Dienstag, 29. Dezember 2009
Lady Amy: Aufbruch sieht anders aus
Wir sitzen also um halb neun auf der Lady Amy, baumeln in Hängematten auf Deck und warten darauf, dass die gute Frau in See sticht. Aber nein.
Es wird zehn. Es wird elf. Es wird zwölf. Und wir werden langsam ungemütlich. Lukas und Tobi lassen sich nichts anmerken, aber ich werde fast wahnsinnig bei dem Gedanken, dass ich nicht von dieser Insel runterkomme. Aaaaah. Selina sagt, dass sie durchaus auf einer Insel leben kann, aber ich werde fast irre. Nicht, dass es hier so schlimm wäre, aber wenn man weg will, ist eine Insel der durchaus ungünstigste Ausgangspunkt, den man sich denken kann.
Man kann sich fragen, warum ich nicht das flotte Inselflugzeug von Corn Island nach Managua genommen habe. Das hatte ich vor, aber als ich dort anrief, verstand ich schnell, dass es nicht möglich war.
Hello, is this Corn Island Airport?
Yeah mom. (die Frau spricht es so undeutlich, dass ich nur that’s wrong verstehe.)
I’m not talking with the airport? Is there the airport?
Yeah, mom.
Jetzt versteh ichs.
Ah, okay. Are there any flights on Sunday to Managua? Is it possible to get a flight for one person? Ich komme mir ein bisschen dumm vor.
Jetzt sagt sie irgendwas, was ich überhaupt nicht verstehe.
Sorry?
Sie sagt es wieder, aber ich verstehe wieder nur wowowowowowowwow.
Espanol?
Si.
Und dann verstehe ich, was sie sagt.
Höchstens Platz für mich in der Warteschleife. Ich will aber nicht warten, sondern fliegen. Also warte ich lieber fünf Stunden auf der Lady Amy; dort hat man mittlerweile einen Techniker geholt, der im Maschinenraum verstecken spielt.
Schließlich legen wir um ein Uhr ab und unser gesamter Tagesplan ist dahin.
Was es heißt, zu gehen
Mit knapp zwanzig Jahren Lebenserfahrung habe ich mich entschlossen, ab Sommer 2009 für ganze zwölf Monate nach Nicaragua zu gehen; dass es geklappt hat, hatte ich zwischendurch nicht wirklich gedacht; aber dass ich nun, Anfang Juli, so kurz vor der Ausreise stehe und meine Schulzeit einfach so an mir vorbei gegangen ist - das ist noch weniger zu begreifen. Ich werde natürlich an diesem Zustand nichts ändern können und freue mich tatsächlich wahnsinnig auf die Zeit in Mittelamerika. Bisher haben sich meine Auslandserfahrungen auf den europäischen Raum begrenzt; am 23. Juli geht es jedoch los in ein Land, von dessen Existenz ich zuvor zwar wusste, aber an das ich doch zugegeben wenig gedacht habe - und das ich geographisch als Abiturientin "drüben" eingeordnet habe.
Innerhalb eines Jahres werden sich mein Weltbild, meine geographischen und kulturellen Kenntnissen verschieben, neu ordnen. Ich werde einen Teil der Welt kennen lernen, der von Armut, Korruption, Drogen und der Hoffnung auf Besserung bestimmt wird, - aber genau so von Gastfreundlichkeit, Freude am Leben und an dem wenigen, das man hat.Ich verlasse meine Heimat, ohne zu wissen, was Heimat eigentlich ist.
Natürlich werde ich wiederkommen - jedenfalls gehe ich stark davon aus -, aber die Entwicklung, die ich in diesem Jahr vollziehen werde, ist jetzt noch gar nicht abzusehen. Es fällt leicht, über all diese Dinge an einem warmen, geheizten Ort (im Winter) zu schreiben, wenn man von all dem umgeben ist, das man zum Leben braucht. Wie es tatsächlich in Nicaragua aussieht, was sich tatsächlich hinter dem Wort Armut verbirgt und was man als Europäer tun kann oder tun muss, werde ich erst in einem Jahr wissen. Dieser Blog ist daher zweierlei: einerseits eine Informationsstation, die allen, die es interessiert oder auch nur zufällig hierher stolpern, Eindrücke meines Lebens in Nicaragua schildern soll; andererseits eine Gedankenkiste, in der ich all das verarbeiten und mitteilen kann, was ich hier erlebe; im Großen und Ganzen ist es dabei auch ein Beitrag meinerseits, um eine Welt, die unglaublich verknüpft ist und die denkbar unvorstellbar von der Technik und dem Fortschritt profitiert, zu ermöglichen, die sich in all der Schnelllebigkeit auch noch gegenseitig versteht und zuhört.
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