all dem umgeben ist, das man zum Leben braucht. Wie es tatsächlich in Nicaragua aussieht, was sich tatsächlich hinter dem Wort Armut verbirgt und was man als Europäer tun kann oder tun muss, werde ich erst in einem Jahr wissen. Dieser Blog ist daher zweierlei: einerseits eine Informationsstation, die allen, die es interessiert oder auch nur zufällig hierher stolpern, Eindrücke meines Lebens in Nicaragua schildern soll; andererseits eine Gedankenkiste, in der ich all das verarbeiten und mitteilen kann, was ich hier erlebe; im Großen und Ganzen ist es dabei auch ein Beitrag meinerseits, um eine Welt, die unglaublich verknüpft ist und die denkbar unvorstellbar von der Technik und dem Fortschritt profitiert, zu ermöglichen, die sich in all der Schnelllebigkeit auch noch gegenseitig versteht und zuhört.
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