Mittwoch, 13. Januar 2010
Auf Abwegen
Wir kommen langsam aus dem Bett, gehen einkaufen, fruehstuecken. Selina bricht zurueck nach Matagalpa auf und Tim, Lina, Vivi und ich blinzeln dem Tag entgegen, der da anbricht. Es ist heiss, aber selbst, wenn man duscht, trocknet man zu schnell. Ein kleines bisschen abartig ist es.
Wir heben Geld ab, laufen durch die Stadt, gucken uns Shopping-Malls an und werden von kuehler Luft von Geschaeft zu Geschaeft geblasen; in Nicaragua frittieren sie alles, in Panama klimatisieren sie alles. Ich habe keine Ahnung, was gesuender ist.
Um halb drei fahren wir nach Panama Viejo, dem wirklich alten Teil der Stadt. Er ist so alt, dass nur noch Ruinen uebergeblieben sind, denn als die Briten im spanischen Panama ankamen, raubten sie alles aus, brannten alles ab und brauchten 170 Maultiere, um alle Schaetze wieder davonzutragen.
Vivi, Lina und ich stehen vor den verkohlten Steinmauern, rollen ein bisschen auf dem Gras herum, gucken Kindern zu, die hier, zwischen dem kolonialen Erbe des Landes, Baseball spielen. Es ist ein ruhiger Tag, die Hitze macht uns muede und auch ein bisschen bloed und schliesslich kommen wir nicht mehr ueber die Strasse. Ein Polizist hilft uns, haelt den Verkehr der Grossstadt an und winkt uns auf die andere Seite. Er ruft uns ein Taxi und so fahren wir zum Miramar Panama, einem dieser Hotels, die in die Luft ragen. Wir haben gehoert, dass man dort ueber die Stadt blicken kann.
Auch, wenn wir uns bemuehen, unser Englisch englisch und wuerdevoll klingen zu lassen, erlaubt uns die Rezeption nicht, ins Restaurant zu fahren. Die Security kann es nicht verantworten. Wie Bombenleger sehen wir aber auch nicht aus.
Nun gut, ob sie einen Ort weiss, wo man ueber die Stadt gucken kann.
Ja, nicht weit von hier, ein Cafe.
Als wir dort ankommen, merken wir, dass nun sie uns verarscht hat: das gute Restaurant hat zwei Stockwerke und man blickt direkt auf die Mauern des Highways. Lustig sind sie, die Panamanesen.
Wir starten nun die perfekte - vielleicht auch jugendliche - Mischung aus Kulturkonsum und Konsumkultur, gehen ins Hard Rock Cafe, schlendern durch Boutiquen und Modekettenlaeden und speisen schliesslich ganz oben in der Mall. Sehen koennen wir gar nichts, es gibt keine Fenster.
Den Abend verbringen wir gemaess unseres neuen Programmes und gehen ins Kino; Avatar fuer Lina, Tim und Tamara - eine schweizer Konditorin, die wir hier kennen gelernt haben - und Sherlock Holmes fuer Vivi und mich.
Als wir ins Hotel kommen, ist das vierte Bett unseres Zimmers an einen uns fremden Mann vergeben. Er ist Argentinier und wir verstehen kein Wort. Er sagt immer irgendwie sch. Wir sind verwirrt; aber so ist das mit dem Spanischen, es ist eine Weltsprache. Das heisst, jeder spricht es anders.
Was es heißt, zu gehen
Mit knapp zwanzig Jahren Lebenserfahrung habe ich mich entschlossen, ab Sommer 2009 für ganze zwölf Monate nach Nicaragua zu gehen; dass es geklappt hat, hatte ich zwischendurch nicht wirklich gedacht; aber dass ich nun, Anfang Juli, so kurz vor der Ausreise stehe und meine Schulzeit einfach so an mir vorbei gegangen ist - das ist noch weniger zu begreifen. Ich werde natürlich an diesem Zustand nichts ändern können und freue mich tatsächlich wahnsinnig auf die Zeit in Mittelamerika. Bisher haben sich meine Auslandserfahrungen auf den europäischen Raum begrenzt; am 23. Juli geht es jedoch los in ein Land, von dessen Existenz ich zuvor zwar wusste, aber an das ich doch zugegeben wenig gedacht habe - und das ich geographisch als Abiturientin "drüben" eingeordnet habe.
Innerhalb eines Jahres werden sich mein Weltbild, meine geographischen und kulturellen Kenntnissen verschieben, neu ordnen. Ich werde einen Teil der Welt kennen lernen, der von Armut, Korruption, Drogen und der Hoffnung auf Besserung bestimmt wird, - aber genau so von Gastfreundlichkeit, Freude am Leben und an dem wenigen, das man hat.Ich verlasse meine Heimat, ohne zu wissen, was Heimat eigentlich ist.
Natürlich werde ich wiederkommen - jedenfalls gehe ich stark davon aus -, aber die Entwicklung, die ich in diesem Jahr vollziehen werde, ist jetzt noch gar nicht abzusehen. Es fällt leicht, über all diese Dinge an einem warmen, geheizten Ort (im Winter) zu schreiben, wenn man von all dem umgeben ist, das man zum Leben braucht. Wie es tatsächlich in Nicaragua aussieht, was sich tatsächlich hinter dem Wort Armut verbirgt und was man als Europäer tun kann oder tun muss, werde ich erst in einem Jahr wissen. Dieser Blog ist daher zweierlei: einerseits eine Informationsstation, die allen, die es interessiert oder auch nur zufällig hierher stolpern, Eindrücke meines Lebens in Nicaragua schildern soll; andererseits eine Gedankenkiste, in der ich all das verarbeiten und mitteilen kann, was ich hier erlebe; im Großen und Ganzen ist es dabei auch ein Beitrag meinerseits, um eine Welt, die unglaublich verknüpft ist und die denkbar unvorstellbar von der Technik und dem Fortschritt profitiert, zu ermöglichen, die sich in all der Schnelllebigkeit auch noch gegenseitig versteht und zuhört.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen